Harburg/Buchholz . Konsequenzen aus Unwetter: Metronom und Pro Bahn fordern baumfreie Schneisen neben den Gleisen für freie Fahrt der Züge.
Nachdem Sturmtief „Xavier“ über Norddeutschland hinweggefegt ist und der Bahnverkehr im Harburger Umland auch gestern – vier Tage nach dem Unwetter – auf einigen Streckenabschnitten immer noch nicht reibungslos funktionierte, wird der Ruf nach Konsequenzen laut. Die Metronom Eisenbahngesellschaft und der Fahrgastverband „Pro Bahn“ machen vor allem die DB Netz für das Chaos auf den Schienen verantwortlich.
Sie fordern einen „Orkangipfel“. Der Landkreis Harburg sieht die niedersächsische Umweltbehörde in der Pflicht. Und: Die CDU der Stadt Buchholz, die von den Chaostagen besonders betroffen war, brachte gestern einen Antrag in den Umweltausschuss der Stadt ein. Tenor: Die Baumschutzordnung soll geändert werden.
Zwar sind die meisten umgestürzten Bäume an den Bahnstrecken inzwischen beseitigt. Aber auch gestern konnten einige Haltepunkte wie Hitfeld und Klecken immer noch nicht von den Zügen angefahren werden. Ein Ersatzverkehr mit Bussen wurde eingerichtet. Auf anderen Strecken kam es erneut zu Verspätungen.
Angesichts der Folgen des Sturmtiefs Xavier für den Bahnverkehr bekräftigte „Pro Bahn“ die Forderung nach einem „Runden Tisch Sturm und Orkan“. Dort sollen Vertreter der Bahn-Infrastruktur, Verkehrsunternehmen, Politik, Kundenverbände und Naturschutzverbände beraten, was verbessert werden kann, um den Bahnverkehr zuverlässiger und wetterfester zu machen und die „Kundeninformation bei Großstörungen“ zu verbessern.
„Kaum ziehen Herbststürme auf, kommt es entlang der Eisenbahnstrecken in Niedersachsen immer wieder zu massiven Behinderungen durch umgestürzte, auf den Gleisen liegende Bäume oder Äste“, sagt der Sprecher der Metronom-Eisenbahngesellschaft, Björn Pamperin. Für ihn ein untragbarer Zustand. Immer wieder stürzen bei Unwetter Bäume und Äste auf Gleise. Die Folge sind langanhaltende Streckensperrungen und Tausende wartende Fahrgäste.
„Bisher gab es glücklicherweise noch keine größeren Unfälle, trotzdem ist nicht nur der wirtschaftliche Schaden groß“, betont Pamperin. Die Strecken müssten in einem Zustand sein, der „jederzeit eine sichere, verlässliche und pünktliche Fahrt“ zulasse. Dazu gehöre ein regelmäßiger präventiver Grünschnitt entlang der Strecken.
Die von Bäumen auf den Bahnbetrieb ausgehenden Gefahren müssten konsequent beseitigt werden. „Dazu darf 15 Meter rechts und links von den Bahngleisen kein Baum stehen. Das ist eine einfache und effektive Lösung“, fordert der Unternehmenssprecher im Abendblatt.
Verantwortlich für den Grünschnitt entlang der Schienen ist der Eigentümer und Betreiber der Gleisanlagen, die DB Netz. Den Interessen der Eisenbahngesellschaften stehen aber häufig die Interessen des Natur- und Umweltschutzes entgegen: Grünschnitt an Bahnanlagen bedeutet auch, vom Umsturz bedrohte Bäume zu fällen.
„Wir fordern, dass die betroffenen Verkehrsunternehmen, Behörden und Umweltschutzorganisationen und die DB Netz AG einen Weg zu einer engeren Zusammenarbeit finden. Gemeinsam müssen wir Lösungen finden, die einen sicheren und zuverlässigen Eisenbahnverkehr auch bei Sturm und Regen gewährleistet“, so Pamperin.
Die Bahn sei eines der umweltfreundlichsten Verkehrsmittel. Der Flächenverbrauch der Bahn sei selbst mit „ordentlichem Grünschnitt“ deutlich kleiner als die Straße. „Wir befürchten aber, dass Fahrgäste, die zu lange in Sturm und Regen am Bahnsteig warten mussten, das Vertrauen in die Bahn verlieren auf das Auto umsteigen. Das kann nicht im Sinne der Umweltverbände sein. Wir wollen gerade bei schlechtem Wetter fahren können, als verlässliche Alternative zum Auto“, sagt Pamperin. „Wir müssen jetzt handeln.“
Der Landkreis begrüßt einen „Orkangipfel“. „Es muss etwas geschehen. Wir werden als Landkreis aber nicht initiativ werden“, sagt Landkreissprecher Johannes Freudewald. Das Umweltministerium in Hannover sei gefragt. Es gebe dort bereits eine Arbeitsgruppe. Vom Ministerium gab es dazu bisher keine Bestätigung.
In Buchholz sind vor allem Pendler auf die Bahn angewiesen. „Wir begrüßen einen Runden Tisch. Als Pendlerstadt leiden wir extrem darunter, wenn die Bahn nicht fährt“, sagt Stadtsprecher Heinrich Helms. Die CDU-Fraktion im Stadtrat Buchholz wird konkret und fordert eine Anpassung der Baumschutzsatzung.
Der Rat der Stadt Buchholz soll beschließen, „die Baumschutzsatzung dahingehend anzupassen, dass der Baumschnitt entlang der Bahntrassen durch den Grundstückseigentümer (DB Netz AG) so großzügig wie nötig erfolgen kann“, heißt es in einem Antrag an den Umweltausschuss. Bisher werde die vorsorgliche Baumfällung aufgrund eines umständlichen Genehmigungsverfahrens von der DB Netz selten in Anspruch genommen, betont CDU-Fraktionschef Christian Horend.
„Alle Strecken werden durchgearbeitet, indem auf mindestens sechs Metern rechts und links der Gleise die Vegetation zurückgeschnitten wird“, teilte eine Sprecherin der DB Netz auf Anfrage des Abendblattes mit. Innerhalb der gesetzlichen Vorgaben erfolge eine „regelmäßige Inspektion der Vegetationsbestände“ an den Strecken. Für Neupflanzungen würden nur noch standsichere Baumarten wie Eiche oder Blutahorn eingesetzt.
Im Rahmen des Qualitätsprogramms Zukunft Bahn reagiere die Bahn auf die klimatischen Veränderungen mit Extremwetterlagen. Dazu würden „Hot Spots“ identifiziert – und der Rückschnitt unter Beachtung des Natur- und Umweltschutzes erweitert. „Das heißt, die Bäume werden entsprechend ihrer Höhe und Entfernung zum Gleis im so genannten V-Schnitt beseitigt – und damit auch über die sechs Meter hinaus.“
Sturmbilanz
Mit Orkanböen von mehr als 100 km/h fegte Sturmtief Xavier über das nördliche und östliche Mitteleuropa hinweg. In Harburg und im Landkreis Harburg richtete der Sturm Donnerstagnachmittag zwischen 14 und 16 Uhr erhebliche Schäden an. In Harburg wurden zwei Frauen von Ästen zum Teil schwer verletzt. Der Bahnverkehr brach zusammen.
Xavier erreichte in Berlin in einzelnen Böen sogar Windgeschwindigkeiten von über 130 km/h. Auf dem Brocken (Harz) wurden in der Spitze 177 km/h gemessen.
Insgesamt starben neun Menschen durch die Wirkungen des Sturms – davon sieben in Deutschland und zwei in Polen.
Zehntausende Bahnreisende waren von dem Unwetter betroffen. Im Harburger Umland mussten Hunderte die Metronom-Züge verlassen, die wegen umgestürzter Bäume evakuiert wurden.
Der Autoverkehr war ebenfalls stark betroffen: Autos wurden zerstört, Straßen gesperrt. Auf der A1 bei Hittfeld staute sich der Verkehr nach Baumstürzen auf bis zu zehn Kilometer Länge in Fahrtrichtung Bremen.