Harburg . Ehemaliges Einkaufszentrum am Ring steht als Ruine wie ein Zeuge vergangener Zeit. Wann wird es endlich abgerissen?
Es war einmal das „Lüneburger Haus“: Im Erdgeschoss ein großer Modefilialist, im Souterrain ein Nebeneingang mit Gastronomie und kleinen Fachgeschäften, in den Zwischendecks ein geräumiges Parkhaus. Facharztpraxen stapelten sich an der einen Seite und obendrüber thronte die „Therme“. Auf deren Terrasse konnte man im Bademantel mit einem Glas Sekt – oder was auch immer – herabblicken auf den Harburger Ring, das schöne neue Harburg feiern und sich – wenn schon nicht als Herr des Geschehens – doch wenigstens als Teil dessen fühlen.
Da ist das Harburg-Center: Öde, leer, verfallend. Auf den Parkdecks riecht es nach Taubendreck – wenn ein leichtes Lüftchen weht. Steht die Luft, wittert man auch menschliche Exkremente, einen Hauch von Fledermaushöhle, Fuselnoten, verbranntes Plastik. Letzteres hängt formverloren von der Decke. „Moto... Vergif...“. kann man noch auf dem ehemaligen Warnschild entziffern. In den Innenräumen riecht es immer noch ein wenig nach Chlor, Kiefernholz und Saunaöl. Die einst glänzenden Fliesen sind staubmatt – wo es sie noch gibt. Kabel und Lüftungsrohre hängen lose von der Decke. Der Ausblick aus den großen Fenstern ist grandios, wenn auch schmutzgetrübt. Das neue Harburg kann man von hier aus nicht sehen. Das findet woanders statt. Es ist dasselbe Haus. Was ist geschehen? Die Antwort darauf ist: Harburger Geschichte.
Ende der 70er-Jahre ging der große Ruck durch Harburg: Die S-Bahn sollte kommen – endlich! Harburg sollte modern werden – endlich! Ringstraße, Fußgängerzone, Atombunker; alles das, was die anderen auch haben – endlich! Um das zu erreichen, war man zu vielem bereit. Damit der S-Bahn-Tunnel durch Harburg gelegt werden konnte, musste man Harburg aufgraben. Ganz Harburg war seinerzeit eine Baugrube. Ganze Straßenzüge wurden planiert und aufgebaggert.
Am Rand der Baugrube kam Goldgräberstimmung auf. Harburg wurde neu verteilt. Die einen machten Kasse, die anderen machten sich Hoffnungen. Europaweite Ausschreibungen gab es seinerzeit nicht. Beziehungen zählten. Gilden, Kammern und Hinterzimmer hatten Anfang der 80er-Jahre Hochkonjunktur.
Als alles fertig war, war alles gut. Erstmal. Nun gut: Die neue Fußgängerzone war etwas schuhladenlastig, aber es gab echte Fachgeschäfte, Inhabergeführte Modehäuser, einzelne Filialen von Ketten, die man vorher hier nicht gesehen hatte. Entlang des Harburger Rings zogen sich die Filialen der großen und kleinen Kaufhausketten und obendrüber thronte die „Therme“.
Von deren Dachterrasse aus müssen einige derer, die beim Goldrausch zu kurz oder zu spät gekommen waren, heruntergeblickt und sich gedacht haben, dass es in Harburg bestimmt noch mehr Gold zu schürfen gibt. Neue Projekte wurden angestoßen. Das Harburg-Quarree zum Beispiel. Schon als das floppte, hätte klar sein müssen, dass der Kuchen verteilt war. Dass jedes blühende Geschäft an einem Ende der Harburger City ein verwelkendes am anderen bewirken würde. Da war das nächste Großprojekt aber schon in der Pipeline.
Im Lüneburger Haus fehlte auf einmal der Hauptmieter. Das lag nicht am Lüneburger Haus. Die ganze Modekette war pleite und schloss deshalb auch die Harburger Filiale. Die kleinen Geschäfte im Souterrain bemerkten den Verlust der Laufkundschaft sofort. Eines nach dem anderen schloss. Obendrüber thronte immer noch die „Therme“ und trotzte. Dabei hatte sie auf einmal einen harten Konkurrenzkampf zu führen: Ein zweites Fitnessstudio mit Sauna grub an der trainierenden Kundschaft und im Stadtpark war ein ganzes Saunadorf entstanden von dessen Terrasse aus man auf einen See blicken konnte und nicht etwa das sich ausbreitende Elend des neuen Harburg unter seinen Füßen hatte.
Die Fachgeschäfte und Inhaberboutiquen verschwanden nämlich nach und nach. Nachfolgeprobleme, Goldgräbermieten, Branchenwandel und ein Kaufkraftverlust der näheren Anwohnerschaft kumulierten sich. Das kaufkräftige Publikum war längst dorthin gezogen worden, wo viele der näheren Anwohner in besseren Tagen ihren Lebensunterhalt verdient hatten: Ins neue Einkaufszentrum auf dem Phoenix-Fabrikgelände.
Selbst die Konkurrenz der Therme ist schon wieder dicht
Zuletzt war nur noch die „Therme“ im ehemaligen „Lüneburger Haus“, das längst „Harburg-Center“ hieß. Auch sie musste schließen. Sie hatte den Konkurrenzkampf verloren. Zynischerweise befand das Management der siegreichen Fitnesskette noch bevor sich der Effekt der Thermen-Schließung bemerkbar machte, dass die Harburger Filiale nicht genügend Profit abwarf und schloss sie.
Ein Investor hat das Harburg-Center im Frühjahr gekauft und große Pläne für einen Neubau vorgestellt. Ein städtebaulicher Vertrag ist unterschrieben. Ein Abrissantrag allerdings noch nicht gestellt. Nach Goldgräberstimmung sieht es diesmal nicht aus.