Harburg. Überbelegte Häuser an der Harburger Seehafenstraße: Für Neue Liberale kam die Durchsuchung der Wohnungen zu spät.
Als etwa 100 Mitarbeiter von Sozialbehörde, Bezirksamt, HPA, Familienkasse, Jobcenter, Zoll, Mieterverein und der Servicestelle Arbeitnehmerfreizügigkeit vor fünf Wochen zwei Wohnhäuser an der Harburger Seehafenstraße durchsuchten, brachten sie Empörendes ans Licht. 160 Menschen waren in den heruntergekommenden Häusern untergebracht. Die hygienischen Verhältnisse waren schlecht. Ungeziefer tummelte sich auf allen Stockwerken. Der Hausbesitzer kassiert dafür Mieten vom Staat, denn die Mieten fast aller Bewohner werden vom Jobcenter bezahlt. Die Behörden werten derzeit ihre Erkenntnisse aus.
„Die Behörden hätten schon eher einschreiten können“
Jetzt hat die Aktion in der Harburger Bezirksversammlung Wellen geschlagen. Quer durch das politische Spektrum forderten die Politiker Aufklärung darüber, wie es zu den Zuständen an der Seehafenstraße kommen konnte und wie die Behörden so etwas in Zukunft verhindern wollen. Isabel Wiest, Abgeordnete der Neuen Liberalen, sagt sogar, dass die Behörden schon früher hätten einschreiten können, Doch SPD und CDU hätten einen Antrag ihrer Partei im Januar abgeschmettert, um ihn im März leicht verändert selbst zu stellen.
In den Anträgen ging es jedoch nicht um gewerbliche Ausbeutung armer Menschen. Im Nachgang des Weihnachtsmarktanschlags in Berlin ging es um Sammelmeldeadressen, an denen viele Menschen gemeldet sind, die dort aber nicht wohnen. In einer Stellungnahme hatte das Bezirksamt dargestellt, dass es im Bezirk 113 Adressen gibt, die im Melderegister mit einem Prüfvermerk versehen sind. Für die Mitarbeiter der Kundenzentren gilt: Sie sollen bei Meldungen unter diesen Adressen besonders aufmerksam sein.
Viel mehr, als auf eine Einzugsbestätigung des Hauptvermieters zu bestehen, können die Beamten aber nicht unternehmen, solange die Meldeunterlagen vollständig sind. So verzeichnen die Register zum Beispiel keine Haus- oder Wohnungsgrößen, über die die Zahl der Gemeldeten geprüft werden könnte. Gemeldet sind an den 113 auffälligen Adressen knapp 2300 Menschen. Das sind etwa 20 pro Adresse. Für jedes Mehrfamilienhaus wäre das statistisch normal. Nur befinden sich darunter eben auch Häuser wie die beiden an der Seehafenstraße.
Dass an der Seehafenstraße Elendsvermietung stattfindet, ist in Harburg seit Jahrzehnten ein offenes Geheimnis. Neben und zwischen den untersuchten Häusern befinden sich weitere, in denen die Verhältnisse mit großer Wahrscheinlichkeit ähnlich sind. Dass eine groß angelegte Überprüfung nicht früher stattgefunden hat, liege nicht daran, dass die Behörden ignorant wären, sagt Marcel Schweitzer, der Sprecher der Sozialbehörde: „Bislang sind staatliche Stellen – unter anderem bei den Gebäuden in der Seehafenstraße – immer einzeln vorgegangen und kamen nicht oder nur teilweise voran. In Harburg haben nun erstmals alle gut zusammengearbeitet. Man kann sagen, dass die bezirklichen Mitarbeiter gute Arbeit geleistet haben.“
Ungeziefer ist kein Grund,eine Wohnung zu räumen
Federführend bei der Aufarbeitung der Aktion ist die Sozialbehörde. Einfach räumen kann man die Häuser nicht. Nicht nur würde das den Bewohnern schaden, die Häuser sind grundsätzlich noch bewohnbar. Rechtlich zählt Ungeziefer zum Beispiel nur als Mietminderungsgrund. Allerdings wurden dem Vermieter Auflagen erteilt, das Ungeziefer zu bekämpfen.
Ein offizielles Kriterium für Überbelegung gibt es nicht. Staatliche Stellen gingen, wenn sie Mietkosten übernehmen, grundsätzlich davon aus, dass für jeden Bewohner mindestens zehn Quadratmeter zur Verfügung stehen, so Schweitzer. „Es gibt erste Erkenntnisse, dass das hier nicht der Fall war.“
Etwa 30 Bewohner hatten das Angebot der Sozialbehörde angenommen, in öffentliche Unterkünfte zu ziehen. Ein Teil ist jedoch mittlerweile zurück an die Seehafenstraße gezogen. „Warum, wissen wir nicht“, so Schweitzer. Für den Sprecher der Sozialbehörde ist „Harburg kein Einzelfall. Es wird weiter solche Überprüfungen in Hamburg geben – ohne vorherige Ankündigung.“