In der Abendblatt-Reihe „Auf Achse“ erzählen Berufskraftfahrer von ihrem Leben. Heute: Panzerfahrerin Samantha.

Es ist morgens, 9 Uhr. 15 Leopard-2-Panzer ducken sich unter das Wellblechdach der Sammelgarage in der Freiherr-von-Boeselager-Kaserne in Munster. Samantha (20) vom Panzerlehrbataillon 93 schreitet mit ihren Kameraden zielsicher auf eines der graugrünen Ungetüme zu. Der Leo der Baureihe „A 6“ ist ihr Panzer. Sie nennen ihn „das Biest“.

Die junge Frau mit dem roten Pferdeschwanz schwingt sich auf die Kette des Leopard, zückt einen Kugelschreiber und füllt den Fahrauftrag aus. Ladeschütze Turki installiert auf dem Panzer eine orangefarbene Warnleuchte. An diesem Vormittag ist eine Übungsfahrt angesagt – auf den Landstraßen der Lüneburger Heide. Danach soll es ins Gelände gehen.

Samantha steigt durch die Kommandantenluke ein. Fast drei Meter sind es vom Geschützturm bis nach vorn in den engen Führerstand in der so genannten „Wanne“ des Panzers. Kurz darauf taucht Samanthas Kopf aus der Fahrerluke unter der Kanone wieder auf. Dann zwängt sich Richtschütze André auf seinen Arbeitsplatz, direkt hinter der jungen Frau.

Sebastian steigt als Letzter ein. Der Kommandant sitzt auf Tuchfühlung mit dem Richtschützen. Turki, der Ladeschütze, hat unterdessen seinen Platz in der linken Seite des Turms eingenommen. Auch hier herrscht bedrückende Enge.

Samantha schnappt sich einen stählernen Kettenschutz   . Körperliche Fitness ist Voraussetzung für Panzerfahrer
Samantha schnappt sich einen stählernen Kettenschutz . Körperliche Fitness ist Voraussetzung für Panzerfahrer © HA | Jörg Riefenstahl

Samantha startet den stählernen Koloss. Grollend setzen sich schlagartig 1500 PS des 47,5-Liter-Mehrstoff-Triebwerks in Bewegung. Behutsam bugsiert sie das 60 Tonnen schwere Gefährt mit quietschenden Ketten auf den Platz. Eine dicke blaue Abgaswolke steigt in den Morgenhimmel. Dann steigt die vierköpfige Panzerbesatzung in umgekehrter Reihenfolge wieder aus.

Bevor die Fahrt beginnt, ist erstmal ein umfassender Fahrzeugcheck angesagt: Ölstand messen, Signaleinrichtungen, Bedienhebel und Instrumente überprüfen. Funktioniert die Beleuchtung? Ist genug Treibstoff an Bord? Gibt es irgendwo ein Leck? Und: Ist genug Wasser in den Tanks?

Panzerfahrt in Munster

weitere Videos

    „Wasser ist sehr wichtig. Zum Spiegel putzen“, sagt Samantha. Das ist kein Witz: Im Gelände schaut die zierliche Frau nach vorn nur über drei schmale, gerade mal 15 Zentimeter breite Winkelspiegel nach draußen. Auf einem kleinen Schwarzweiß-Monitor kann sie beobachten, was direkt hinter dem Panzer los ist. Den Kopf im Gelände aus der Fahrerluke stecken? Das wäre tödlich. „Der drehbare Turm würde mir im Gelände glatt den Kopf abrasieren“, sagt Samantha.

    Sie geht an den Panzer und wuchtet mit ihren Kameraden die schwere Kettenblende nach oben. Turki schnappt sich den „großen Uhrmacher“ – ein anderthalb Meter langes Metallrohr mit einer Stahlschlinge. Kettenspannen ist angesagt. Gemeinsam setzen die beiden den „Uhrmacher“ oberhalb des rechten Leitrades an und bewegen ihn mit vereinten Kräften auf und ab. „Und eins, zwei! Eins zwei! Eins zwei!“ schallt es über den Platz.

    Ein Selfie im Fahrerstand: Im Panzer herrscht drangvolle Ende. Eine Klimaanlage gibt es nicht.
    Ein Selfie im Fahrerstand: Im Panzer herrscht drangvolle Ende. Eine Klimaanlage gibt es nicht. © HA | Jörg Riefenstahl

    Der „Leo“ hat weder Achsen noch Räder. Alle 14 Laufrollen sind einzeln an Schwingarmen und Drehstäben aufgehängt. Und alle einzeln gefedert. „Man muss sich das wie eine Spirelli-Nudel vorstellen“, sagt Samantha. Genau genommen ist sie mit dem „Leo“ also gar nicht auf Achse. „Auf Rolle“ oder „auf Kette“ trifft es schon eher.

    Per Hand wird nun die Zusatzpanzerung angebracht. Die wuchtigen Teile aus einer geheimen Komposit-Mischung wiegen 70 Kilo pro Stück. Zu zweit werden die Teile seitlich eingehängt. Für Samantha ist das heute kein Problem. „Es ist eine Sache der Übung und der Technik. Zuerst konnte ich die Zusatzpanzerung nur herunternehmen. Aber heute habe ich die Kraft.“ Sie legt Wert darauf, mit „Panzerfahrer“ angesprochen zu werden. Weiblich, männlich? Das Geschlecht spielt keine Rolle. So ist das beim Militär.

    An der Bundesstraße steht Zugführer Nils Lincke. Der Hauptfeldwebel beobachtet den Verkehr. Von Ferne kündigt sich „das Biest“ durch ein helles Surren an. „Panzerfahren ist Teamarbeit“, sagt Lincke, während sich der „Leo“ mit Tempo 50 auf der fast leeren Straße nähert. „Panzerfahren ist Kopfarbeit. Man muss Informationen schnell erkennen und umsetzen. Auf der Straße muss man viel abschätzen.“

    Während der Fahrt auf der Straße kann der Panzerfahrer weder sehen, was hinter noch neben dem Fahrzeug passiert. Ob sich ein Radfahrer nähert oder gerade ein Auto überholt. „Er ist auf Informationen des Kommandanten und des Ladeschützen angewiesen, der hinten auf die Straße schaut“, sagt Lincke. Alle arbeiten Hand in Hand.

    Kettenspannen: Die Panzerfahrerin Samantha und Ladeschütze Turki packen mit vereinten Kräften an
    Kettenspannen: Die Panzerfahrerin Samantha und Ladeschütze Turki packen mit vereinten Kräften an © HA | Jörg Riefenstahl

    An Bord des Panzers gibt es weder Sicherheitsgurte noch Airbags. Wozu auch? Alles, was bis zu mannshoch ist, wird niedergewalzt. Bei einem Unfall mit einem Panzer haben Autofahrer in der Regel keine Chance. „Ein kurzer Tritt auf das riesige Bremspedal genügt, um den Panzer unmittelbar zum Stehen zu bringen“, verrät Lincke. Und der Panzer kann auf der Stelle wenden. Die Ausbildung zum Militärkraftfahrer dauert einen Monat (siehe Kasten). „Aber dann heißt es ,üben, üben, üben’“, sagt Lincke.

    „Andere wollten Prinzessin werden, ich wollte immer Panzer fahren“, schwärmt Samantha, die seit einem Jahr Panzer fährt und bei ihren Eltern bei Münster wohnt. „Mein Vater war Kommandant auf einem M48, der Vorgänger vom Leopard. Ich habe als Kind Dias von meinem Vater gesehen. Und war total begeistert.“ Der Beruf des Panzerfahrers sei anders, als sie es sich ursprünglich vorgestellt habe. „Aber es gefällt mir“, sagt die junge Frau.

    Ihre Mannschaftskameraden sind allesamt Männer. Mit ihnen kommt sie gut klar. „Es gab einen Zeitpunkt, da wollten mich die Männer testen“, verrät die Hauptgefreite. „Ich bin nun mal die einzige Frau in der zweiten Kompanie. Weil ich kein Engel bin, habe ich ihnen aber gezeigt, wo die Grenzen sind. Jetzt stehen die Jungs voll hinter mir.“ Die größte Herausforderung beim Panzerfahren sei für sie, dass sich der Kanonenturm im Gelände unabhängig von der „Wanne“ bewegt.

    Samantha lenkt den Leo zielsicher durch das Gelände auf dem Truppenübungsplatz. Sie sitzt vorn in der „Wanne“, verborgen unter dem Geschützturm. Über  drei schmale Winkelspiegel schaut sie hinaus
    Samantha lenkt den Leo zielsicher durch das Gelände auf dem Truppenübungsplatz. Sie sitzt vorn in der „Wanne“, verborgen unter dem Geschützturm. Über drei schmale Winkelspiegel schaut sie hinaus © HA | Jörg Riefenstahl

    Per Funk bestimmt der Kommandant den Kurs. Die Position der Kanone muss Samantha anhand der Angaben des Richtschützen abschätzen. Als sie den Führerschein ganz neu hatte, sei sie gegen eine Baumkrone gedonnert, erzählt die Hauptgefreite. „In der Fahrschule ist der Turm fixiert, danach nicht mehr. Ich wollte nach rechts abbiegen, der Richtschütze nach links. Da ist es passiert.“ Nach einer kurzen Einweisung des Zugführers geht es ab ins Gelände. Die Besatzung klopft sich vor dem Einsteigen die Stiefel ab.

    Ein „Leo“ kann bis zu vier Meter tief unter Wasser fahren

    Lincke schmunzelt. „Da sind die Panzerfahrer sehr penibel.“ Samantha schiebt den kleinen Hebel des Dreigang-Automatikgetriebes nach vorn. Kurz darauf pflügt „das Biest“ mit 40 Sachen durch den aufgewühlten Heideboden. Der Schlamm spritzt meterhoch empor. Ein imposantes Bild. Samantha folgt strikt den Befehlen des Kommandanten im Ausguck. Alle sind per Sprechfunk verbunden.

    Dank Kreiselmessung bleibt die Kanone bei der rasanten Fahrt durchs Gelände stets stabil. Selbst bei meterhohen Bodenwellen. Ein ,Leo’ kann bis zu vier Meter tief unter Wasser fahren. Dann schaut der Kommandant aus dem verlängerten Turm. So weit die Theorie. An diesem Tag aber frisst sich „das Biest“ am Rande einer einen Meter tiefen, wassergefüllten Bodensenke fest. Jetzt muss es schnell gehen, das tonnenschwere Gerät kann in Sekunden im weichen Boden versinken. Der Kommandant schaut zurück: „Jetzt rückwärts raus“, befiehlt er über Funk. Samantha gibt Stoff, Wasser spritzt empor. Geschafft!

    Das Team: Panzerfahrerin Samantha mit Ladeschütze Turki (v.l.), Richtschütze André und Kommandant Sebastian auf dem Leo
    Das Team: Panzerfahrerin Samantha mit Ladeschütze Turki (v.l.), Richtschütze André und Kommandant Sebastian auf dem Leo © HA | Jörg Riefenstahl

    Nach dem unverhofften Ausflug in den Wassergraben lenkt Samantha das „Biest“ auf eine Anhöhe. Obwohl sie keineswegs zimperlich ist, hat sie einen liebenswerten Spleen: Schmusi muss mit. „Schmusi ist ein Deckenkissen. Es kann ein Kissen sein oder eine Decke. Schmusi eben“, erklärt die Panzerfahrer(in) und lächelt. „Irgendetwas Weibliches brauche ich doch auch, wenn ich im Panzer unterwegs bin.“ In ihrer Freizeit schraubt Samantha an Oldtimern.

    Einen Freund hat sie zurzeit nicht. Wie reagieren Männer, wenn sie ihnen sagt, dass sie Panzerfahrerin ist? „Manche sind superinteressiert. Sie wollen alles wissen“, sagt Samantha. „Andere gucken mich an, als ob ich vom Mond komme und suchen schnell das Weite. Es ist halt immer noch so, dass sich viele Männer wünschen, dass Frauen einen Frauenberuf ergreifen.“ Nach der Fahrt ist erstmal Panzerputzen angesagt. Alle packen mit an.

    Am Nachmittag bereitet das Team Panzer für eine Lehrübung vor. Tarnnetze werden aufgebracht, Werkzeugkisten verstaut. Samantha zündet sich eine Zigarette an. Dass ihr Job bei der Bundeswehr einen ernsten Hintergrund hat, ist ihr klar: „Ich bin hierhergekommen, um etwas für mein Land zu tun.

    Wenn man hierherkommt, weiß man, dass es nicht nur Spazierfahrten sind.“ Es gehe darum, wie man sich den Feind vom Leib halte oder das Land zurückholen könne. Zugführer Lincke ergänzt: „Wir üben das Schießen als letztes Mittel zum Zweck – wenn alle anderen Mittel versagt haben.“

    Die Abendsonne senkt sich glutrot über der Freiherr-von-Boeselager-Kaserne in Munster. Mit einem dreifachen „Panzer Hurra“ verabschiedet sich das Team. Für heute ist ihr Job erledigt. Morgen ist ein neuer Tag.

    Fahrer gesucht

    Der Panzerfahrer erhält zunächst eine einmonatige Ausbildung zum Militärkraftfahrer (MKF, Führerscheinklasse G). Sie umfasst eine militärische Ausbildung, Theoriestunden, Fahrsimulator, Fahrpraxis und Funkgeräte bedienen. Eine Schulung am Waffensystem des Leopard 2 ist möglich.

    Voraussetzungen sind ein Mindestalter von 17 Jahren, die deutsche Staatsangehörigkeit und die Bereitschaft, sich bundesweit versetzen zu lassen und an Auslandseinsätzen der Bundeswehr teilzunehmen.

    Das Einstiegsgehalt beträgt 1800 Euro netto im Monat. Es wird im Voraus gezahlt und steigt regelmäßig mit den Beförderungen weiter an.

    328 Leopard 2

    Der Leopard 2 ist ein deutscher Kampfpanzer. Er wird seit 1979 in Serie gebaut. 3000 Leopard 2 wurden bisher bei Krauss-Maffei produziert. Die Bundeswehr hat zurzeit 328 Leopard-Panzer im aktiven Bestand.

    Die Version A6 wird seit 2001 gebaut. Sie erhielt eine längere Kanone (Kaliber 120 mm). 42 Schuss Munition sind an Bord, die bis zu fünf Kilometer weit sicher ins Ziel treffen.

    Der Panzer wiegt 62 Tonnen. Er ist 72 km/h schnell. Der Verbrauch liegt bei 6 Liter Diesel – pro Kilometer.