Harburg . In der Harburger Innenstadt sind die Langfinger ein Problem. Geschäftsinhaber halten mit Detektiven und Kameras dagegen.

Sie täuschen, sie tricksen – und schlagen bisweilen unverblümt in aller Öffentlichkeit zu: Ladendiebe und verstärkt auch Handy-Betrüger sind in der Harburger Innenstadt unterwegs. Immer öfter gehen sie in kleinen Gruppen oder Banden auf Beutezug. Geschäftsleute in der Lüneburger Straße und in den großen Einkaufszentren der City wappnen sich: Mit Detektiven und Kameraüberwachung halten sie dagegen. Wer erwischt wird, wird angezeigt und erhält Hausverbot. Aber nicht immer.

Die Polizei hält sich zurück. Sie kommt in der Regel nur, wenn sich ein Täter nicht ausweisen kann. Oder renitent wird und randaliert. Die großen Filialen in den Einkaufszentren sammeln 20, 30 und mehr Anzeigen – und übergeben sie gebündelt der Polizei. Dennoch stagniert die Anzahl der angezeigten Ladendiebstähle. Mit 1332 registrierten Fällen im Harburg im Jahr 2016 verzeichnet die Polizei sogar einen leichten Rückgang von 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

„Wir können nur das betrachten, was uns angezeigt wird“, erklärt Gerhard Sitz, Sachgebietsleiter für spezielle Kriminalität im LKA 181. Eine Vielzahl von Ladendiebstählen bleibe unentdeckt. Die Dunkelziffer der Ladendiebstähle ist entsprechend um ein Vielfaches größer. Oft stelle sich erst bei der Inventur am Ende des Jahres heraus, in welchem Ausmaß die Ladendiebe zugeschlagen haben, sagt der Kommissar. „Da geht es um sechsstellige Beträge“, ergänzt der Leiter eines Bekleidungsgeschäftes im Phoenix-Center. Bei seinen Kollegen sieht es ähnlich aus. Die Delikte, die erst Monate später erkannt werden, tauchen in der Polizeistatistik nicht auf.

Gestohlen wird alles, was sich zu Geld machen lässt. Besonders beliebt bei Langfingern: Unterhaltungselektronik, hochwertige Markentextilien, Handys, Kosmetika und Spirituosen. Selbst Buchläden sind vor dem gezielten Gratis-Zugriff nicht sicher. Trotz Detektiven und Kameraüberwachung, die mittlerweile in allen Einkaufspassagen und den meisten Läden in der Harburger Innenstadt Einzug gehalten hat. „Im Fokus stehen DVDs und Bücher, die gerade im Gespräch sind“, sagt der Abteilungsleiter der „Thalia“-Buchhandlung im Phoenix-Center. Bücher auf der Bestsellerlisten und Neuheiten würden massenhaft abgeräumt. „Es kommt vor, dass wir 13 Exemplare eines Spiegel-Bestsellers ins Regal stellen. Kurz darauf sind nur noch acht Exemplare da. Man hat den Eindruck, das sind gezielte Auftragsdiebstähle.“

Die Tätergruppen reichen querbeet, vom Jugendlichen bis zum Rentner. „Alle Schichten und Altersklassen sind bei uns vertreten“, sagt der Händler. Die Polizei hält sich bei der Beschreibung von Nationalitäten der Täter zurück. Der Geschäftsleiter einer Modefiliale im Phoenix-Center wird konkret: „90 Prozent der Ladendiebe, die wir erwischen, sind Ausländer. Das ist Fakt“, sagt er. Tendenziell hätten Ladendiebstähle zugenommen. 30 bis 40 Anzeigen schreibt er pro Monat.

Mit präparierten Einkaufstaschen tricksen Banden elektronische Sicherungen aus. Oder noch dreister: „Es kommt jemand rein, schnappt sich einen Stapel Tommy-Hilfiger-Pullover und haut ab“, berichtet der Filialleiter. Die Täter kommen aus Osteuropa, Bulgarien, Rumänien, Mazedonien und Syrien, hat er beobachtet. „Aufgriffe von Flüchtlingen nehmen zu“, sagt er.

Mit Detektiven haben er und seinen Kollegen gute Erfahrungen gemacht. „Alle großen Filialen arbeiten so. Wer es nicht tut, würde grob fahrlässig handeln.“ Um Banden Einhalt zu bieten und das Sicherheitsgefühl der Kunden im Phoenix-Center zu verbessern, wurden die Securitys aufgestockt und Streifengänge in der Mall erhöht. „Die Polizei macht weniger“, sagt Centermanagerin Julita Hansen.

In den „Harburg Arcaden“ ein ähnliches Bild. In Drogeriemärkten gehören Ladendiebstähle zur Tagesordnung, berichtet ein Handyverkäufer, der den Eingang der „Budni“-Filiale fest im Blick hat. Kürzlich sei ein junger Nordafrikaner mit „stapelweise gestohlenen Kleidungsstücken auf beiden Armen blitzschnell durch die Passage gerannt“. Der junge Mann entkam. In einem anderen Fall habe ein Ladendieb den Filialleiter eines Discounters mit einem Schraubenzieher am Hals verletzt.

In der Lüneburger Straße steht Süleyman Demirdögen in seinem Mobilfunkshop „My Mobile“. Fünf Handyläden reihen sich in der Fußgängerzone aneinander. „Betrug nimmt extrem zu“, sagt der Ladeninhaber. 30 Prozent der Kunden, die einen Mobilfunkvertrag abschließen wollen, seien Betrüger. Oder begingen zumindest Betrugsversuche. „Denen ist es egal, wie hoch die monatliche Ratenzahlung ist.“ Denn diese „Kunden“ zahlen nicht. Handys und Laptops würden von den Tätern „für 40 bis 50 Prozent des Neupreises“ verscherbelt. Anschließend sind sie mit dem Geld über alle Berge. Wer aus Bulgarien oder Rumänien kommt, hat bei Demirdögen mittlerweile schlechte Karten: „99 Prozent dieser Kunden erhalten bei uns keinen Vertrag.“ Die meisten Betrugsfälle bringt der Verkäufer gar nicht erst zur Anzeige.

Modeladeninhaber Mehmet Sepin vom „Jeel“ hat sich mit Ladendieben in der Lüneburger Straße weitgehend abgefunden. „Ja, sie gehen an die Kleiderständer. Sie greifen zu, ohne zu zahlen. Aber was soll man denn machen?“