Auf 966 Fällungen seit Januar 2016 kommen lediglich 383 Nachpflanzungen. Gleichzeitig steigen die Ausgaben für die Pflege alter Bäume.

Mit Beginn der kalten Jahreszeit kreist auch im Bezirk Harburg wieder die Motorsäge. 391 Bäume sollen in diesem Jahr auf öffentlichem Grund gefällt werden. Im vergangenen Jahr waren es 575 Fällungen an Straßen, in Grünanlagen, auf Friedhöfen, Spielplätzen und Kleingärten. Damit wurden im Bezirk seit Anfang 2016 insgesamt 966 gefällt. Doch nur 383 Bäume werden bis Frühjahr 2018 nachgepflanzt. 583 Bäume werden nicht ersetzt.

Grund für die Fällungen sind neben Schädlingsbefall, Schäden durch Streusalz oder zu dichtem Bestand vor allem Maßnahmen und Bauvorhaben im Bereich der Velorouten, Überfahrten und der zweiten Rettungswege. „Auch Baumaßnahmen im Wohnungsbau und Nachverdichtung führen zu Veränderungen“, sagt Bezirksamtssprecherin Bettina Maak. „Standorte fallen damit weg.“

Hinzu kommt, dass die Bezirksverwaltung zu wenig Geld im Haushaltsbudget hat, um ausreichend nachzupflanzen. Nach Angaben des Bezirksamtes betragen die Rahmenzuweisung der Behörde für Umwelt und Energie für Harburg in diesem Jahr 53.000 Euro, der Sonderfonds 350.000 Euro für Baumpflanzungen. „Für 2017 sind diese Mittel erschöpft“, so Bettina Maak.

Gleichzeitig wird der Erhalt bestehender Bäume immer kostenintensiver. Die Ausgaben für die Pflege der 41.000 Einzelbäume auf öffentlichem Grund stiegen in den vergangenen Jahren stetig an. Im laufenden Jahr liegen die Kosten bei 634.000 Euro. Das sind 79.000 Euro mehr als 2014.

„Es ist wichtig, in den Bestand alter, großer Bäume zu investieren, weil die ökologische Wertigkeit eines solchen Baumes nicht durch die Nachpflanzung eines jungen Baumes kompensiert werden kann“, sagt Jürgen Marek, umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bezirk Harburg.

„Gleichzeitig sehen wir die Abnahme des öffentlichen Baumbestandes als problematisch. Gerade in der Stadt spielen Bäume auch für das Mikroklima und die Luftreinigung eine große Rolle.“ Zwar seien die Fällungen im Bezirk begründet, es müsse aber viel mehr nachgepflanzt werden.

Diese Trauerbuche wurde um 1901 gepflanzt und verdient besondere Pflege. Sie steht auf dem alten Harburger Friedhof an der Bremer Straße
Diese Trauerbuche wurde um 1901 gepflanzt und verdient besondere Pflege. Sie steht auf dem alten Harburger Friedhof an der Bremer Straße © HA | Hanna Kastendieck

Kay Wolkau, Bezirksfraktionsvorsitzender der Neuen Liberalen, bezeichnet den massiven Baumschwund als „nicht hinnehmbar“. „Hamburg als ‘grüne Großstadt’ ist in Gefahr. Statt die gesamte Stadt zuzubauen, brauchen wir hochwertige Grünflächen. Die wirtschaftlichen Interessen der Investoren scheinen den Entscheidern meist wichtiger als Rücksichtnahme auf Bäume.“

Beispiele für diese negative Entwicklung gebe es auch in Harburg genug: Massiver Wohnungsbau in der Knoop­straße/Ecke Finanzamtsknoten oder Harburger Schloßstraße/Ecke Kanalplatz. „Überall müssen Frei- und Grünflächen weichen“, kritisiert Wolkau. „Wenn sich Baumfällungen an Straßen aus Sicherheitsgründen nicht vermeiden lassen, muss vor allem konsequent und zeitnah nachgepflanzt werden.“

Eine Erhöhung der Rahmenzuweisungen an die Bezirke wäre daher wichtig. So könnte zum Beispiel das Sonderprogramm Naturcent, welches vom Hamburger Senat aufgelegt wurde, einen Beitrag dafür leisten, dass mehr Bäume als bisher nachgepflanzt werden.

BUND fordert ein Umdenken in Sachen Baumschutz

Wenn wir den gelebten und aktiven Klimaschutz wirklich ernst nehmen, müssen wir zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen, Eventuell auch durch neue Mittelauf- und Umverteilungen“, so die Forderung vom Grünen-Umweltexperten Jürgen Marek. „Die Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens ist nicht umsonst zu haben, auch nicht im Kleinen.“

„Wir fordern die Umweltbehörde seit Jahren auf, mehr Gelder zur Verfügung zu stellen, damit Nachpflanzungen von gefällten Straßenbäumen nicht nur noch bei Sonderaktionen wie ‘Mein Baum - meine Stadt’ erfolgen“, sagt Jörn Lohmann, Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke im Bezirk Harburg. „Gerade für eine Großstadt sind Bäume wichtig. Sie verbessern nachhaltig das Stadtklima und tragen wesentlich zum Wohlbefinden der Bürger bei.“

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fordert seit längerem ein Umdenken in Sachen Baumschutz. „Der Trend ist auch im Bezirk Harburg negativ“, sagt der Hamburger Landesgeschäftsführer Manfred Braasch. „Seit Jahren werden mehr Straßenbäume und Bäume im öffentlichen Grün gefällt als nachgepflanzt.“

Und das, obwohl sich die rot-grüne Regierung in Hamburg in ihrem Koalitionsvertrag „zum Erhalt des Straßenbaumbestands und dessen qualitativer Entwicklung und Pflege“ bekannt habe. „Die Bemühungen zur Behebung des Nachpflanzdefizits durch Ersatzpflanzung, die geeignete Standortsuche und die Neuschaffung von Standorten werden mit Nachdruck vorangetrieben“, heißt es dort.

Soweit die Theorie. Die Praxis aber sieht anders aus. „Senat und Bezirke müssen genug personelle und finanzielle Mittel zu Verfügung stellen, damit jeder Baum, der im öffentlichen Raum gefällt wird, auch ersetzt werden kann“, so Braasch. „Und der Baumerhalt muss – gerade bei großen Bäumen – gezielt gefördert werden.“

Damit Fällungen und Pflanzungen wieder im Gleichgewicht stehen, will die CDU-Fraktion im Bezirk für die Saison 2017/2018 vorbeugen und mit einem Antrag dafür sorgen, dass künftig auf jeden gefällten Baum ein neuer kommt. „Wir werden bei der Behörde entsprechende Mittel beantragen“, sagt Berthold von Harten, Fachsprecher des Ausschusses Wirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz. „Und wir erwarten, dass erst gefällt wird, wenn die Finanzierung der Nachpflanzungen gesichert ist.“ BUND-Chef Braasch geht sogar noch einen Schritt weiter. „Bei großen Bäumen ist ein Ersatz von eins zu drei oder mehr sinnvoll.“

Flächen gebe es im Bezirk genug, da sind sich die Parteien einig. „Und falls es doch eng werden sollte, müssen wir vermehrt auch Dächer bepflanzen“, sagt Linke-Fraktionschef Jörn Lohmann. Entsprechende Förderprogramme zur Dachbegrünung gebe es in Hamburg bereits. Lohmanns Idee ist allerdings nicht ganz neu. Der österreichische Künstler Friedensreich Hundertwasser formulierte bereits 1986: „Dachbegrünungen sind die Dachbedeckungen der Zukunft. Einen Wald auf dem Dach zu haben wird selbstverständlich sein.“

Baumfällung

Die Fällsaison beginnt am 1. Oktober und endet am 28. Februar. Für Fällungen auf Privatgrundstücken muss eine Genehmigung vorliegen

Die Fäll-Listen der Bezirke werden regelmäßig im Transparenzportal veröffentlicht unter http://transparenz.hamburg.de/

Die automatische Ansage des Baumschutz-Infotelefones informiert bei Fragen zum Baumschutz unter Tel. 4 28 71- 2532