Wilhelmsburg. Ein Meckelfelder sieht im Umbau der Straße die Gelegenheit zur Umbenennung. Die Kulturbehörde sieht keine Notwendigkeit dafür.

Erweckt der Begriff „Reich“ eine so starke Assoziation an den Nationalsozialismus, dass unsere demokratische Gesellschaft ihn besser nicht öffentlich verwenden sollte? Abendblatt-Leser Rudolf Schmidt (81) aus Meckelfeld ist dieser Ansicht.

In einem Schreiben an die Senatskanzlei der Freien und Hansestadt hat er gebeten, die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße zum Anlass zu nehmen, die Bundesstraße umzubenennen und auf den Zusatz „Reichs“ zu verzichten. Das zuständige Staatsarchiv der Kulturbehörde lehnt diesen Vorschlag ab: Der vorhandene Name soll auf die verlegte Wilhelmsburger Reichsstraße übertragen werden.

Ursprünglich sollte sie „Straße F“ heißen

Rudolf Schmidt hat erlebt, wie grausam der Zweite Weltkrieg gewesen ist. Ein Krieg, den das verbrecherische so genannte Dritte Reich zu verantworten hat. Sein Geburtshaus in der damaligen Hindenburgstraße in Wilhelmsburg, die heutige Georg-Wilhelm-Straße, sei am 18. Juni 1944 bombardiert worden, schildert der heute 81 Jahre alte Zeitzeuge in seinem Brief an das Bürgerbüro der Senatskanzlei. Seine Mutter und mehrere andere Nachbarn seien dabei ums Leben gekommen. Der damals acht Jahre alte Rudolf Schmidt hat im Luftschutzkeller überlebt.

Bei den Nationalsozialisten habe das Gebäude das „rote Haus“ geheißen, weil dort Gegner des Hitler-Regimes gelebt haben, schildert Rudolf Schmidt in seinem Schreiben. Sein Vater sei verraten worden und in einem Konzentrationslager inhaftiert worden. Der überlebte – aber das Erlebte habe den Vater bis an das Lebensende belastet.

Das Foto aus dem Jahr 1952 beweist, dass die Wilhelmsburger Reichsstraße schon einmal verabschiedet worden ist
Das Foto aus dem Jahr 1952 beweist, dass die Wilhelmsburger Reichsstraße schon einmal verabschiedet worden ist © HA | Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg & Hafen

Laut der Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg & Hafen hat die Wilhelmsburger Reichsstraße ursprünglich „Straße F“ geheißen, offenbar mehr Arbeitstitel als Name, als die Planung im Jahr 1930 begann. Sollte zunächst der damalige Reichspräsident Friedrich Ebert ihr Namensgeber werden, erhielt sie während der NS-Zeit schließlich den Namen „Adolf-Hitler-Straße“. Nach Erkenntnis der Geschichtswerkstatt erhielt die Straße im Jahr 1949 ihren heutigen Namen.

Das geht aus ihrem in diesem Jahr veröffentlichten historischen Verzeichnis Wilhelmsburger Straßen hervor. Demnach sei der Begriff Reichsstraße ein rein rechtlicher Begriff. Er bezeichnete in den 1930er-Jahren Fernstraßen, „wie heute die Bundesstraßen in der Bundesrepublik.“

Staatsarchiv: Straßenname ist nicht NS-verherrlichend

Wohl auch deshalb sieht das für Straßenbenennungen zuständige Staatsarchiv der Kulturbehörde keinen Grund, den Namen Wilhelmsburger Reichsstraße zu verbannen: „Der Straßenname ist weder Kriegs- noch NS-verherrlichend“, teilte das Bezirksamt Hamburg-Mitte Rudolf Schmidt die Antwort des Staatsarchivs mit. Eine Umbenennung sei zudem nicht angedacht, weil der vorhandene Name prägend für den Stadtteil Wilhelmsburg sei und für den Wirtschaftsverkehr und das Rettungswesen in hohem Maße Orientierungsfunktion habe.

Rudolf Schmidt ist anderer Ansicht. Seines Wissens sei die Straße zum 1. Oktober 1945, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, erfolgt. Er vermutet, dass „NS-Seilschaften“ Adolf Hitler damit noch ein Denkmal setzen wollten. Rudolf Schmidt schlägt stattdessen vor, auf den seiner Meinung nach unsäglichen Zusatz „Reichs“ zu verzichten und einen historisch unbelasteten Namen zu wählen: „Wilhelmsburger Rathausstraße“ könnte so einer sein, sagt der Alt-Wilhelmsburger.

Sollte die Wilhelmsburger Reichsstraße umbenannt werden? Schreiben Sie uns Ihre Meinung. E-Mail an: harburg@abendblatt.de Straßen benennen

Die Benennung von Straßen ist Aufgabe des Senats (§20 Hamburger Wegegesetz).

In Fällen grundsätzlicher oder politischer Bedeutung beschließt der Senat selbst. In der Regel entscheidet die Senatskommission. Vorsitzender der Kommission ist der für das Staatsarchiv zuständige Senator.

Die Bezirksversammlungen und Regionalausschüsse wirken mit Namensvorschlägen mit. Dabei können Vorschläge aus der Öffentlichkeit eine Rolle spielen. Der Senat ist an Beschlüsse der Bezirke nicht gebunden.