Serie „Auf Achse“: Heute geht es mit den Männern von der Stadtreinung durch die Straßen von Bostelbek.

Auf dem Kalender ist noch Sommer. Davon ist bloß gerade nichts zu merken. Dicke, kalte Regentropfen klatschen ins Gesicht, Wind kommt auf und pfeift in den Ohren, die Sonne würde um diese Uhrzeit sowieso nicht scheinen. Die Männer in Orange, die vor einem Gebäude am Neuländer Kamp stehen und rauchen, sind von dem Regen nicht begeistert, aber sie nehmen es gelassen. Sie arbeiten bei jedem Wetter.

Es ist viertel vor sechs und die Schicht der Hamburger Stadtreinigung beginnt mit der Einteilung. Die Disponenten – sie fallen dadurch auf, dass sie keine Signalfarben tragen – müssen hin- und herlaufen, zwischen der Kantine, wo ein Teil der Männer beim Kaffee sitzt, und den Rauchern, die mit Kaffeebecher vor der Tür stehen. In der Kantine riecht es nach Rührei und Speck.

„Jähnke, Sens, Schöps: Bio“, sagt der Disponent. Klaus Jähnke flucht leise. Biotonnen-Touren sind nicht beliebt, deshalb muss jeder sie mal machen. Heute unter anderem Klaus Jähnke, hinten rechts; Stefan Sens, hinten links und Michael Schöps am Lenkrad.

Der Kaffee ist ausgetrunken. Klaus Jähnke holt sich an der Ausgabe ein frisches Paar Schutzhandschuhe und gesellt sich zu den anderen vor der Tür. Die Fahrer sind schon bei den Wagen. Nach und nach blubbern die Diesel an. Wenn die Scheinwerfer eines Autos aufleuchten, ist das das Signal: Zwei oder drei Männer lösen sich aus der Gruppe und gehen zu ihrem Fahrer. Nach wenigen Minuten ist der Hof leer. Auch Jähnke, Sens und Schöps sind unterwegs.

Heute geht es nach Bostelbek und nach Hausbruch. An der Windschutzscheibe schieben die Scheibenwischer die Regentropfen im Halbkreis. Es dämmert langsam. Bis Bostelbek sind es nur ein paar Minuten durch den Binnenhafen und an den Harburger Seehäfen vorbei. Die Männer sprechen über Angeln, den vergangenen Abend und andere Alltagsthemen. Politik kommt später.

Alle drei sind Quereinsteiger bei der Müllabfuhr. Der gelernte Koch Michael Schöps (49) kam über einen Verwandten zur Stadtreinigung. Stefan Sens (38) ist Anlagenmechaniker und zog den festen Arbeitsvertrag dem Leiharbeiterstatus vor. Klaus Jähnke (48) war früher mal Klempner mit Knieproblemen. „Eigentlich war die Stadtreinigung nur als Übergangsjob gedacht“, sagt Michael Schöps, „aber das war 1993.“

Bei der Stadtreinigunghalten die Männer zusammen

Die anderen beiden nicken. Bei ihnen war es ähnlich. Anders als ihr Fahrer haben sie das 25-Jahre-Betriebsjubiläum – es gibt einen Tag Sonderurlaub und ein Frühstück mit der Standortleitung – aber noch vor sich. Was hält sie bei der Stadtreinigung? „Die Kollegen“, sagt Klaus Jähnke, „wir halten alle gut zusammen.“ Obwohl das früher noch besser gewesen sei, so Michael Schöps. „Wenn mal eine Kolonne nicht rechtzeitig zum Feierabend fertig wurde, sind alle anderen hingefahren und haben ausgeholfen. Das gibt es heute fast gar nicht mehr.“

Die erste Tonne der Tour steht am Radeland. Es ist zunächst die einzige weit und breit. Die macht Klaus Jähnke allein: Raus aus der Kabine; Tonne vom Bürgersteig holen; anhängen; Knöpfe drücken zum Hochfahren, Auskippen, Ablassen; Tonne zurück auf den Bürgersteig, rein in die Kabine. Schöps fährt weiter.

Nächster Halt ist der Tempowerkring. Jetzt steigen Stefan Sens und Klaus Jähnke zusammen aus. Michael Schöps fährt von Hausnummer zu Hausnummer. Seine Kollegen holen die Tonnen von beiden Seiten der Straße. Die meisten Biotonnen sind nicht groß. 120 Liter ist das häufigste Maß. Nur selten einmal ist eine 240-Liter-Tonne oder gar ein 500-Liter-Container dazwischen. „Deswegen mag keiner die Biotouren“, erklärt Klaus Jähnke, „es dauert ewig, bis man das Auto voll hat!“

Dafür entfällt die Abholung vom Grundstück. Die Stadtreinigung bietet die grünen Tonnen nur noch mit rotem Deckel an. Das bedeutet „Eigentransport“. Die Kunden müssen die Tonne an den Straßenrand stellen. Tonnen, die nicht wenigstens auf dem Bürgersteig stehen, lassen die beiden Auflader stehen. Das ist Dienstanweisung. Nur die großen Biotonnen ab 500 Liter werden auf dem Kundengrundstück abgeholt.

Ist der Abstand zwischen den Tonnen mal größer, tun Klaus Jähnke und Stefan Schöps das, worum sie alle Hamburger Jungs von Sinstorf bis Sasel beneiden: Sie springen auf die kleinen Gitterplattformen links und rechts neben der Kippvorrichtung hinten am Wagen, halten sich gut fest und fahren ein Stück im Stehen mit. Wenn Michael Schöps an der nächsten Tonne zum Stehen gekommen ist, springen sie wieder ab und machen weiter. Viele solcher Abschnitte hat Bostelbek mit seinen kleinen Siedlungshäuschen auf schmalen Grundstücken aber nicht zu bieten.

Auch für Michael Schöps bedeuten die schmalen Gassen Stress. Nicht alle Anwohner haben ihre Autos so geparkt, dass man mit einem zweieinhalb Meter breiten Lastwagen bequem vorbeikommt. Vor allem in den Kurven nicht. Ein BMW steht so ungünstig, dass Schöps mit dem zehn Meter langen Mercedes Econic zweimal rangieren muss, bis er vorbei ist. Trotz Automatikgetriebe und Servolenkung ist das anstrengend. Erst Recht bei Dämmerlicht und Regen kosten solche Manöver Nerven.

Wenn die Straße frei ist, heißt das nicht, dass Michael Schöps freie Fahrt hat: Nächster Halt: nächste Tonne. Ein paar Meter vor, bremsen. Automatik auf N, abwarten, Automatik auf D, ein paar Meter vor. Wie Stau, nur mit freier Sicht. Den LKW-Führerschein hat Michael Schöps schon bei der Bundeswehr gemacht. „Als Ausgleich zu solchen Tagen fahre ich im Nebenjob an einigen Wochenenden Ferntouren für eine Spedition“, sagt er, „mal nur Ostsee, mal zwei Tage Schweden. Das entspannt wieder.“

Langsam machen sich die ersten Bostelbeker Kinder auf ihre langen Schulwege. Da ist eine Extraportion Vorsicht geboten. Michael Schöps hat sie im Blick, ebenso seine beiden Auflader. Die sieht er vor sich, obwohl sie hinter ihm arbeiten: Eine Kamera im Heck schickt Bilder der beiden auf einen kleinen Monitor im Cockpit.

Bei vollgestopften Tonnenwackelt der ganze Laster

Bei manchen der Tonnen, die Jähnke und Sens in die große Trommel des Lastwagens entleeren, erbebt das ganze Fahrzeug. „Gerade jetzt so zu Sommerende und Herbstanfang fällt bei den Leuten hier viel Gartenabfall an“, sagt Michael Schöps, „und dann sind die 140er-Tonnen doch zu klein. Deshalb stopfen die Kunden den Müll in der Tonne so zusammen, dass wir ihn regelrecht mit der Hebemechanik herausschütteln müssen. Deshalb wackelt das so.“

Klaus Jähnke und Stefan Sens sind mittlerweile eineinhalb Stunden im Regen zugange. Irgendwann kriecht das Wetter auch durch die beste Schutzkleidung. Als mit der Hoffstraße die letzte Bostelbeker Siedlungsgasse abgegrast ist, steigen die Auflader nass und schimpfend in die Kabine. Wie, um sie zu veralbern, hört in diesem Moment der Regen auf.

Die Kolonne fährt zum Kippen. Dafür hat sie zwei Möglichkeiten: Stellingen oder die Peute. Schöps entscheidet sich für Stellingen. Das ist ein Stadtreinigungsstandort mit Kantine, dann können die Männer dort gleich Frühstückspause machen. Auf dem Weg dorthin ist die Bundestagswahl das Thema.

In Stellingen muss Michael Schöps erst einmal den Weg finden. Die Verbrennungsanlage wird abgerissen. Jeden Tag wird der Verkehr auf der Anlage neu geführt. Bio ist ganz hinten in einer halb offenen Halle. Schöps setzt rückwärts hinein. Den etwa drei Dutzend Möwen, die gerade intensiv den säuerlich riechenden Abfall inspizieren, wird das unheimlich. Unter lautem Protest fliegen sie auf. Schöps öffnet die Klappe und lässt die Förderschnecke rückwärts laufen. Der Bostelbeker Biomüll fügt dem fauligen Grundaroma der Halle den Duft von frischem Gartengrün hinzu.

Das Entladen dauert eine Zigarettenlänge. Dann ist Frühstück: Für ‘n Appel und ‘n Ei gibt’s Rührei und Mettbrötchen in der Stellinger Kantine. Dann geht es zurück zu den Tonnen in den Hausbrucher Villenwald. Der Regen hat wieder eingesetzt. Auf dem Kalender ist gerade noch Sommer.