Urban Sketching ist ein beliebter Trend unter Hobbyzeichnern. Für das Hamburger Abendblatt entdecken vier Urban Sketchers die Region. Teil 9: Jesteburg.
Idyllisch, friedlich, gemütlich, verwunschen – all diese Schlagworte fallen, wenn die Zeichner an ihren Besuch in Jesteburg denken. Wer Ruhe sucht, muss offenbar nur dorthin fahren. Beim Zeichnen haben Doris Schliemann, Elke Schmidt, Tine Beutler und Thorsten Kleier dort zumindest reichlich Ruhe gefunden.
Die vier Zeichner gehören der Urban Sketching Szene an. Dabei geht es darum, sich einfach irgendwo hinzusetzen und das im Skizzenblock festzuhalten, was einem ins Auge fällt. Auf derselben Art und Weise praktizieren es Urban Sketchers auch in anderen Ländern und legen so ganz neue Sichtweisen auf Städte und Ortschaften überall in der Welt offen. Am Ende teilen sie ihre Skizzen untereinander in sozialen Netzwerken.
Das Hamburger Abendblatt greift die weltweite Bewegung in einer zehnteiligen Serie lokal auf. Die Urban Sketchers, die aus dem Landkreis Stade und Harburg kommen, präsentieren darin, wie sie den Hamburger Süden sehen. Diesmal steht Jesteburg im Fokus.
Mit dem Ort ist insbesondere die Kunststätte Bossard eng verbunden. Die Anlage, die als Juwel im Landkreis Harburg gilt, haben der Künstler Johann und Jutta Bossard zwischen 1912 und 1950 in jahrzehntelanger Detailarbeit auf einem drei Hektar großen Heidegrundstück im Lüllauer Forst errichtet. Es ist ein Gesamtkunstwerk aus Architektur, Bildhauerei, Malerei, Kunstgewerbe und Gartenkunst.
Die Kunststätte Bossard war auch das erste, das Doris Schliemann als mögliches Motiv für das Urban Sketching in den Kopf schoss. Beim Zeichnen war sie fast alleine dort. „Es kamen kaum Besucher vorbei. Es war eine sonderbare Atmosphäre, es war so still, ich konnte total abschalten und fühlte mich wie in einer anderen Welt, irgendwie entrückt. Ich hätte noch Stunden dort zubringen können“, sagt sie.
Doch die Kunststätte Bossard allein macht den Ort Jesteburg nicht aus. Die Kirche mit dem hölzernen Glockenturm, die Antiquitätenhändler und Cafés und der dörfliche Charakter, der noch teilweise erhalten geblieben sei, faszinierten Doris Schliemann ebenso.
So hatten die Urban Sketchers vor Ort die Qual der Wahl: Was sollten sie zeichnen? „Es gibt in dem gemütlichen Wohnort mit vielen Läden und Restaurants so viele schöne Objekte“, sagt Elke Schmidt. Am Ende entschieden sie sich für das, was augenscheinlich mit viel Liebe aufgearbeitet oder mit Leidenschaft vorangetrieben wurde. Elke Schmidt zeichnete die Bücherei, die in einer ehemaligen Zehntscheune untergebracht ist und liebevoll restauriert wurde. Tine Beutler setzte den Lohof in der Nähe des Märchenwanderwegs in Szene. „Schön fand ich, dass der Text und die Idee zum Märchenwanderweg von Sechstklässlern einer Realschule stammten, und dass das Ganze so toll umgesetzt wurde“, sagt Tine Beutler. Sie beobachtete, dass Familien mit Kindern gemeinsam auf den Pfad gingen. „Er wirkte aber nicht überlaufen, und der Ort hatte etwas Verwunschenes.“
Thorsten Kleier setzte wiederum den Brookhoff ins Bild. „Davon hatten mir viele Leute erzählt und mir geraten, da unbedingt hinzugehen, weil es so idyllisch sei“, sagt Kleier. „Das hatte sich dann auch bestätigt.“
Der Brookhoff ist ein ehemaliger Bauernhof mitten in Lüllau, einem Ortsteil von Jesteburg. Wassermühle, Backhaus, Quellteich und Bauernhaus ergeben zusammen ein Ensemble. Seit 420 Jahren befindet sich der Brookhoff in Familienbesitz. Bis vor zehn Jahren hatte Achim Peters hier noch Spargel angebaut. Der Landwirt hat gerne Menschen um sich herum, die er sich schon vor Jahren mit Hilfe von Flohmärkten und Open-Air-Konzerten auf den Hof holte. Das kam so gut an, dass es für ihn jetzt mit der Landwirtschaft vorbei ist. Den Lüllauer Spargel gibt es zwar immer noch direkt in seinem Hofladen zu kaufen, die Anbauflächen hat Achim Peters jedoch verpachtet und konzentriert sich lieber auf die Gastronomie.
Manchmal braucht es für einen solchen Gesinnungswandel einen kleinen Schubs. Bei Achim Peters war das vor Jahren ein Kunde, der es sich am Quellteich auf dem Hofkomplex gemütlich machen wollte und fragte, ob Peters einen Kaffee oder Bier für ihn hätte. „Da habe ich gedacht, wenn es einer will, dann wollen es bestimmt auch mehrere“, sagt Peters. „So ging es los.“
Vor fünf Jahren eröffnete er schließlich den „Dorfkrug am Mühlenteich“. Das Bauernhofcafé mit Biergarten ist inzwischen zu so etwas wie ein Dorfmittelpunkt geworden. Alle zwei Wochen räumt Peters Tische und Stühle raus und macht so Platz für Live-Konzerte. „Schön eng muss es sein. Das ist meine Philosophie“, sagt Peters. Die Gäste stehen bei ihm immer im Mittelpunkt. „So muss man sich verhalten, dann schwappt es zurück und päppelt sich in die Höhe.“ Auch die alte Wassermühle soll künftig nicht ungenutzt bleiben. Peters denkt darüber nach, darin Ausstellungen zu organisieren.
Soviel Engagement hat auch den Zeichner Thorsten Kleier beeindruckt. „Ich bewundere die Leute, die so etwas anpacken. Das war für mich auch der Anlass, die alte Wassermühle zu zeichnen“, sagt Kleier. „Ich finde die Initiative einfach toll.“ Den benachbarten Dorfkrug hat er als einen „sehr stilvoll ausgebauten Bauernhof und einen netten Treffpunkt, der sich gut abhebt“ wahrgenommen. „Da geht man hin, wenn man nicht das Übliche haben möchte“, sagt Thorsten Kleier.
Unterwegs sein und malen – das ist auch eine Chance, die Region, in der man lebt, neu zu entdecken. Tine Beutler hätte beispielsweise nie erwartet, dass sie das Hofcafé auf dem Lohof in einem „wundervoll restaurierten historischen Speicher“ finden würde. Urban Sketching ist also immer wieder für Überraschungen gut.