Emmelndorf. Biolandwirt aus Emmelndorf zeigt, wie er der Krise mit Kreativität trotzen will. Teil I: Der Betrieb und das ökologische Freilandgemüse.
Landwirt zu sein, ist heute alles andere als einfach. Der massive Preisdruck führt zu starken wirtschaftlichen Einbußen und nicht selten in die Existenznot. Dass sich ein Bauer nur mit Mut und Kreativität in der Krise behaupten kann, zeigt Biolandwirt Uli Overmeyer aus Emmelndorf. Ein halbes Jahr lang begleiten wir den Landwirt.
Das ist mal ein ungewöhnliches Bild auf dem Acker. Während die Pflanzmaschine feine Rillen in das Feld zeichnet, robbt Uli Overmeyer auf beiden Knien neben der Maschine her und kontrolliert, ob die Agrarstudenten die Pflanzen richtig in die Erde setzen. Dass sich ein Landwirt ausgerechnet auf diese Weise seine Hose schmutzig macht, ist selten geworden – angesichts des technischen Fortschritts und der Automatisierung in der Landwirtschaft.
Uli Overmeyer ist allerdings auch kein gewöhnlicher Landwirt. Anders als viele andere Bauern setzt Overmeyer nicht auf die Spezialisierung, sondern geht den Weg der Vielfalt, um so dem steigenden Druck in der Landwirtschaft zu begegnen. Er baut nicht nur Freilandgemüse an, hält Kühe und inzwischen sogar Hühner. Vor allem: Er verkauft seine Produkte nicht an den Handel, sondern direkt an den Verbraucher – in seinem Hofladen.
Dafür muss das Gemüse erst einmal gepflanzt werden. Uli Overmeyer baut in seinem Demeter-Betrieb so ziemlich alles an, was im Freiland wächst. Salate, Wurzelgemüse, zahlreiche Kohlarten wie Blumenkohl Rotkohl, Brokkoli, Rosenkohl, Weißkohl sowie Kohlrabi, Rote Bete, Zuckermais, Lauch, Zwiebeln, und noch viel mehr. In der Hochsaison ernten die Overmeyers täglich mehr als 40 Sorten Gemüse, das sie auf etwa fünf Hektar anbauen.
Jetzt im Frühjahr muss der Anbau Schlag auf Schlag erfolgen. Alle zwei Wochen wird ein Satz Gemüse gepflanzt, der dann je nach Wetterlage und Jahreszeit frühestens in vier bis sechs Wochen erntereif ist. Die Setzlinge bezieht Overmeyer von Michael Homann, einem Biobetrieb aus Blender, der im großen Stil Pflanzen vorzieht. Overmeyer hat sich gegen das Aussäen entschieden, um so einen Vorsprung vor dem Unkraut zu haben. „Wenn ich säe, muss die Pflanze erst auskeimen und könnte vertrocknen“, sagt der Landwirt. „Jungpflanzen haben viel mehr Kraft. Sobald sie im Boden sind, wachsen sie gleich weiter.“
Das Pflanzen geht natürlich nicht ohne Hilfe. Und die kommt aus Osteuropa. Overmeyer arbeitet mit dem deutschen Verein „Landwirtschaft und oekologisches Gleichgewicht mit Osteuropa“, kurz: Logo, zusammen. Der Verein setzt sich für die berufliche Bildung landwirtschaftlicher Nachwuchskräfte aus Osteuropa, Zentralasien und dem Kaukasus ein. Er vermittelt den Studenten Praktika in deutschen Betrieben, um so ihre beruflichen Chancen zu verbessern.
Ein halbes Jahr lang arbeiten die Studenten aus Tadschikistan, Kirgistan und Dagestan auf dem Hof in Seevetal. Pro Monat erhalten sie 250 Euro. Kost und Logis sind frei. Die Studenten wohnen und essen mit der Familie Overmeyer. Auch wenn die Osteuropäer Agrarwissenschaft studieren, heißt das noch lange nicht, dass sie schon einmal auf dem Feld gearbeitet haben. Auch mit der Sprache hapert es zu Beginn. Für Overmeyer heißt das, Geduld und viel Zeit für die Einarbeitung aufzubringen.
Leonard Smits, Praktikant von der Waldorfschule, fährt den Trecker, der vorne einen Stapel Kisten mit Setzlingen transportiert. Zu viert sitzen die Praktikanten auf der anhängenden Maschine und setzen die Jungpflanzen nach und nach in die Erde. Uli Overmeyer kniet daneben und kontrolliert. „Stooopp! Halt!“, ruft er nach etwa zehn Minuten.
Er greift sich eine der fünf Zentimeter langen vierblättrigen Salatpflanze aus der Kiste und zeigt auf die Stiele, die aus einem kleinen Quadrat Erdballen ragen. „Das ist das Herz der Pflanze“, sagt er und klopft mit der anderen Hand auf seine linke Brusthälfte. „Aus der Mitte kommen die Blätter raus. Die dürfen nicht mit Erde bedeckt sein“, erklärt der Landwirt.
Doch zu weit herausragen dürfen die Jungpflanzen auch nicht. „Safi, ein bisschen tiefer“, sagt Overmeyer. „Sonst gehen sie kaputt, wenn die Sonne eine Stunde lang herauskommt.“ So geht es Reihe um Reihe. Heute pflanzen die Praktikanten Salate, Fenchel, Rote Bete, Lauch und Schalotten auf etwa einem halben Hektar. Nach und nach leeren sich die Kisten mit den Setzlingen, die Overmeyer regelmäßig von vorne nach hinten schafft. Die Pflanzmaschine ist ein altes Modell.
Schon Hans-Hermann Meyer-Sahling hatte sie vor 40 Jahren in Emmelndorf im Einsatz und an Uli Overmeyer vermacht. Bei Meyer-Sahling absolvierten Kerstin und Uli Overmeyer nach dem Agrarwissenschaftsstudium ihre Ausbildung. Bei ihm stiegen sie schließlich ins Geschäft ein und pachteten den Hofladen. Bei ihm lernten sie auch, wie die Direktvermarktung funktioniert.
Meyer-Sahling hatte sie in seinem Betrieb bereits früh praktiziert. Er reinigte sein Getreide selbst und verkaufte es an Bäckereien. „Nichts ist besser als der Direktverkauf“, sagt Uli Overmeyer. Nur so , glaubt er, könne er sich der Preisspirale, die sich in der Landwirtschaft immer weiter nach unten dreht, entziehen.
vermeyer schreibt den Grund für die Krise der Politik zu. Man habe das System zu spät an die freie Marktwirtschaft angepasst und dann Subventionen gekürzt. Inzwischen ist nicht mehr nur Verbrauchern, Landwirten und Agrarwissenschaftlern, sondern auch der Politik klar, dass es eine Umkehr in der Landwirtschaft geben muss.
Die Gesellschaft übt zudem Druck aus. Die Forderungen nach einer Abkehr von der Massentierhaltung werden lauter. Lebensmittelskandale haben zu Vertrauensverlust geführt. Deshalb legt Overmeyer offen, was, wie und warum auf seinem Betrieb passiert. Regelmäßig informiert er auf seiner Webseite über neue Entwicklungen.
Allerdings hat er mit seinem Betrieb einen entscheidenden Standortortvorteil: Er liegt im Speckgürtel von Hamburg, in einer einkommensstarken Region, in der die Bewohner auch bereit sind, viel Geld für seine Bioprodukte auszugeben. Selbst TV-Guru Dieter Bohlen geht in seinem Hofladen einkaufen.
„Kollegen aus Südniedersachsen sagen vielleicht, wir sitzen hier wie die Made im Speck“, räumt Overmeyer ein. Dennoch: Der Standort allein führe noch nicht zum Erfolg. Overmeyer möchte dem Druck in der Landwirtschaft auf mehreren Standbeinen begegnen. „Wenn man sich zu sehr spezialisiert und das einmal nicht mehr funktioniert, hängt man in der Luft“, sagt er.
Dass es weitaus arbeitsintensiver ist, sich gleichzeitig um den Gemüsebau, Kühe, Laden und Hühner kümmern zu müssen, nimmt Overmeyer in Kauf. Er ist in der Landwirtschaft groß geworden und wusste, dass ihn eine Sieben-Tage-Woche erwartet. Bei all der Arbeit, schafft er es, gelassen zu bleiben. Selbst als Safiollokh Babadzanov (22) aus Tadschikistan am Ende des Ackers aufsteht und auf die gerade gepflanzte Rote Bete tritt, nimmt er es mit Humor: „Setze dich mal lieber wieder hin. Ist sicherer.“
Ein paar Stunden – und die Arbeit ist getan. Insgesamt ist Overmeyer mit der Arbeit der Studenten zufrieden. Sie können Anweisungen schnell umsetzen. „Ein bisschen Training und dann klappt es“, sagt er.
Das Huhn „Lotta“
Wir wollen nicht nur berichten, was in den kommenden sechs Monaten auf dem Hof Overmeyer in Emmelndorf passiert wir wollen auch selbst mit anpacken. Auf dem Hof haben wir ein Rote-Bete-Feld angelegt, das wir intensiv unter die Lupe nehmen wollen, bis Uli Overmeyer daraus einen Rote-Bete-Ketchup herstellt, der in seinem Hofladen verkauft wird.
Um den Tieren auf dem Hof Overmeyer ein Gesicht zu geben, haben wir ein Huhn herausgepickt, dessen Leben wir in den sechs Monaten begleiten. Uli Overmeyer hat dem Huhn spontan den Namen „Lotta“ gegeben.
Ziel ist, die vielen Aspekte der Tierhaltung und des Anbaus von Gemüse erlebbar zu machen. Wie viele Eier das Huhn Lotta legt wissen wir noch nicht. Das erfahren wir und Sie erst im Rahmen dieser zehnteiligen Abendblatt-Serie.
Pflanzen? Gar nicht so einfach
Der Selbstversuch in dieser Woche: Autorin Bianca Wilkens auf der Pflanzmaschine
Der Selbstversuch in dieser Woche: Autorin Bianca Wilkens auf der PflanzmaschineEmmelndorf Der Sitz auf der Pflanzmaschine ist erstaunlich bequem. Links vor mir ist eine Kiste mit etwa zehn Zentimeter langen Rote-Bete-Pflanzen. Die osteuropäischen Studenten Safiollokh und Yernar grinsen, als mir nicht ganz klar ist, wo ich meine Füße lassen soll. Aaah, da unten auf die zwei Stangen.
Uli Overmeyer erklärt mir, was ich zu tun habe. Mit der linken Hand die Pflanze aus der Kiste nehmen. Mit der rechten alle 20 Zentimeter eine Pflanze setzen. Dafür muss ich die Pflanze in der hohlen Hand halten und dann beim Setzen etwas nach hinten kippen. „Dann so lange warten, bis du die Räder spürst“, sagt Overmeyer und lacht. Das ist mir dann doch etwas zu heikel. Aus Angst, dass die Räder meine Finger zerquetschen, ziehe ich meine rechte Hand viel zu schnell hoch.
Das Ergebnis: Die Rote Bete hängt schief im Boden und einige Wurzeln liegen frei. „Die Rote Bete muss man tiefer pflanzen, noch tiefer als den Salat“, sagt Overmeyer. „Wenn zu wenig Wurzeln in der Erde kommen, geht die Pflanze schnell kaputt.“
Die richtige Balance zwischen nicht zu hoch und nicht zu tief zu finden und dabei auch den richtigen Abstand beim Pflanzen einzuhalten, ist gar nicht leicht. Aber Uli Overmeyer hat recht: Ein bisschen Übung und es geht.“