Jork. Bei Firma Röhrs in Jork, der ältesten Fleischerei Norddeutschlands, hat Sohn Daniel den Betrieb übernommen. Doch Nachwuchs fehlt.
Als Daniel Röhrs, weiße Schürze, weißer Helm, vor einer frisch geschlachteten Schweinehälfte steht, kann er auf einen Blick die Qualität des Tieres schon genau einschätzen. Er zeigt er auf den Speckanteil: Drei Zentimeter dick ist die Schicht unter der Schwarte – ein Zeichen für gute Qualität, sagt Röhrs. Er kennt sich ganz genau mit dem Körperbau aus. Muss er auch. Schließlich ist es Kern seines Jobs, zu wissen, welcher Teil des Schweins Steak, Kotelett, Schinken, Spareribs oder Schnitzel liefert.
Röhrs ist einer der wenigen, der das Fleischerhandwerk noch beherrscht. Nach wie vor essen die Deutschen deutlich mehr Fleisch als Menschen in anderen Nationen. Doch das deutsche Fleischerhandwerk droht, langsam auszusterben. Innerhalb von zehn Jahren ist die Zahl der Mitglieder im niedersächsischen Fleischerverband um die Hälfte von 1000 auf 500 Mitglieder geschrumpft.
Die Mitgliederzahl im Verband ist um die Hälfte geschrumpft
„Das liegt in erster Linie daran, dass es keine Nachfolger für die Betriebe gibt“, sagt Isabell Dohm, Geschäftsführerin des Fleischerverbands Niedersachsen-Bremen, der 80 Prozent des Fleischerhandwerks vertritt. „Wenn die Betriebe keine Azubis haben, haben sie keine Mitarbeiter und damit auch keine Meister und schließlich keine Nachfolger“, sagt Dohm.
Die Zahl der jungen Menschen, die sich für der sperrigen Bezeichnung „Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk mit Schwerpunkt Fleischerei“ entscheiden, sinkt stetig. In diesem Jahr haben sich im ganzen Land Niedersachsen lediglich 106 Auszubildende für die Prüfung angemeldet. „Eine verschwindend geringe Zahl“, sagt Dohm.
Ähnlich sieht es bei den Fleischerlehrlingen aus. Während sich 2000 noch 858 junge Menschen aus Niedersachsen für eine Ausbildung zum Fleischer entschieden, waren es im Jahr 2015 nur noch 285 Lehrlinge. Dohm glaubt, dass der Schrumpfungsprozess noch nicht am Ende ist. „Das Schlimme ist, wenn eine Fleischerei schließt, gehen nicht nur Rezepte und spezielle Angebote verloren“, sagt sie. „Die Kunden müssen dann auch lange Wege in Kauf nehmen, um zum nächsten Fleischer zu fahren.“ Erschreckendes Beispiel ist Berlin: Dort kommen auf 100.000 Einwohnern gerade mal sieben Fleischereien. In Niedersachsen liegt die Quote noch bei 23.
Auch Daniel Röhrs spricht von einem „sterbenden Beruf“. „Wenn es in den nächsten zwei Jahren nicht langsam eine Kehrtwende gibt, wird es schwierig in unserer Branche“, sagt er. „Es interessiert sich kaum noch einer dafür.“ Für den 27-Jährigen ist das nicht nachvollziehbar. Schon mit drei Jahren stand er das erste Mal im Schlachthaus seines Vaters. „Ich wollte nie was anderes als Fleischer werden“, sagt Daniel Röhrs.
Nach seiner Ausbildung in der Fleischerei Engel in Ahlerstedt, absolvierte er gleich im Anschluss seine Meisterprüfung und ist im vergangenen Jahr in das Unternehmen seines Vaters Friedrich Röhrs eingestiegen. „Und es ist immer noch das Richtige für mich“, sagt er. Das lässt sich auch an seinen zahlreichen Auszeichnungen ablesen. Daniel Röhrs ist Kammerbester, Innungsbester, Zweitbester des Landes Niedersachsen und hat im Jahr 2010 Jahren seinen Betriebswirt des Handwerks abgelegt.
Besuch des Zerlegeraums. Es ist gerade mal 5.30 Uhr. Aus dem Radio bringt die Moderatorin die ersten Wettervorhersagen. Mitarbeiter Hartmut Kosbab hievt ein schweres Stück Fleisch auf den Tisch. Die Säge krächzt, als Kosbab die Rippen durch die Säge schiebt.
Mit Daniel Röhrs und Kosbab zerlegen zwei weitere Mitarbeiter das Rindfleisch. Jedes Stück Fleisch, jede Wurst geht durch ihre Hände. Zu viert stehen die Mitarbeiter am Tisch und schneiden, schneiden, schneiden. Routiniert fährt Daniel Röhrs mit dem Messer an einem Stück Rindfleisch entlang. Legt das eine nach links, das andere nach rechts in bereit gestellte Kästen. Der eine ist für die Sehnen, Knorpel und Knochen, der andere für das schiere Fleisch. An der linken Hand trägt jeder einen Stechschutzhandschuh, der vor Verletzungen mit den scharfen Messern schützt.
Insgesamt 15 Schweine und drei Rinder zerlegen Daniel Röhrs und seine Mitarbeiter in dieser Woche. Für ein Rind brauchen sie zu zweit etwa vier Stunden. „Das gilt aber nur für unseren Zuschnitt“, sagt Daniel Röhrs. „Unsere Kunden wollen das Fleisch ziemlich schier haben. So kennen sie es von uns. So hat es mein Vater auch gehandhabt“, sagt er.
Bis zum Frühstück ist der Bulle zerlegt. Danach folgen die Schweine. Die Fleischerei Röhrs gehört zu den wenigen zertifizierten Betrieben, die ihre Tiere, die sie zerlegen, auch selbst schlachten. Daniel Röhrs weiß, dass sich viele Menschen nicht mit diesem Thema auseinander setzen wollen. Dass sie gerne und viel Fleisch essen, aber das notwendige Schlachten dafür verdrängen. „Klar, ist es nicht schön“, sagt Röhrs. „Aber es gehört dazu. Wenn es keiner macht, kann auch keiner Steaks essen. Das vergessen viele.“ Wenn er ausging, musste er so manchem, der ihm einen Vorwurf aus seinem Beruf machen wollte, erinnern, dass die Schnitzel nun einmal nicht vom Himmel fallen.
Er steht zu seiner Arbeit. Dass sein Betrieb zu den wenigen zertifizieren Fleischereien zählt, die noch schlachten, empfindet er als Vorteil. Damit kann er kontrollieren, welches Tier zu ihm kommt. „Wir gucken jedes Schwein, jedes Rind, das hierher gebracht wird, vorher an“, sagt Röhrs. Der Fleischermeister hofft, damit auch bei den Kunden zu punkten. „Immer mehr Leute wollen wissen, wo das Fleisch herkommt“, sagt Röhrs.
Auch Isabell Dohm sieht einen wachsenden Trend zur Rückverfolgbarkeit der Produkte. Deshalb möchte Daniel Röhrs auch in Zukunft am Schlachten festhalten. Trotz zunehmender Vorschriften und steigender Kosten. Die Tiere bekommt Röhrs von ausgesuchten Höfen.
So wie die Schweinehälften, die jetzt am Haken eines Metallgestänges, das unter der Decke angebracht ist, hängen. Daniel Röhrs viertelt die Hälften für die weitere Produktion. Dafür schneidet er sich mit dem Messer einen kleinen Griff in die Schwarte, so dass er das Viertel mit der linken Hand festhalten kann. Mit der rechten Hand schneidet er rechtsherum und linksherum. Der Schweinenacken kommt auf die linke Tischhälfte. Die dicke Rippe nach rechts und die Schulter ganz nach hinten.
Außer den Nieren wird alles verarbeitet. Auch die Schwarte. Montags ist der Tag des Zerlegens. Dienstags, mittwochs und donnerstags folgt die Wurstproduktion. Pro Tag fertigt die Schlachterei 50 bis 70 Produkte, inklusive der selbst gemachten Salate. Zur Wurstproduktion kommt das Fleisch zunächst in den Wolf. Der Kutter zerkleinert daraufhin das Fleisch mit seinem Sechsermesser zu einem feinen Brei. Der Kutter röhrt und brummt, während Daniel Röhrs eine Gewürzmischung, Fett, Salz und Eis - um die Temperatur unter zwölf Grad zu halten - dazu mischt. Dann geht das fertige Brät in die Füllmaschine. Klick macht sie bei jedem Würstchen, das sie portioniert.
Mettwurst und Mortadella sind die Renner beim Aufschnitt
Die Wiener Würstchen sind das Hauptprodukt der Fleischerei. Sie werden erst geräuchert und getrocknet und dann gekocht. Beim Aufschnitt seien Mortadella und Mettwurst der Renner, sagt Röhrs. Für jedes seiner Produkte hat Röhrs ein eigenes Rezept. Zum Teil fertigt er die Wurstwaren noch so wie seine Eltern und Großeltern, kreiert aber auch neue Produkte. Beispielsweise hat er die Jorker Pikante und eine reine Rinderbratwurst entwickelt.
Einen Traum hat Daniel Röhrs allerdings doch noch: Seine eigene Herde zu halten. „Ich möchte irgendwann die Rinder, die ich schlachte, auch selber züchten“, sagt er.