Landwirt zu sein, ist nicht einfach. Dass sich ein Bauer in der Krise behaupten kann, zeigt Biolandwirt Uli Overmeyer aus Emmelndorf. Teil 8: Mittagstisch

Die Latte hat sich Andrea Krantz ziemlich hoch gelegt. Das Essen soll frisch, außerdem schonend zubereitet, trotzdem pünktlich um 12 Uhr fertig sein und für 60 Personen reichen. Ein Spagat. Wenn sie morgens die Küche auf dem Hof der Familie Overmeyer betritt, weiß Andrea Krantz nie, ob sie den hinbekommt. Auch heute nicht. Besorgt schaut sie auf die Temperaturanzeige des Rinderbratens. Mittags sollte die Temperatur im Fleisch mindestens 70 Grad Celsius betragen. Noch sind es 50 Grad. Ob die Zeit reicht?

Erstmal die Rote Bete zu den angeschwitzten Zwiebeln geben. Die roten Würfel leuchten im silberfarbenen Topf. Das Gemüse stammt vom Overmeyer-Hof und kam an diesem Morgen frisch vom Feld. Der Anspruch ist, so viele hofeigene Produkte wie möglich zu verarbeiten. „Für mich ist es eine große Freude, wenn ich das Gemüse und die Kräuter, die Uli mit Herzblut angebaut hat, in der Küche verarbeiten kann“, sagt Andrea Krantz. „Ich denke mir jeden Tag etwas Neues aus und richte mich hauptsächlich danach, was Uli mir bringt.“ Neben der Roten Bete sind das heute Blattsalat, Kohlrabi, Möhren und Zucchini für den Salat. Hofeigenen Sellerie, Möhren und Zwiebeln hat sie für die Zubereitung des Fleischs verwendet.

Die Manufaktur mit angeschlossenem Mittagstisch existiert seit drei Jahren. „Wir wollen damit Landwirtschaft, Verarbeitung und Veredelung vereinen“, sagt Andre van Ravenzwaay, Produktionsleiter und Küchenchef.

Die Manufaktur und der Mittagstisch sind neben Hühnermobil, Gemüsebau, Gallowayherde und Hofladen ein weiterer Geschäftszweig, mit dem Biolandwirt Uli Overmeyer aus Emmelndorf die Eigenständigkeit der Marke Overmeyer stärkt, um sich als landwirtschaftlicher Betrieb besser in der schwierigen Branche behaupten zu können.

Den Anfang machte die Manufaktur, in der Andre van Ravenzwaay aus Gemüse Suppen, Saucen und Brotaufstriche produzierte. „Je mehr eigene Produkte wir haben, desto weniger stehen wir im Wettbewerb mit Lebensmittelketten“, sagt Andre van Ravenzwaay. So ganz nebenbei bot es sich dabei an, das frisch Produzierte direkt an die Kunden im Hofladen zu verkaufen. Erst waren es nur Suppen, dann kam Salat dazu. Später bot es sich an, Fleisch von der Biotheke im Hofladen zu verarbeiten. „Es wurde immer mehr“, sagt Landwirt Uli Overmeyer.

Positiver Nebeneffekt: Gemüse, das im Hofladen nicht so sehr nachgefragt wird, landet nicht im Müll, sondern im Küchentopf. Das gilt auch für verformtes Gemüse. „Blumenkohl, der im Schatten steht und deshalb zu klein gerät, findet oft nicht so viele Abnehmer und kann so in der Küche verarbeitet werden“, sagt Overmeyer.

Drei Gerichte hat die Küche inzwischen täglich im Angebot. Heute stehen Rote Bete mit Pellkartoffeln und Meerrettich-Creme, wahlweise mit oder ohne gekochten Rinderbraten sowie Salat auf dem Speiseplan. Die vegetarische Variante kostet 8,90 Euro, der Rinderbraten 11,90 Euro und der Salat 7,50 Euro.

Aus den Töpfen steigt Dampf auf. Zwiebelgeruch hängt in der Luft. Andrea Krantz wechselt zwischen den Töpfen auf dem Herd hin- und her. Noch ein bisschen Essig an die Rote Bete, dann Schmand in den anderen Topf für die Meerrettich-Creme. Die Creme braucht unbedingt noch mehr Meerrettich. „Wo ist der eigentlich?“, fragt Andrea Krantz und zieht ein paar Schubläden auf. „Ach da.“ Kurz das Fleisch im Ofen mit der Bratensauce übergießen, dann Gewürze zur Roten Bete geben und zwischendrin auch mal abschmecken. Die Pellkartoffeln müssen aus dem Ofen und die Meerrettich-Sauce muss auch mal wieder durchgerührt werden. Temperatur für den einen Topf rauf, für den anderen runter. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.

Nun könnte es sich Andrea Krantz leichter machen und das Essen schon früh am Morgen vorkochen. Doch das widerspricht ihren Prinzipien. „Dann sind alle Vitamine und Mineralstoffe tot“, sagt sie. Andrea Krantz ist Meisterin der Hauswirtschaft und zertifizierte Gesundheits- und Ernährungsberaterin. Sie hatte zuvor in mehreren Großküchen gearbeitet und das frühe Garen und stundenlange Warmhalten der Gerichte miterlebt. Das ging ihr schon immer gegen den Strich. „Eigentlich wollte ich nie wieder kochen, weil ich nichts gefunden habe, was mit meinem Verständnis für Ernährung übereinstimmt“, sagt sie.

Bis Uli Overmeyer ihr vor fast einem Jahr die Stelle in der Küche anbot. Jetzt versucht sie, für die Mittagstischgäste so vielseitig und nahrhaft zu kochen wie sie es für ihre drei inzwischen erwachsenen Söhne gemacht hat. Auf diese Weise setzt sie das um, was ihr schon immer ein Anliegen war: den Menschen dazu zu verhelfen, sich gesund zu ernähren.

Das fängt schon bei Kleinigkeiten an. Die Kartoffeln beispielsweise schon Stunden vorher zu schälen und im Wasser aufzubewahren oder Gemüse früh zu zerkleinern und zu lagern, ist für sie tabu. „Wenn man das macht, zerstört der Sauerstoff sofort die Vitamine“, sagt sie. Das ist auch ein Grund dafür, dass sie gerne Pellkartoffeln anbietet. Weil sie alles frisch zubereitet und in einer Küche nicht alles reibungslos funktioniert, kann es dazu führen, dass sie nicht um punkt 12 Uhr fertig ist. „Für manche Gäste ist es schwer zu verstehen, dass wir kein Schnellrestaurant sind und sie vielleicht warten müssen“, sagt die Köchin. „Aber dafür ist das Essen liebevoll zubereitet.“

Die Gerichte denkt sich Andrea Krantz immer am Vortag aus und experimentiert auch gern mal herum. Wenn es etwas besonders außergewöhnliches ist, probiert sie die Gerichte auch schon mal zuhause aus. Aber in der Regel sind die Gäste ihre Geschmackstester. „Deshalb habe ich ja auch immer Herzklopfen und hoffe, dass mir alles gut gelingt“, sagt Andrea Krantz.

Grell schrillt die Klingel am Ofen. Das Fleisch ist fertig. Wenige Minuten später kommt Küchenhelfer Collins Davidson mit einem Berg Teller in die Küche. „Oh, ist es schon so spät?“, fragt Andrea Krantz. „Collins ist meine Uhr. Wenn er kommt, weiß ich, dass ich mich sputen muss.“

Wenige Minuten nach 12 Uhr geben die ersten Mittagstischgäste ihre Zettelchen ab, auf denen das Gericht ihrer Wahl steht. Während die Kunden schon einmal an den Holztischen Platz nehmen, klemmt Andrea Krantz die Zettel an die Leiste und arbeitet eine Bestellung nach der anderen ab. Viele der Gäste kennt sie schon. Einige darunter kommen fast täglich zum Mittagstisch. So wie Henning Feldmann aus Flee­stedt, der dreimal pro Woche hier mittags isst. „Ich mag die Atmosphäre hier“, sagt er. Die Teller, die bei Collins Davidson im Abwasch landen, sehen fast wie geleckt aus. „Das Essen ist köstlich. Bis jetzt hat mir hier immer alles geschmeckt“, sagt Marc Still aus Seevetal.

Obwohl er teurer ist, wünschen sich erstaunlich viele Kunden den Braten. Nach anderthalb Stunden sind alle Rinderbraten-Portionen verzehrt und Andrea Krantz muss improvisieren: Sie hat noch einen Schweinebraten auf Vorrat. Dann gibt es jetzt eben den mit Roter Bete und Meerrettich-Creme, entscheidet sie. „Die größte Schwierigkeit ist, dass ich nie weiß, wie viele Gäste ich habe“, sagt sie. Deshalb entwickelt sie Gerichte wie in einem Baukastensystem, indem sie das Essen in viele Einzelteile zerlegt. „Es soll möglichst alles verzehrt werden. Wir wollen keinen Überhang produzieren“, sagt sie. Sie kalkuliert meistens mit 60 Portionen für alle drei Gerichte.

Ihre Rechnung geht auf. Als die Küche um 14.30 Uhr schließt, ist der Topf mit der Meerrettich-Creme leer. Lediglich eine Handvoll Pellkartoffeln und ein kleiner Klecks Rote Bete bleiben übrig. „So ist es wunderbar“, sagt sie.