Serie: Sie bringen viele Stunden des Tages auf Achse zu – heute am Steuer: Paketzusteller Hans-Georg Schröder.
Ohne Bademantel. Morgens um zehn. Splitterfasernackt im Türrahmen. Hans-Georg Schröder hat sich auch daran gewöhnt. Dass es Männer gibt, denen jegliches Schamgefühl fehlt. Und für die es die natürlichste Sache auf der Welt ist, ihm im Adamskostüm die Tür zu öffnen. Er macht dann seinen Job, so wie er es immer macht. Paket abgeben, Scanner reichen, Unterschrift einfordern. Er bleibt höflich und diskret. Das gehört zum Job. „Danke und einen schönen Tag noch.“ Tür zu, Treppe runter, weiter geht’s.
Tagein tagaus, Trepp auf, Trepp ab. Jeden Morgen. Seit 17 Jahren ist Herr Schröder in Harburg unterwegs, genauer gesagt in Sinstorf und Rönneburg. Er ist Postbote, DHL-Mitarbeiter, Zusteller, wie es im Fachjargon heißt. 645 Haushalte versorgt er mit Briefen, Postkarten, Päckchen und Paketen, mit Werbung und Flyern, Zeitschriften und Katalogen.
20.000 Schritte geht er pro Tag. Das hat er mit seinem Schrittmesser ausgerechnet. Von Haustür zu Haustür, von Briefkasten zu Briefkasten. Zwischendurch steigt er in den Wagen, einen T5 der Marke VW, Vierzylinder-Dieselmotor, Ladefläche 2,35 x 1,6 x 1,4 Meter. 15 Straßen klappert er ab. 22 Kilometer Strecke sind es insgesamt.
Es ist kurz vor sieben Uhr. In der riesigen Sortierhalle der Harburger Post stehen dutzende Systemroller beladen mit grauen Transportkisten. Bis zu 100.000 Briefsendungen und zirka 4000 Paketsendungen gehen täglich vom Stützpunkt Harburg aus. 90 Mitarbeiter sind hier beschäftigt. Hinzu kommen 50 in der Paketzustellung. Insgesamt sind im Süderelberaum rund 320 Zusteller unterwegs.
Wie im Bienenstock geht es hier zu. Ein scheinbares Chaos wird höchst organisiert abgearbeitet. Wie fleißige Bienen schwirren die gelben Transporter und Fahrräder aus. Herr Schröder nimmt eine Handvoll Briefe und sortiert sie in die unzähligen Fächer der Verteilerspinde ein. Bis zu 1500 Briefsendungen sind es pro Tag. Von dort wiederum werden sie der Gangfolge nach in die Transportkisten gelegt. Eine Etage weiter unten lagern die Pakete. Jedes einzelne muss vor dem Verladen eingescannt und im Transporter so gelagert werden, dass Schröder es sofort findet. Er hat ein fotografisches Gedächtnis. Kann sich an jedes Paket, das er einmal in der Hand hatte, erinnern und weiß genau, wo es liegt.
Zu Weihnachten sind esmehr als 100 Pakete am Tag
62 Pakete sind es an diesem Tag. Das ist wenig. Es gibt Tage, da sind es doppelt so viel. Und es gibt Weihnachten. Da sind es weit über 1000 am Tag. Und das über Wochen. „Aber dann sind wir zu zweit unterwegs“, sagt Schröder. Es sind die Frachtsendungen, bei denen die Post Wachstum verzeichnet. Jährlich wächst die Sendungsmenge bei Paketen um zirka fünf Prozent. „Für die Harburger Region wurde sogar eine Steigerung von zwölf Prozent prognostiziert“, sagt Hans-Georg Schröder. „Damit wir das wuppen, werden die Zustellbezirke jetzt neu geschnitten. Künftig wird es 17 statt 15 geben, also zwei mehr.“
Um kurz vor halb zehn ist Zusteller Schröder auf Strecke. Seine erste Anlaufstelle ist wie jeden Morgen die Kita Elbkinder am Sinstorfer Kirchweg. „Hier ist die Post“, ruft er beim Eintreten. Diesmal gibt es neben den täglichen Briefen ein großes Paket, 120 mal 60 mal 60 Zentimer. Schröder legt den Stapel Briefe oben drauf und marschiert los. Es ist eine gute erste Station, findet er. „Weil hier immer jemand ist, der die Post entgegennimmt.“ Das nämlich sei es, was die Arbeit beschwerlich mache, wenn man Pakete nicht abgeben könne, weil keiner im Hause sei. Oder wenn jemand die Annahme verweigere und er die Ware wieder zurückgehen lassen muss. Doch meistens wird er die Sachen los. Bei Nachbarn, Mitbewohnern, den Adressaten selbst, von denen ihn die meisten schon lange kennen. Weil Herr Schröder ein sogenannter Stammzusteller ist und seit 17 Jahren immer die gleichen Straßen beliefert.
Heide Schmitz (Name geändert) ist eine von denen, für die er häufiger etwas dabei hat. Die ältere Dame nimmt regelmäßig für ihren Enkel Pakete entgegen. Und sie bestellt gern im Internet, vor allem Lebensmittel. Neuerdings könne man auch Getränke über den Postweg bestellen, erzählt sie. „Aber keine Sorge, Herr Schröder, davon verschone ich Sie.“
Bis 31,5 Kilogramm schwer dürfen die Pakete sein, die ein Zusteller transportiert. Wenn Schröder ein solches in den dritten Stock liefern muss, wird seine Arbeit zum Knochenjob. Fußball und Badminton habe er früher gespielt, erzählt er. Sogar Marathon sei er gelaufen. „Doch seitdem ich als Zusteller tätig bin, brauche ich das alles nicht mehr.“ Stattdessen Tai Chi und Chi Gong als Ausgleich.
Sinstorfer Weg, Hegtum, Schultwiete, Winsener Straße — Pause. Auch das seit 17 Jahren. Immer um zwölf beim Langenbeker Bäcker. Er gönnt sich ein Stück Kuchen, einen Becher Kaffee und erzählt von früher, von den Anfängen und dass er eigentlich nie Postbote werden wollte, sondern etwas kaufmännisches machen oder Taxifahrer werden. Er studiert BWL, arbeitet nebenbei als Aushilfe bei der Post, sortiert Briefe. 20 Stunden in der Woche. Nach dem Studium fängt er in der Luftpost-Leitstelle bei der Datapost an, die sich um eine sichere, schnelle und verlässliche Übermittlung von Sendungen kümmert.
Zwei Nächte pro Woche arbeitet er am Flughafen. 20 Stunden in der Woche. Dort lernt er auch seine Frau kennen. Er fühlt sich als Zeitpionier, weil er zu den wenigen Männern gehört, die sich bewusst für Teilzeit entschieden haben. „Ich dachte damals, Teilzeit wird irgendwann die Regel in Deutschland sein und wir sind die Ersten, die das begriffen haben.“ Also nimmt er sich vor, niemals voll zu arbeiten, damit das Privatleben nicht zu kurz kommt. Und dann tut er es doch. Als die Luftpostleitstelle 1997 schließt, wechselt er ins Hamburger Briefzentrum. Kurze Zeit später bewirbt er sich um einen Posten als Zusteller in Vollzeit.
„Das war die richtige Entscheidung“, sagt er. Weil er unterwegs sein kann, an der frischen Luft arbeiten, sich nicht festgebunden fühlt, wenn unterwegs ist. Und weil er fast immer gute Begegnungen mit seinen Mitmenschen hat. „Manchmal werde ich auch zum Kaffee eingeladen“, sagt er. „Oder es gibt kleine Geschenke, Pralinen. Und zu Weihnachten ein gutes Trinkgeld.“
Finanziell geht es ihm gut. 2300 Euro Netto hat er im Monat. Als er Anfang 2000 anfing waren es 900 Euro weniger. Heute verdient ein Postzusteller 12,40 Euro die Stunde. Zunehmend werden auch Studenten als Aushilfskräfte eingesetzt, weil es an Mitarbeitern fehlt. „Zwei Wochen Einarbeitungszeit gibt es, dann muss jeder Handgriff sitzen“, sagt Schröder. „Viele schaffen das nicht.“
Um 16 Uhr istdie Tour zu Ende
Nach der Mittagspause geht es weiter durch Rönneburg. Dreieinhalb Stunden hat er noch bis Feierabend. Rund 50 Pakete sind noch zu verteilen und unzählige Briefe. Unter anderem für den Haushalt, hinter dessen Tür der kleine Terrier wohnt, der ihn neulich ins Bein gebissen hat. „Ich habe nicht gesehen, dass die Terrassentür offen stand und schon hatte ich das Tier am Bein“, sagt Schröder Drei Mal ist er in seiner Laufbahn schon angegriffen worden, trotz Hundeabwehrtraining, das alle Zusteller absolvieren müssen. Um 16 Uhr ist Schröder durch. Er schwingt sich aufs Rad und saust nach Hause. Er könnte seine Post mitnehmen. Aber wenn das ein anderer für ihn macht, ist das auch ganz schön.