Harburg/Tostedt. Sturm fegt über Harburg und den Landkreis hinweg. Zugverkehr eingestellt, Autos zertrümmert. Ruf nach Orkangipfel wird lauter.

Tobias Johanning

Er kam über Nacht, und er kam mit Macht. Mit Böen bis zu 120 km/h fegte Herbststurm „Herwart“ gestern über Harburg Stadt und Land hinweg. Zahllose umgestürzte Bäume, zertrümmerte Autos, erneut massenhaft Zugausfälle im Regional- und Fernverkehr waren die Folge.

Mindestens ein Autofahrer wurde verletzt, als während der Fahrt auf der B 75 ein Baum auf sein Auto stürzte. Es ist bereits der dritte Herbststurm dieses Jahres: Vor zwei Wochen erst hatte Sturm „Xavier“ im Landkreis und im Bezirk Harburg ein Wetter-Chaos mit Verletzten angerichtet, nachdem drei Wochen zuvor Sturmtief „Sebastian“ über Harburg hinweggefegt war.

Wie beim letzten Sturm kippten wieder Bäume auf die Zugstrecke  Tobias Johanning/
Wie beim letzten Sturm kippten wieder Bäume auf die Zugstrecke Tobias Johanning/ © JOTO | JOTO

Die Metronom-Eisenbahngesellschaft stellte ihren Betrieb am frühen Morgen aus Sicherheitsgründen komplett ein, nachdem der erste Zug gegen 6 Uhr südlich von Uelzen gegen einen umgestürzten Baum geprallt war. Dabei entstand erheblicher Sachschaden, verletzt wurde niemand.

Die Feuerwehren im Landkreis waren ab 3 Uhr nachts im Dauereinsatz, um Äste und Bäume von den Gleisen und aus Oberleitungen zu entfernen. Auf die Bahnstrecke Hamburg-Bremen krachte kurz vor dem Buchholzer Bahnhof eine mächtige Eiche. Dabei wurde die Oberleitung zerstört. Doch die hinzugerufenen Feuerwehrleute konnten nichts ausrichten. Die Bahn will den Baum ohne Hilfe der Feuerwehr entfernen lassen. Nur etwa drei Kilometer entfernt fing ein Baum an zu brennen, als er in die Oberleitung der Bahnstrecke stürzte.

Sturm Hewart fegte durch die Harburger Innenstadt und legte Baustellenabsperrungen und Straßenschilder flach – wie hier am Harburger Bahnhof
Sturm Hewart fegte durch die Harburger Innenstadt und legte Baustellenabsperrungen und Straßenschilder flach – wie hier am Harburger Bahnhof © HA | Jörg Riefenstahl

Bahnfahrer hatten schlechte Karten. Einen Ersatzverkehr mit Bussen gab es wegen der gefährlichen Lage auf den Straßen ebenfalls nicht. Einige Reisende, die von Hamburg aus Richtung Süden wollten, wichen auf Fernbusse aus. Wer Glück hatte, ergatterte einen Leihwagen. Die meisten warteten ab. Die Bahn hatte einen so genannten Hotelzug eingerichtet.

Um 10 Uhr war wenigstens die Bahnstrecke Hamburg-Uelzen Richtung Südosten wieder frei. Am Nachmittag fuhren der RE3 und die RB31 Hamburg-Lüneburg-Uelzen – mit Verspätungen – wieder in beide Richtungen. Die Verbindungen Cuxhaven-Stade, Bremen-Rotenburg-Hamburg und die Fernverkehr-Strecke Hamburg-Dortmund blieben weiterhin voll gesperrt.

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Auch im Harburger Stadtgebiet richtete der Sturm erhebliche Schäden an. Die Freiwilligen Wehren und die Hamburger Berufsfeuerwehr war im Stadtgebiet mit rund 1000 Einsatzkräften ab 4 Uhr früh im Dauereinsatz, um Äste und umgestürzte Bäume zu beseitigen. Die Hafenbahn in Waltershof musste ihren Betrieb einstellen. Ein Montagetrupp der Hamburg Port Authority hatte alle Hände voll damit zu tun, die Gleise an der Waltershofer Straße wieder freizubekommen.

Autos im Harburger Stadtgebiet wurden durch herabstürzende Bäume stark beschädigt – darunter ein Wohnmobil. Verletzt wurde niemand. Am Fürstenmoordamm kam ein Autofahrer mit dem Schrecken davon, als ein Ast die Windschutzscheibe seines Audi durchschlug. In Wilhelmsburg zertrümmerte ein umgestürzter Baum einen geparkten Mercedes. Straßenschilder wurden wie Streichhözer umgeknickt, Baustellenabsperrungen aus der Verankerung gerissen und wie Spielzeug umgeweht.

Spazierganger wurde von Hochwasser überrascht

Am späten Vormittag legte sich der Sturm. Auf den Sturm folgte die Flut: Viele nutzten die Gelegenheit für einen Ausflug an die Elbe. Ein Spaziergänger fand sich in Marschacht jedoch in einer Zwangslage wieder. Er war vom Elbdeich in Richtung Sportboothafen gelaufen. Auf dem Rückweg stellte er fest, dass die Elbe den Heimweg überspült hatte. Die Feuerwehr kam dem Spaziergänger zu Hilfe und brachte ihn mit einem Boot sicher an Land.

Nachdem Teile der Rettungsleitstellentechnik in Winsen beim letzten Sturm für einen kurzen Zeitraum ausgefallen waren, gab es diesmal ein neues Konzept. In allen zwölf Gemeinden und Städten im Landkreis Harburg besetzten die Freiwilligen Feuerwehrleute vor und während des Sturms die Örtliche Einsatzleitung. Das bedeutet, dass die Feuerwehren vor Ort die anfallenden Einsätze verteilten. Dadurch wurde die Rettungsleitstelle entlastet.

Auch in Zukunft müssen sich Bahnreisende bei Sturm auf Zugausfälle einstellen. „Noch immer stehen viel zu viele hochgewachsene Bäume viel zu dicht an den Gleisanlagen“, sagte Metronom-Unternehmenssprecher Björn Pamperin. „Es ist der fünfte große Sturm in diesem Jahr. Was wir brauchen, sind mindestens 15 Meter links und rechts der Gleisanlagen keine Bäume“, sagte Pamperin. Kleinere Sträucher und Büsche in dem Bereich gingen allerdings in Ordnung.

Bisher gilt sechs Meter baumfreie Zone links und rechts der Gleise. Aber selbst die werde von der DB Netz nicht überall gewährleistet, so Pamperin. Er erneuerte seine Forderung nach einem „Orkan-Gipfel“. „Das Umweltministerium und Umweltverbände sehen Lösungsmöglichkeiten und wollen einen Runden Tisch, ebenso die Politik“, sagte Pamperin dem Abendblatt. Jetzt fehle nur noch die Zusage der DB Netz.

Was ist ein Orkan?

Meteorologen sprechen ab Windstärke 9 von Sturm (75 bis 88 km/h). Ab Stärke 10 (89 bis 102 km/h) ist von einem „schweren Sturm“ die Rede. Bäume werden entwurzelt, Schäden an Gebäuden sind möglich.

Ab Windstärke 11 (bis 117 km/h) spricht man vom „orkanartigen Sturm“, darüber vom „Orkan“.

Sturmtief „Xavier“ fegte vor zwei Wochen mit über 100 km/h über Harburg hinweg und erreichte in Orkanböen auf dem Brocken (Harz) 177 km/h.

Reisende der Bahn können ihre gestern gültigen Tickets vier Wochen stornieren oder kostenlos umtauschen.