Emmelndorf. Dass sich ein Landwirt mit Mut und Kreativität behaupten kann, zeigt Biolandwirt Uli Overmeyer aus Emmelndorf. Ein halbes Jahrbegleiten wir ihn. Teil IV: Die Hühner.
Vorsichtig kriecht Kerstin Overmeyer mit ihrer Hand unter das Gefieder und stibitzt einem Huhn die Eier. Selbst, wenn ein gluckendes Huhn mit einem lautstarken Gack-Gack protestiert und empört nach ihrer Hand pickt, zuckt sie nicht zurück. Die Routine macht’s. Jeden Tag sammelt Kerstin Overmeyer die Eier für den Verkauf im Hofladen ein.
Heute bescheren die Hühner der Familie Overmeyer besonders viele Eier. Am Morgen hatte Kerstin Overmeyer schon 130 eingesammelt. Jetzt sind es noch einmal 60 Eier.
Die Legeleistung sei enorm, sagt UlKerstin Overmeyer. Die 220 Hühner liefern täglich knapp 200 Eier. Das macht eine Legeleistung von 90 Prozent. Das heißt, nahezu jeden Tag legt jedes Huhn ein Ei. „Die Tiere sind Hochleistungssportler“, betont ihr Mann, Uli Overmeyer.
Mit der Hühnerhaltung haben sich Kerstin und Uli Overmeyer in diesem Jahr ein zusätzliches Standbein aufgebaut. Zuvor hatten sie die Eier für seinen Hofladen vom Levenshof in Visselhövede eingekauft. „Ich finde es aber gut, die Dinge selber in der Hand zu haben“, sagt Uli Overmeyer. Er ist überzeugt, dass der Direktverkauf der Schlüssel zum Erfolg ist. Nur so sei es möglich, dem immensen Preisdruck in der Landwirtschaft zu begegnen, sagt Uli Overmeyer.
Zudem schließt sich mit den eigenen Legehennen automatisch der Kreislauf: Die Hühner weiden das Kleegras ab und liefern mit ihrem Dung gleich den organischen Dünger für den Boden, auf dem Overmeyer dann später Getreide oder Gemüse wachsen lassen kann.
Overmeyer gefällt außerdem die Idee, dass sich die Besucher des Hofs selbst ein Bild davon machen können, wie er die Tiere hält. „Unsere Kunden sind dann ganz dicht dran an den Hühnern“, sagt er. Denn längst werden die Rufe nach einem würdevollen Umgang mit den Tieren in der Gesellschaft immer lauter.
Zumindest in der Hühnerhaltung vollzieht sich mittlerweile ein Paradigmenwechsel. Im April meldete das niedersächsische Landwirtschaftsministerium einen neuen Rekord bei der Produktion von Bio-Eiern und eine unverändert hohe Nachfrage nach Eiern aus ökologischer Haltung.
Derzeit leben in Niedersachsen rund 2,2 Millionen Legehennen in ökologischer Haltung. Das ist eine Steigerung um 50 Prozent gegenüber Ende 2012. Mehr als 300 Bio-Betriebe produzieren Eier. Damit setzt etwa jeder vierte Legehennen-Betrieb in Niedersachsen auf Bio. „In keinem anderen Bereich haben wir ein solches Wachstum von Betrieben wie bei Bio-Eiern“, sagt Niedersachsens Agrarminister Christian Meyer. Fast jedes zweite deutsche Bio-Ei stammt somit mittlerweile aus Niedersachsen.
Die Hühner hat die Familie Overmeyer vom Geflügelhof Südbrock in Rheda Wiedenbrück, der nach Demeter-Richtlinien Junghennen aufzieht. Sie waren 18 Wochen alt, als Norbert Südbrock die 220 Hühner und fünf Hähne anlieferte. Sie gehören zur Rasse Lohmann Brown. „Eine Standard-Legehennenrasse“, sagt Uli Overmeyer. „Der Züchter meinte, damit könne ich gut anfangen. Die Hühner gelten als unproblematisch.“
Doch inzwischen denkt er über Nachbesserungen nach, um das verbreitete Töten von Küken zu vermeiden. In der heutigen Legehennenhaltung setzen die Landwirte Hennen ein, die auf eine extrem hohe Legeleistung gezüchtet sind. Die Brudertiere dieser Züchtungen verwenden die Landwirte dabei nicht, da sie als Masttiere nicht taugen. „An denen ist einfach kein Fleisch dran“, sagt Overmeyer. Deshalb werden sie kurz nach dem Schlüpfen aussortiert und getötet.
Bislang hatten weder konventionelle noch ökologische Betriebe eine Lösung zur Vermeidung des Kükentötens parat. Doch neue ökologische Initiativen könnten das jetzt ändern. Die Ökologische Tierzucht GmbH, hat sich zum Ziel gemacht, Zweinutzungsrassen mit einer üppigen Legeleistung und einer ausreichenden Gewichtsentwicklung der männlichen Küken zu entwickeln. „Aber das ist ein langer Weg, bis eine Linie mit den Merkmalen entsteht, die man haben will“, sagt Overmeyer.
Bis es so weit ist, legt er seinen Fokus zunächst auf das Tierwohl. Die Hühner wohnen in einem mobilen Stall, in den das Ehepaar 38.000 Euro investiert hat. Der Stall funktioniert voll automatisch. Früh morgens öffnen sich die Türklappen und die Hühner laufen auf die abgesteckte Wiese. Am Abend schließt sich der Wagen wieder kurz nach Sonnenuntergang, nachdem alle Hühner wieder zum Schlafen in den mobilen Stall geklettert sind.
In Legekästen, die mit Dinkelspelze gefüllt sind, legen die Hühner ihre Eier ab. Eine Solaranlage sorgt für die energetische Versorgung. Alle zehn Tage zieht Uli Overmeyer das Hühnermobil auf eine frische Wiese, damit die Hühner immer einen sauberen Auslauf haben und sie von Parasiten und Krankheitserregern verschont bleiben. Damit sich Füchse und Marder nicht bedienen können, ist die Wiese eingezäunt. Kleine Dächer auf der Wiese schützen die Hühner vor Sonne und Regen.
Mit dem mobilen Hühnerstall liegt die Familie Overmeyer voll im Trend. Laut niedersächsischem Landwirtschaftsministerium wird die Haltung in mobilen Ställen immer beliebter. „Die Freilandhaltung entspricht voll dem Wesen des Huhns und seinen natürlichen Bedürfnissen“, sagt Overmeyer.
Man sieht, dass es den Hühnern gefällt. Im Schutz des Stalls haben sie kleine Kuhlen gegraben, in denen sie Sandbäder nehmen. Sie rollen sich richtig in den Sand ein und plustern sich auf. So geht Gefiederpflege. „Bei dem sonnigen Wetter ist es für die Hühner ein Traum“, sagt Overmeyer.
Es hatte allerdings etwas gedauert, bis sich die Junghennen an ihr neues Zuhause gewöhnt hatten. „Wenn ich den Stall betrat, waren sie zu Beginn noch ganz wuschig und aufgeregt“, sagt Kerstin Overmeyer. „Das ist jetzt vorbei. Es ist schön zu merken, dass sie eine Beziehung zum Menschen, der sie verpflegt, aufbauen.“
Sie ist überzeugt, dass das Tierwohl die Legeleistung beeinflusst, genauso wie der geregelte Tagesablauf. Inzwischen hat sie sich auch angewöhnt, mit den Hühnern zu reden. Das ist auch etwas, zu dem der Hühnerzüchter Norbert Südbrock rät: „Vor Betreten des Stalls immer anklopfen, pfeifen und sprechen, damit sie wissen, dass ein Zweibeiner kommt“, hatte er bei der Übergabe der Junghennen betont. Das helfe tatsächlich, weiß Kerstin Overmeyer inzwischen. „Sie beruhigen sich schnell, wenn man mit ihnen spricht. Es ist interessant zu sehen, wie sensibel die Tiere sind.“
Das frisst Lotta
Damit unser Huhn Lotta, das wir ein halbes Jahr lang begleiten, auch ordentlich Eier legt, muss sie gutes Futter bekommen. Uli Overmeyer gibt Lotta und ihren Hühnerfreundinnen hofeigenes Futterweizen. Zudem fressen die Hühner Kleegras von der Wiese. Vor allem aber bekommen Lotta und die anderen Hühner spezielles Bio-Legehennenfutter vom Meyerhof zu Bakum, einer Futtermühle bei Osnabrück.
„Es ist das Hauptfutter für die Legeleistung“, sagt Uli Overmeyer. Das Getreide und alle anderen Komponenten des Geflügelfutters stammen von zertifizierten Biobetrieben, die beim Bewirtschaften keine Chemikalien einsetzen dürfen. Gentechnisch veränderte Rohstoffe sind streng verboten.
Von diesem Futter hat Overmeyer bereits 1,5 Tonnen verfüttert. Täglich fressen die 220 Hühner 25 Kilo des Futters. Zu trinken bekommen sie Wasser, das der Biolandwirt ihnen sowohl im mobilen Hühnerstall als auch draußen anbietet. „Davon saufen sie auch richtig viel“, sagt Overmeyer.
Das Leben der Hennen
Aktuell gibt es in Niedersachsen insgesamt 1301 Legehennenbetriebe. Davon halten 310 Betriebe die Hühner in Öko-, 418 in Freiland-, 500 in Boden- und 73 in Käfighaltung.
Mehr als die Hälfte der Betriebe lassen ihre Legehennen also im Freien herumlaufen, also in Freiland- oder in Bio-Haltung, während der Anteil der Produzenten mit Käfighaltung auf unter sechs Prozent gesunken ist.
Durchschnittlich halten Öko-Betriebe derzeit 7009 Legehennen. Bei Freilandbetrieben sind es 8902, bei Betrieben mit Bodenhaltung 20173. Höfe mit Käfighaltung halten im Schnitt 34.079 Legehennen.
Hühner bekommen eine frische Wiese
Der Selbstversuch: Autorin Bianca Wilkens hilft beim Umzug des Hühnermobils
Sie wollen raus, ganz eindeutig. Durch die Plexiglastür schimmert braunes Gefieder. Die Hühner drängen sich dicht an dicht hinter der Tür. „Es zieht sie zum Licht. Da kann man sich gut vorstellen, dass den Hühnern dunkle Ställe nicht gut tun“, sagt Uli Overmeyer. Etwas müssen sich die Hühner jedoch noch gedulden.
Uli Overmeyer will das Hühnermobil auf eine frische Wiese ziehen. Etwa zehn Tage hatten die Hühner auf einem Abschnitt unten an der Straße vor dem Gebäudekomplex des Overmeyer-Hofs zugebracht. An manchen Stellen sind kaum noch Grashalme zu sehen. Eine „ziemlich abgenudelte Wiese“, wie Overmeyer sagt, haben die Tiere hinterlassen.
Der Trecker steht schon bereit, um das Hühnermobil etwas weiter den Berg hinauf vor dem Hofkomplex der Familie Overmeyer zu ziehen. Tränken, Schaufel, Steine – alles, was Platz hat, stapeln wir vorne auf das Hühnermobil. Als Uli Overmeyer den Trecker startet und sich das Mobil langsam in Bewegung setzt, bleiben die Hühner erstaunlich ruhig.
Overmeyer lenkt den Trecker hin – und her, um den Stall so auszurichten, dass genügend Licht auf die Solar-Paneele fallen, da diese die Auslaufklappen steuern. „Das ist doch ein schöner Platz hier“, sagt er schließlich und stellt den Motor ab. Mit Hilfe der osteuropäischen Agrarstudenten Safiollokh Babadzanov, Yernar Saden und Dalgat Kishiev beginnt dann die eigentliche Arbeit: Das Umsetzen des Zauns.
Uli Overmeyer warnt noch, den Maschendraht und die Pfähle sauber zusammenzulegen: „Sonst findest Du den Anfang nicht wieder.“ Doch zu spät. Es kostet mich mehr Zeit, den Zaun zu enttüdeln, als ihn aufzustellen. Die Männer rammen die Eisenpfähle in den Boden und binden daran den Zaun fest. Jetzt noch die Tränke und die Schutzdächer auf die Wiese stellen – fertig ist der Umzug.
„So ihr lieben Hühner. Raus geht’s“, sagt Uli Overmeyer und öffnet die Stalltür. Vorsichtig steigen sie die Treppe des Hühnermobils herunter und rennen dann schnell ins frische Gras. Auf zum Picken und Scharren.