Urban Sketching ist ein Trend unter Hobbyzeichnern. In der achten Folge unserer Serie zeigen vier Zeichner ihren Blick auf den Hanburger Süden.
Wer sich mit Bendestorf beschäftigt, kommt an den Filmstudios nicht vorbei. Das Studio Bendestorf war in der Nachkriegszeit einer der wichtigsten Standorte der westdeutschen Filmproduktion. Stars wie Hildegard Knef, Zarah Leander und Johannes Heesters gaben sich hier die Klinke in die Hand. Rolf Meyer, der das Filmstudio und seine Produktionsgesellschaft Junge-Film-Union Ende der 1940er-Jahre gegründet hatte, produzierte Filme wie „Melodie des Schicksals“, „Die Sünderin“ oder „Sensation in San Remo“.
Da ist es ziemlich naheliegend, dass sich die Urban Sketchers auf die Filmstudios als Motiv stürzten. Urban Sketching ist eine internationale Bewegung, die das Hamburger Abendblatt lokal aufgreift. Die vier Zeichner Doris Schliemann aus Meckelfeld, Tine Beutler aus Buxtehude, Thorsten Kleier aus Buchholz und Elke Schmidt aus Hollenstedt präsentieren in einer zehnteiligen Serie ihr Bild vom Hamburger Süden.
Für Thorsten Kleier war von Anfang an klar, dass er in Bendestorf die Filmstudios zeichnen werde. „Ich finde, dass sie etwas sehr bedeutendes für den kleinen Ort sind, da hier die Filmgeschichte der Nachkriegszeit geschrieben wurde“, sagt Kleier.
Aktuell ist aber klar: Ein Teil dieser Zeugnisse wird in den nächsten Tagen unwiderruflich verschwinden. Die Fink GmbH & Co KG hat einen Großteil der Fläche am Schierenberg vor wenigen Tagen an Investoren verkauft. Dort sollen 30 hochwertige Wohnungen unter der Regie des Projektentwicklers Friedrich W. Lohmann entstehen. Das bedeutet zugleich das Aus für die Halle A1 des ehemaligen Filmstudios. „Die neuen Eigner werden die Halle rigoros abreißen“, sagte Walfried Malleskat, Vorsitzender des Freundeskreises Filmmuseum. Lange hatte er für den Erhalt des ganzen Komplexes mit Atelierhalle und dem Gebäude für die Postproduktion gekämpft.
Doch obwohl die Reemtsma-Stiftung 50.000 Euro in Aussicht gestellt habe, sei keine Mehrheit zur Rettung der Produktionswerkstatt des deutschen Nachkriegsfilms im Gemeinderat zustande gekommen, sagte Malleskat. Lediglich das Filmmuseum bleibt erhalten.
„Dass die restlichen Gebäude der Studios abgerissen werden sollen, finde ich sehr bedauerlich“, sagte Thorsten Kleier. „Ich hätte mir gewünscht, dass dieser historische Ort weiter genutzt würde.“ Aus wirtschaftlicher Sicht sei das sicher problematisch. „Aber vielleicht fehlt hier auch nur die zündende Idee und der entsprechende Investor“, sagte Kleier.
Doch Walfried Malleskat hat inzwischen resigniert. „Es macht keinen Sinn mehr, dagegen vorzugehen. Wir sind machtlos“, sagte er dem Abendblatt. „Der Bebauungsplan ist rechtsgültig. Die Filmstudios interessieren niemanden mehr.“
Was allzu pessimistisch klingt, hat offenbar einen wahren Kern. Die Erinnerung an das Heide-Hollywood aus vergangenen Tagen verblasst offenbar allmählich. Das war zumindest der Eindruck der Zeichnerin Elke Schmidt. „Als ich kürzlich mit jüngeren Leuten darüber sprach, war denen die Existenz der Studios gar nicht bekannt“, sagte sie.
Zeichnungen sind ein Zeugnis der wahrhaftigen Umgebung
Das einzige, das vom Studiokomplex bewahrt wird, ist ein Gebäude, in dem das Anfang des Jahres neu eröffnete Filmmuseum untergebracht ist. Dank des Engagements des Freundeskreises und mit Hilfe von Fördergeldern aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung konnte das Filmmuseum realisiert werden. Die Gemeinde steuerte 12.500 Euro bei. Der Freundeskreis selbst hat 50.000 Euro aufgebracht.
Herzstück des Museums ist das historische Produzentenkino, indem regelmäßig Filme gezeigt werden. So zeigt das Filmmuseum den Streifen „Eva Hesse“ am Donnerstag, 12. Oktober, 19 Uhr, in der Reihe Film und Kunst. „ Das Kino ist ein Juwel“, sagt Malleskat. Doch offenbar auch eines, um dessen Zukunft er bangen muss. „Um das Kino zu erhalten, sind weitere Investitionen nötig“, sagt Malleskat.
Der Vorsitzende des Freundeskreises schätzt die Kosten auf eine fünfstellige Summe. Malleskat hofft jetzt auf regionale Zuschüsse. Zumal zusätzliches Geld noch nötig sei, um das Erdgeschoss des Gebäudes herzurichten. Hier möchte der Freundeskreis unter anderem Ausstellungen realisieren.
Ausgerechnet in diese emotional aufgeladene Situation mit aktueller Brisanz stießen die Urban Sketchers bei ihrer Suche nach einem Motiv in Bendestorf. Da die Hallen in nur wenigen Tagen abgebrochen werden sollen, sind ihre Zeichnungen um so mehr ein Zeitzeugnis der Entwicklung im urbanen Raum.
Das ist es auch, was das weltweit gültige Manifest des Urban Sketching vorschreibt: Dass die Zeichnungen ein Zeugnis der wahrhaftigen Umgebung sind. Die Urban Sketchers dürfen lediglich das skizzieren, was sie beobachten und dabei weder ihrer Fantasie freien Lauf lassen noch Fotos als Vorlage nutzen.
Abseits des verblassenden Heide-Hollywoods haben die Urban Sketchers den Ort Bendestorf als sehr beschaulich wahrgenommen. „Der Ort strahlt eine gewisse Ruhe aus, mit seinen teils sehr alten und schönen Fachwerk- und Backsteinhäusern“, sagte Thorsten Kleier. Diese Idylle haben Tine Beutler und Doris Schliemann in ihren Zeichnungen eingefangen. Tine Beutler ist extra ein zweites Mal nach Bendestorf gefahren, um die Wassermühle näher anzusehen und zu zeichnen. Doris Schliemann zeichnete ein altes Bauernhaus.
Ihr fielen bei der Suche nach Motiven die feinen Häuser und Villen auf. Laut dem Spiegel soll Rolf Meyer mit dem Architekten Carlos Dudek den Bau von Villen mit Schwimmbad, unter anderem für einen Filmkomponisten, angeschoben haben. Nicht nur auf dem Filmstudiogelände entfaltete das Geschäft mit den Stars also seine Wirkung. Die Filmära prägte ganz Bendestorf.
Die Serienteile:
1. Harburg
2. Hollenstedt
3. Buxtehude
4. Winsen
5. Neu Wulmstorf
6. Buchholz
7. Hoopte
8. Bendestorf
9. Jesteburg
10. Hittfeld
Die Historie
Gabriel Campanario, spanischer Journalist aus Seattle, USA, gründete die Urban-Sketchers-Bewegung im Jahr 2007. Sie startete zunächst als Internetgemeinschaft auf Flickr, einer Online-Fotoplattform. Als Tausende Menschen ihre Skizzen posteten, rief Campanario eine gemeinnützige Organisation ins Leben. Er gründete einen Urban Sketchers Blog, auf dem sich 100 Zeichner aus der ganzen Welt verpflichteten, regelmäßig ihre Zeichnungen zu zeigen und zu erläutern.
Der Blog zieht inzwischen täglich Tausende Besucher an. Die Zeichner vernetzen sich zudem untereinander über unterschiedliche soziale Netzwerke, etwa über Twitter, Facebook oder andere Blogs.
Thorsten Kleier
„Es ist schon ein besonderes Gefühl, an dem Ort zu stehen, wo einst bedeutende Schauspieler ein- und ausgingen. Wer die Studios besuchen möchte, sollte sich unbedingt einer Führung anschließen und sich von jemandem, der die Zeit und den Ort selber miterlebt hat, live berichten lassen. Vielleicht organisiere ich ein Treffen der Urban Sketchers aus Hamburg an diesem Ort.
Ich könnte mir vorstellen, dass viele gerne hier zeichnen und etwas mehr aus der Ausstellung erfahren möchten. Ich habe dieses Mal Aquarellpapier, mit dem es sich einfach besser arbeiten lässt, und ein anderes Skizzenbuchformat verwendet.
Die Zeichnung ist mein Versuch, die triste Lost-Place-Stimmung mit den schmuddeligen Grautönen und den wenigen Farben wiederzugeben.“
Elke Schmidt
„Bendestorf hat sich mir als etwas verschlafener Ort präsentiert. Ob es sich dort gut leben lässt, kann ich nicht beurteilen. Mir würden aber beispielsweise Einkaufsmöglichkeiten fehlen. Die Filmstudioanlage wirkte sehr heruntergekommen. Die große Kamera steht direkt vor dem Museum. Sie mutet recht vorsintflutlich an, aber es ist sind ja auch gefühlte 100 Jahre dort keine Aktivitäten mehr.
Die Halle A 1, die als Aufnahmehalle diente, gammelt ziemlich vor sich hin, lässt aber ahnen, dass sie einmal ein Schmuckstück war.
Für die meisten Menschen sind die Nachkriegsfilme heute nicht mehr von so großem Interesse, denke ich.“
Tine Beutler
„Mein Bild ist am Angelsee in Bendestorf entstanden. Dort steht die alte Wassermühle, die aber schon längere Zeit nicht mehr gewerblich genutzt wird. An dem Tag, als ich dort war, hatte ich Glück mit dem Wetter. Die Sonne schien hin und wieder, und durch die ruhige Wasseroberfläche des Sees ergab sich eine schöne Spiegelung.
Zwischendurch zog ein Schwarm Wildgänse über mich hinweg. Idylle pur. Es waren viele Angler am See und ich genoss die ruhige Stimmung. Ich habe festgestellt, dass Angler sehr naturverbundene und entspannte Menschen sind. Ist schon faszinierend mit welch einer Ruhe und Geduld die Leute dort stehen und auf den spannenden Moment des Bisses warten. Diesmal habe ich mich aufgerafft und mit Füller gezeichnet. Das ist mittlerweile der dritte Füller den ich mit wasserfester Tinte teste, diesmal mit Erfolg.“
Doris Schliemann
„Ich hatte schon viel vom Studio Bendestorf, Heide-Hollywood genannt, gehört. Dass damals Nachkriegsfilme gedreht wurden, war mir bekannt und ich wollte dort gerne zeichnen. Doch es war leider geschlossen, weil abends ein Film vorgeführt wurde von Paula Modersohn-Becker.
Da stand ich nun, und es regnete. Auf der weiteren Motivsuche kam ich zum Hof Meinsbur, ein prächtiges Beispiel eines niedersächsischen Bauernhauses mit einem tiefen Strohdach, das bereits zweimal dem Feuer zum Opfer gefallen war, aber wieder aufgebaut wurde.
Sämtliche Antiquitäten konnten gerettet werden. Ich skizzierte dann aus dem Auto heraus. Nach oben blickend zog mich der Giebelschmuck, ein Pferdeemblem, in den Bann.“