Karoxbostel . Deutsche Stiftung Denkmalschutz fördert Sanierung mit 15.000 Euro. Karoxbosteler Verein will Mühle ab 26. August für Besucher öffnen.
Noch vor fünf Jahren war das Gebäudeensemble, vor dem Emily Weede und Christina Dohrmann stehen und von den jüngsten Restaurationsarbeiten berichten, in einem katastrophalen Zustand. Dort, wo man im Jahr 2012 eingestürzte Dächer, 50 Kubikmeter Mist im Wirtschaftshaus und jede Menge Sondermüll vorfand, steht heute ein fast vollständig restaurierter und funktionstüchtiger Mühlenbetrieb. Im August wird die offizielle Eröffnung gefeiert – gerade wird noch an das letzte Gebäude Hand angelegt.
„Kaum jemand hat an den Wiederaufbau geglaubt”, verrät Emily Weede. Sie hat den Mühlenverein gegründet, der die marode Wassermühle Karoxbostel 2012 gekauft und stückweise wieder zum Leben erweckt hat. „Ich war von Anfang an von dem Projekt überzeugt, sonst wäre ich es nicht angegangen”, sagt die Vereinsvorsitzende. „Aber dass wir in fünf Jahren nicht nur die Mühle und das Hauptgebäude, sondern auch die umliegenden Gebäude restaurieren konnten, hat meine Erwartungen noch übertroffen.”
Neben der Mühle samt Mahlwerk und anliegendem Haupthaus wurden auch die alte Sägerei und das Backhaus im Sinne des Denkmalschutzes erneuert. Für die einzelnen Maßnahmen haben Emily Weede und ihre Mitstreiter insgesamt knapp 500.000 Euro aufgebracht – durch Fördergelder und mit vereinseigenen Mitteln.
Zu den Förderern gehören die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die niedersächsische Bingo-Umweltstiftung, die niedersächsische Sparkassenstiftung, der Landkreis Harburg und die Gemeinde Seevetal. Hinzu kommen Spenden und jede Menge Eigenleistung. „Das Projekt ist nur möglich, weil hier alles ehrenamtlich läuft. Außerdem verzichten wir absichtlich auf private Großsponsoren, um alles selbst in der Hand zu behalten”, sagt die Vereinsvorsitzende.
Schon die ursprüngliche Fünf-Jahres-Planung, die lediglich Mühle und das Wirtschafts- und Gemeinschaftshaus einschloss, hatten Experten als „überaus ehrgeizig” bezeichnet. Mit dem unnachgiebigen Engagement der vielen Mühlenfreunde war schlicht nicht zu rechnen. Auch Emily Weede hat das Interesse überrascht: Aus den 88 Gründungsmitgliedern sind mittlerweile mehr als 1000 geworden. Jeden Sonntag seit der Gründung kommen etwa 50 freiwillige Helfer für den „Mühlenputz” zusammen. Alle packen an und um 11.30 Uhr wird gemeinsam gegessen. „Den Mühlenputz hat es seit dem Startschuss an jedem Sonntag gegeben”, sagt Emily Weede stolz. „Als wir ihn einmal ausfallen lassen wollten, hat man uns für verrückt erklärt.”
Mit dem Schweinehaus wird nun das letzte Haus des Gebäudeensembles saniert. Am Mittwoch erhielt der Verein außerdem einen Scheck über 15.000 Euro. Das Geld soll dafür verwendet werden, das Reetdach des Hauptgebäudes einzudecken. Im Beisein von Seevetals Bürgermeisterin Martina Oertzen (CDU) und anderen Förderern überreichte Dieter Kunze, der Stader Ortskurator der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, die Summe. Schweinehaus und Reetdach bilden die letzte Etappe der Restaurationsarbeiten, die bis zum offiziellen Eröffnungstag am 26. August 2017 abgeschlossen sein sollen.
Auf dem Mühlengelände laufen die Arbeiten dafür auf Hochtouren, aber auch in den bereits sanierten Bereichen laufen Menschen geschäftig umher – darunter Hobbymüller, Schreiner und neugierige Beobachter. „Irgendjemand ist immer da“, sagt Christina Dohrmann, die als Schatzmeisterin und Organisatorin tätig ist. „Uns ist auch wichtig, dass die Mühle nicht nur angeguckt wird“, so Emily Weede. „Die Mühle soll mahlen.“
Als zwei Helfer in ihrem Auto auf das Gelände der Mühle rollen, werden sie mit Jubel und lautstarkem Beifall begrüßt. Als Zuschauer dieser Szene bekommt man eine Ahnung davon, warum das Restaurationsprojekt so viel Unterstützung erfährt. Die Mühlenfreunde hatten am Vortag die Rigipsplatten im Schweinehaus verputzt und werden für diese Leistung gebührlich empfangen.
Im Gegensatz zu den übrigen Gebäuden ist das einstöckige Schweinehaus nicht denkmalgeschützt und wird auch nicht in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Für die 170 Quadratmeter hat der Verein eine andere Verwendung. So wird der vordere Gebäudeteil zu einem Gruppenraum umfunktioniert und ein modernes Antlitz bekommen – daher die Verkleidung der alten Steinmauern mit Rigipsplatten.
Der hintere Bereich soll als Werkraum dienen. Trotzdem ist es Emily Weede wichtig, dass die ursprüngliche Nutzung des Gebäudes erkennbar bleibt: „Die alte Raumaufteilung haben wir beibehalten.” Außerdem habe man absichtlich die alten Mauern der Buchten erhalten, in denen die Schweine standen. Für die Fassade haben die Mühlenfreunde die Freiheit vom Denkmalschutz genutzt und Bretter verarbeitet, statt die Steinwände wieder herzustellen.
Auch wenn die Wassermühle Karoxbostel vordergründig ein Denkmalschutzprojekt ist, steckt viel mehr dahinter. „Wir wollen Menschen zusammenbringen“, erklärt die Mühlen-Macherin Weede. Dafür war von Anfang an geplant, ein Kulturprogramm zu etablieren und einen Begegnungsort zu schaffen. Regelmäßig finden deswegen schon seit 2013 Veranstaltungen wie Ausstellungen, Lesungen und Aufführungen statt – unter anderem vom Hamburger Thalia Theater und dem Schauspielhaus. Hinzu kommen Projekte wie eine Streuobstwiese und Bienenhaltung sowie Kooperationen mit Schulen und sozialen Einrichtungen wie den Elbewerkstätten.
Wichtig ist Emily Weede und Christina Dohrmann, dass ihr Mühlenverein als Gemeinschaft ohne verstaubten Vereinsdünkel wahrgenommen wird. „Wir sind immer offen für neue Mitglieder“, so Schatzmeisterin Dohrmann. Ihren Integrationswillen haben sie kürzlich bewiesen. Weil ein Perlhuhn auch nach Vermittlungsversuchen in der Zeitung kein neues Zuhause fand, haben die Mitglieder es aufgenommen und dem vereinseigenen Perlhahn eine Partnerin zur Seite gestellt. Besucher des Denkmals seien gewarnt: Mühlenhahn Pavarotti verteidigt seine Perlipopp lautstark. Aber das Gelände bietet ja genügend Platz, um sich aus dem Weg zu gehen.