Harburg. Der Stadtteil ist im Hamburger Vergleich überdurchschnittlich stark betroffen – Tafel, Suppenküche und FairKauf-Sozialkaufhaus helfen

Warum hat Gott Adam eine Rippe geklaut und daraus eine Frau gemacht? Um zu zeigen, dass bei Diebstahl nichts Vernünftiges herauskommen kann! Manfred Meier ist an diesem Morgen zu Scherzen aufgelegt. Während er auf seinen Kaffee wartet, unterhält er die Helferinnen in der kleinen Küche im Keller der katholischen Kirchengemeinde St. Maria am Harburger Museumsplatz mit Witzen. Meier, der in Wahrheit anders heißt, ist regelmäßig in der dortigen Suppenküche anzutreffen. Die meisten, die herkommen, sind arm oder armutsgefährdet.

Damit geht es ihnen wie etwa jedem siebten Einwohner der Hansestadt, 14,9 Prozent der Hamburger sind laut Statistischem Bundesamt von Armut bedroht. Gemeint sind alle, die über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens verfügen. Gefährdet sind vor allem Arbeitslose und Alleinerziehende. In Harburg gibt es im Vergleich zu anderen Teilen der Hansestadt besonders viele Arbeitslose, 2016 waren es laut dem Statistikamt Nord 8,2 Prozent. Fast jeder Fünfte empfängt hier Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II), doppelt so viele wie im Rest der Stadt.

Auch Susanne Fischer bekommt Unterstützung vom Staat. Fischer, die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, arbeitet als Hauswirtschafterin, zum Leben reicht ihr der 450-Euro-Job nicht. Das Gehalt der Neugrabenerin wird mit ihrem Hartz-IV-Satz verrechnet, 409 Euro sind das im Monat. Von den 20 oder 30 Euro extra kann sich Fischer Dinge leisten, die sonst nicht möglich sind – etwa den Besuch im Schwimmbad, ein kleiner Luxus. Vom Regelbedarf müssen neben Lebensmitteln auch Strom, Versicherung, Telefon oder Fahrkarten bezahlt werden.

„Es bleibt nichts übrig“, sagt Fischer, obwohl sie eisern spare. Mit ihrer Situation hat sie sich arrangiert, ihre Erwartungen heruntergeschraubt. Der Traum von einem Konzertbesuch in der Elbphilharmonie ist illusorisch, auch ins Musical kann sie nicht mehr gehen. Und wenn ihre Freunde Essen gehen, erzählt Fischer, werde sie schon gar nicht mehr gefragt. Es ist die gesellschaftliche Teilhabe, die auf der Strecke bleibt.

Viele Menschen ausOsteuropa gehen zur Tafel

Ein Donnerstagmorgen, es ist kurz vor 10 Uhr. Vor einem unscheinbaren Holzhaus sitzen gut ein Dutzend Menschen. Vor ihnen, akkurat aufgereiht, steht eine Schlange leerer Einkaufstrolleys. Erst in einer Stunde öffnet die Harburger Tafel, aber manche sind schon seit Stunden da. Drinnen herrscht reges Treiben. Marita Kloth-Vogt leitet die Ausgabe an diesem Tag. Für zwei Euro bekommen die Kunden eine Kiste voller Lebensmittel. Es sind vor allem Menschen aus Osteuropa und Flüchtlinge, die herkommen. Andere kommen nicht, obwohl der Bedarf da wäre. „Viele wollen nicht betteln gehen, nachdem sie ihr ganzes Leben gearbeitet haben“, erzählt eine Helferin. Kloth-Vogt ist es wichtig, dass hier niemand das Gefühl hat, Mensch zweiter Klasse zu sein. „Jeder kann in diese Situation kommen.“ Sie weiß das aus eigener Erfahrung, sie war selbst mal arbeitslos.

Auch im FairKauf-Sozialkaufhaus am Rande der Harburger Innenstadt werden Waren wesentlich günstiger angeboten als anderswo. Es gibt Möbel, Hausrat, Kleidung – und die Nachfrage steigt laut Marianne Sorokowski, die das Kaufhaus gemeinsam mit Heinz Schramm leitet. Die meisten Mitarbeiter werden vom Jobcenter vermittelt, oft handelt es sich um Ein-Euro-Jobs. „Es geht darum, aus der sozialen Isolation herauszukommen“, sagt sie.

Dass eine sinnvolle Beschäftigung einen großen Unterschied machen kann, hat auch Jörg Petersen erlebt. Der 46-Jährige hat dreieinhalb Jahre in der Hamburger Innenstadt auf der Straße gelebt. Er habe über seine Verhältnisse gelebt, erzählt Petersen, falsche Freunde gehabt. Die Zeit auf der Straße, erzählt er, sei hart gewesen: „Ich war ganz unten.“ Er erzählt von Wintern, in denen das Thermometer nicht über minus zehn Grad geklettert ist, von der Feuchtigkeit, die in der Nacht in den Schlafsack hineinkroch und tags nicht wieder weichen wollte.

Er erzählt von Tritten, durch die er geweckt wurde, von denen, die ihn mit Müll beworfen haben. Aber es gab auch die, die gut zu ihm waren. Einmal ist er aufgewacht und vor ihm stand eine Kiste mit Lebensmitteln und selbst gestrickten Socken. Heute verkauft Petersen das Obdachlosen-Magazin Hinz & Kunzt vor dem Aldi-Markt in Hittfeld. Das bringt ihm nicht nur Geld, sondern steigert auch sein Selbstwertgefühl. In Hittfeld kennt man ihn, an allen sechs Verkaufstagen steht er vor Aldi – „und wehe, du tauchst mal nicht auf“. Seit vier Jahren hat er wieder eine Wohnung. Damit hat sich seine Perspektive verändert. „Auf der Straße fragt man nicht nach morgen. Man hofft nur, dass man nachts nicht beklaut wird und am nächsten Morgen wieder aufwacht.“

Manche arbeiten Vollzeit – trotzdem reicht es nicht

Es gibt viele Gründe für Armut. Viele Betroffene seien unzureichend qualifiziert, sagt Karen Spannhake von der Stadtteildiakonie Süderelbe, die Menschen in jeder Lebenslage berät. Und dann ist da noch der Mindestlohn: „Damit kann man nichts werden in diesem Land“. Es gibt auch die, die Vollzeit arbeiten, aber bei denen es trotzdem kaum zum Leben reicht. Viele, sagt Kloth-Vogt von der Tafel, wirtschafteten jedoch auch falsch.

„Nicht alle sind vom Staat verlassen“, sagt Angelika Köchling von der Suppenküche. „Es gibt auch viele, die nicht arbeiten wollen – oder können.“ Armut zeigt sich für Köchling nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch auf der sozialen Ebene. Die Helferin überreicht einem Mann einen Kaffee und ein Stück Kuchen. „Der ist ganz weich“, sagt sie, weich genug für schlechte Zähne. Viele hier seien krank, erzählt Köchling. Andere haben Suchtprobleme. Manche kommen jeden Tag und dann nicht mehr. Dann stellen die Ehrenamtlichen Nachforschungen an. Manchmal gehen sie dann auch auf eine Beerdigung.