Im fairKauf finden Langzeitarbeitslose sinnvolle Beschäftigung und Bedürftige Gutes zu Niedrigpreisen: Nachfrage war 2016 so groß wie nie.
Das Sozialkaufhaus „fairKauf“ des Vereins In Via hat ein Rekordjahr hinter sich: „Wir hatten 2016 40.000 zahlende Kunden“, sagt Heinz Schramm, „mehr als jemals zuvor“ (2015: 38.000). Seit der Eröffnung im April 2010 hat sich die Einrichtung (Werbeslogan: „Mehr als ein Kaufhaus“) längst etabliert. Dass im vergangenen Jahr allerdings noch einmal ein verstärkter Kundenzulauf zu verzeichnen war, hängt vor allem mit dem Zuzug von Flüchtlingen zusammen, die sich im Sozialkaufhaus mit dem Notwendigsten eingedeckt haben, um ihren neuen Alltag in einer eigenen Bleibe – entweder einer Wohnung oder Übergangseinrichtung – regeln zu können.
Seine Daseinsberechtigung bezieht das fairKauf Sozialkaufhaus aus zwei Zielvorgaben: Zum einen können hier Menschen mit wenig Einkommen gebrauchte, aber gut erhaltene Möbel, Kleidung und andere Dinge des alltäglichen Bedarfs kaufen. Zum anderen finden hier langzeitarbeitslose Männer und Frauen eine Beschäftigung und bekommen zudem die Chance, Fertigkeiten zu erlernen, die ihnen vielleicht helfen, doch noch mal auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Das Kaufhaus ist Anker und Anlaufstelle für viele Menschen
Nicht weniger wichtig, wenngleich sich diese Erfolge kaum in Statistiken niederschlagen: Das Haus am Küchgarten ist eine Art Anker und Anlaufstelle für viele Menschen: sowohl für manchen aus der Kundschaft, als auch für die aktuell 64 Beschäftigten, die dem Kaufhaus über team.arbeit.hamburg, also das Jobcenter zugewiesen sind. Einige wenige sind noch in ihren 20ern, doch die Mehrheit ist älter – zwischen Ende 40 und Anfang 60.
Dreiviertel von ihnen hat Migrationshintergrund. Dass sie seit Jahren arbeitslos sind, hat viele Gründe. Manche seien schwer krank oder süchtig gewesen. Andere mussten Schicksalsschläge einstecken, die sie nachhaltig aus der Bahn warfen. Wieder andere hatten jahrelang keine Chance auf dem deutschen Arbeitsmarkt, weil ihre Abschlüsse aus den Heimatländern nicht anerkannt wurden und die sprachlichen Hürden zu groß waren.
Andere, vor allem Frauen, landeten im sozialen Abseits, weil sie ihre Kinder allein großziehen müssen. „Bei uns spiegelt sich beinahe das gesamte gesellschaftliche Spektrum“, sagt Heinz Schramm. Unter den Langzeitarbeitslosen, die derzeit im Sozialkaufhaus arbeiten, seien Menschen mit abgeschlossenem Studium, Handwerker und Menschen, die über Jahre selbstständig waren – bis ihr Leben den Bach runterging, so tief, dass es das Sozialkaufhaus braucht, um ihrem Leben wieder Stabilität und dem Alltag Struktur zu verleihen.
„Die Arbeit hier stärkt ihr Selbstbewusstsein“, sagt Florence Kroll, eine von neun Anleitern, die die Langzeitarbeitslosen in den Bereichen Verkauf, Transport, Büro/Verwaltung sowie in der Holz- und Textilwerkstatt unterweisen und ihnen vermitteln, worauf es bei der jeweiligen Arbeit ankommt.
Kroll leitet die Textilwerkstatt und den erst seit 2014 bestehenden Upcycling-Bereich, in dem aus Altem Neues entsteht. Etwas, wofür sich die Frauen in der Textilwerkstatt zunächst nur wenig begeistern konnten: „Das änderte sich, als sie sahen, was alles möglich ist – und was auch in ihnen selbst steckt.” Mittlerweile fertigen sie aus alten Krawatten Röcke, nähen Taschen aus Fahrradschläuchen oder hübschen einen alten Stuhl auf, in dem sie die Sitzfläche mit T-Shirt-Streifen verzieren. Kroll ist sicher: „In den Läden im Karo-Viertel könnten wir das richtig teuer verkaufen.”
Doch das Sozialkaufhaus darf keine Gewinne machen, beziehungsweise muss sie ans Jobcenter abführen. Ganz abgesehen davon, dass es verkauft, was auch mit schmalem Geldbeutel erschwinglich sind.
Tatsächlich darf hier nur einkaufen, wer bedürftig ist, das heißt aktuell, nicht mehr als 1079 Euro Einkommen im Monat hat. Die erforderliche Kundenkarte, die zum Einkauf berechtigt, bekommt nur, wer entsprechende Belege beibringt, z. B. einen Rentenbescheid oder die Arbeitslosenbescheinigung.
Verkauft wird, was andere spenden. Drei Transporter und zwei Anhänger stehen zur Verfügung, um Möbel, Geschirr oder Kleidung abzuholen. „Unsere Leute sind in ganz Hamburg unterwegs“, sagt Schramm. Einige Spender kommen persönlich vorbei und geben ihre Sache direkt ab. In jedem Fall schauen Schramm und seine Leute genau hin. Denn es kommt auch vor, dass Dinge angeboten werden, die partout nicht mehr für den Gebrauch herzurichten sind, nicht in der Holzwerkstatt und auch nicht durch Upcycling. „Seit es in Hamburg die kostenlose Sperrmüllabfuhr nicht mehr gibt, hat das zugenommen“, sagt Schramm.
Die Angebotspalette ändert sich ständig. Schränke, Schlafsofas, Küchenmöbel – alles Dinge, die hier nur einen Bruchteil des ursprünglichen Preises kosten und meist schnell einen Abnehmer finden. „Einmal hat ein Kunde gesehen, dass ein Schrank reinkam und hat dann vier Stunden gewartet, bis unsere Leute in der Holzwerkstatt den wieder aufgemöbelt und zusammengebaut hatten“, erinnert sich Schramm.
Größere Möbelstückewerden auch geliefert
Solche großen Stücke werden auf Wunsch auch nach Hause geliefert, je nach Entfernung werden dafür zwischen 6 und 30 Euro berechnet. Soll das gute Stück dann auch noch in die Wohnung gebracht werden, kostet das extra und pro Etage fünf Euro.
Was die Kunden angeht, so wird darauf geachtet, dass sie sich hier nur für den Eigenbedarf eindecken. Kommen Flüchtlinge, sind sie meist daran zu erkennen, dass sie eine komplette Erstausstattung kaufen – von der Tasse bis zum Schlafsofa.
Stutzig wird Christian Schrod, der als gelernter Einzelhandelskaufmann die Beschäftigten im Verkauf anleitet, immer dann, wenn Kunden mehrmals hintereinander zum Einkaufen kommen oder sich gleich mit zehn Paar Schuhen eindecken. Einmal ist eine Frau aufgeflogen, die auf einem Flohmarkt zum Kauf anbot, was sie zuvor im Sozialkaufhaus erstanden hat. In einem solchen Fall ist konsequentes Durchgreifen angesagt: „So jemand erhält Hausverbot“, sagt Schramm.
Ein wichtiger Teil seiner Arbeit ist das regelmäßige Gespräch mit den Langzeitarbeitslosen, die im Sozialkaufhaus nur stundenweise oder auch ganztags beschäftigt werden. Ebenso wie seine Kollegin Marianne Sorokowski ist Schramm um Zielvereinbarungen bemüht, fragt nach, was gut läuft und was weniger. Dabei wird immer wieder klar, dass es ein Problem gibt, unter dem viele der Beschäftigten ebenso leiden wie ein Großteil der Kunden: Einsamkeit, die manchmal so groß ist, dass jeglicher Sinn verloren gehen kann.
Günstig und gut
Das Sozialkaufhaus erstreckt sich über eine Fläche von insgesamt 1200 Quadratmetern. Auf der allein 700 Quadratmeter großen Verkaufsfläche werden aktuell 5131 Einzelartikel sowie weitere 280 aus dem Upcycling-Bereich angeboten. Das Kaufhaus ist montags bis freitags, 9.30 bis 16.30 Uhr, geöffnet. In der oberen Etage gibt es ein Café, das zwar nur noch dienstags, mittwochs und donnerstags, 9.30 bis 14.30 Uhr, geöffnet ist, dafür aber allen offensteht.
Wer spenden will, nutzt die Hotline 794 16 77 15 oder meldet sich per Mail: fairkauf@invia-hamburg.de. Nicht angenommen werden Elektrogeräte, gesucht werden Industrienähmaschinen.
In Via heißt „auf dem Weg, unterwegs sein“. Der Verein, zu dem das fairKauf Sozialkaufhaus gehört, wurde 1991 in Hamburg gegründet und ist eingebunden in den katholischen Caritasverband. In ganz Hamburg ist er an 25 Standorten aktiv und verantwortet u. a. Modellprojekte für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, der Bundesagentur für Arbeit und team.arbeit.hamburg.