Harburg. Im Harburger Binnenhafen liegen zahlreiche Segel- und Motorfahrzeuge – viele von ihnen sind in einem bedauernswerten Zustand.
Sie heißen „Pottwal“, „Old Salt“ oder „Likedeeler“ und scheinen im Harburger Binnenhafen gestrandet zu sein: Boote, deren Eigner oft große Pläne haben, aber die damit verbundenen Arbeiten nicht bewältigen. Andere haben ihren Kahn inzwischen aufgegeben, wieder andere wollen ein besonderes Schiff retten, schaffen es aber nicht allein und finden keine Mitstreiter. Die schwimmenden Veteranen sind Teil des Binnenhafens, sie verleihen ihm Charme – so lange der Rost nicht Oberhand gewinnt.
Das wohl auffälligste Beispiel ist die „Pottwal“. Der ehemalige Kutter der DDR-Hochseefischereiflotte liegt seit 1993 im Binnenhafen und gehört seit 2009 John Lührs – als Ausgleich für die von ihm übernommenen Erhaltungs- und weiterer Kosten. Zunächst hatte der sogenannte Seitenfänger neben der Jöhnk-Werft seinen Liegeplatz, war dann drei Jahre in Övelgönne und ist seit 2012 wieder in Harburg. Seit Frühjahr 2017 liegt das Schiff an den Dalben vor der Schlossinsel im Überwinterungshafen. „Das ist ein Behördenplatz, wir sind dort für befristete Zeit geduldet“, sagt Lührs. „Das Schiff wurde 1958 in Boizenburg gebaut und soll wieder aufgebaut werden. Nur im Moment fehlt ein Investor.“
Lührs selbst, der eine Schiffstechnik-Firma besitzt, betreibt bereits ein anderes historisches Schiff, die „Marxen“. Das Lotsenboot liegt im Ellerholzhafen und lässt sich im Binnenhafen regelmäßig zu den Festen sehen. Ein zweites historisches Schiff könne er nicht unterhalten – er möchte es in gute Hände geben. Der Rumpf der „Pottwal“ sei okay, an Deck „müsse einiges gemacht werden“, so Lührs. Inklusive zweier Originalmaschinen (je 300 PS, eine komplett, eine zerlegt) hofft er auf einen Verkaufspreis von „eben unter 30.000 Euro“. Zunächst wird der alte Kutter seinen Platz am Nordufer der Schlossinsel behalten. Lührs: „Das Schiff hat alle nötigen Papiere, gültig bis Ende 2018. Damit erfüllt es die Minimalvoraussetzungen, um auf einem Behördenplatz liegen zu dürfen.“
Die „Gloria D.“ musste abgeschleppt werden
Jörg Penner, Dezernatsleiter für Wirtschaft, Bauen und Umwelt des Bezirks, kann mit der „Pottwal“ noch eine Weile leben: „Das ist formal ein schönes Schiff, nur ein bisschen rostig.“ Wichtig sei ihm das Schwimmfähigkeitszeugnis, denn er möchte auf keinen Fall eine zweite „Gloria D.“ an den Dalben liegen haben. Das herunter gekommene ehemalige Seebäderschiff war im Juli 2012 mit Ach und Krach aus dem Binnenhafen heraus bugsiert worden – mit Schlepperhilfe. Ein Versuch, es aus eigener Kraft zu schaffen, war ein paar Tage zuvor krachend gescheitert: Wegen eines technischen Defekts lief die „Gloria D.“ aus dem Ruder und beschädigte Boote an der Steganlage des Yachtzentrums Harburg.
Auch Binnenhafen-Kenner Werner Pfeifer mag die „Pottwal“. Sie sei ein schöner, traditioneller Kutter, „so ein Fisherman’s Friend-Schiff“, wie es auf der Verpackung der scharfen Pastillen dargestellt ist. „Wenn ich die Fischhalle nicht erworben und restauriert hätte, hätte ich den Kutter gekauft“, sagt der Journalist und Musiker.
Vor seiner Fischhallentür, an der Kaimauer des Kaufhauskanals, lagen bis vor wenigen Wochen ebenfalls drei heruntergekommene Schiffe. Sie mussten den beginnenden Arbeiten zur Kaimauersanierung weichen. Das Wasserrecht für den kleinen befahrbaren Abschnitt des Kanals, der an der Straße Kanalplatz endet, besitzt Hugo Hoge. „Die Barkasse wurde zum Laufen gebracht, sie geht in die Ostsee“, sagt Hoge, „und der alte Segler liegt jetzt am Treidelweg.“ Die Stege hätten nur neu beplankt werden müssen, doch fand sich kein Abnehmer – „die werden jetzt abgewrackt“, so Hoge. Er bewohnte bis vor ein paar Jahren den Kutter „Alfred K.“.
Auch Andreas Behn, der die Liegeplätze am Treidelweg vermietet, könnte in ein bis zwei Jahren sein Wasserrecht verlieren, zumindest vorübergehend. Denn auch dort soll die Kaimauer saniert werden, und womöglich wird danach auf der dahinter liegenden Fläche der Harburger Beach Club wieder belebt. Doch das ist Zukunftsmusik.
Noch liegt an der maroden Kaimauer des Treidelwegs eine bunte Mischung aus liebevoll gepflegten und ziemlich herunter gekommenen Schiffen, mal Segel-, mal Motorboote, dazu eine alte Arbeitsschute, die als schwimmender Hobbyraum genutzt wird. „Das was da liegt, ist alles schwimmfähig. Das beruhigt mich. Aber ein bisschen ansehnlicher könnte es bei mir noch werden“, sagt Behn. Er spielt auf einen Vorfall im November 2014 an: Damals sank der Holzkutter „Chap“ am Treidelweg und war danach nicht mehr zu retten.
Er freue sich über jeden zahlenden Kunden, sagt der Unternehmer. Ab und an hätten Boote einfach festgemacht, ohne sich zu melden. „Hinter einem Eigner habe ich zwei Monate hergesucht, um ihm mitzuteilen, dass er an einem kostenpflichtigen Liegeplatz festgemacht hat.“ Bootseigner, die mit der Instandhaltung ihrer schwimmenden Lebensaufgaben nicht klar kommen, nennt er „Krampfkadetten“. Viele wollten ein möglichst großes Schiff haben, ohne zu verstehen, dass mit der Größe auch die Unterhaltungskosten und Zeit zunehmen, die in das Gefährt hingesteckt werden müssten.
Andreas Behn hatte mit seiner Lebensgefährtin Heike Hübner bis Mitte 2016 die Kaffeerösterei Fehling im Lotsespeicher auf der Schlossinsel geführt und musste den Standort, den er 1999 bezogen hatte, auf Betreiben des Vermieters schweren Herzens räumen. Nun beliefert Behn seine Kundschaft vom neuen Standort in Schöneberg bei Lübeck aus und ist zweimal in der Woche im Binnenhafen. Er möchte sein Wasserrecht am Treidelweg auf jeden Fall behalten.
Gut erhaltene Traditionsschiffe sind im Binnenhafen vor allem im Museumshafen Harburg zu sehen. Wer noch nicht restauriert ist, muss draußen bleiben. „Solche Schiffe schließt unsere Satzung aus“, sagt Gorch von Blomberg vom Museumshafen. „Aber sie gehören in den Binnenhafen. Es sind Traumschiffe von Leuten, die mit ihnen etwas Großes vor haben, aber lange dazu brauchen – oder nie fertig werden.“
Die Hafen-Geschichte:
Die Elbnähe war ein wichtiger Faktor für die rasche und umfassende Industrialisierung Harburgs ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das ehemalige Stadtzentrum rund um Schlossinsel wurde von Industriebauten und Verkehrsadern beherrscht.
In den 1970er-Jahren schlossen mehr und mehr Betriebe oder verlagerten ihre Produktion. Teile des Binnenhafens verödeten. 1990 gründete sich an der Harburger Schloßstraße das MAZ (Mikroelektronik-Anwendungszentrum Hamburg). Es war der erste Baustein zum aufstrebenden Technologie-Quartier.