Neuenfelde. Zwei Jahre lang war die Arp-Schnitger-Orgel der Neuenfelder St.Pankratius-Kirche in der Werkstatt. Jetzt wird sie wieder montiert

„Orgelmetall“ ist eine spezielle Legierung aus Blei und Zinn. Wenn es noch nicht oxidiert ist, glänzt es hellsilbrig. Die frisch restaurierten Prospektpfeifen der Arp-Schnitger-Orgel in der Neuenfelder Kirche glänzen dermaßen, dass trotz des trüben Wetters vor der Tür das Kirchenschiff dank der Pfeifenreflexion angenehm hell erscheint. Im Schein der großen Pfeifen, auf einem Baugerüst davor, steht Orgelbaumeister Kristian Wegscheider und blickt zufrieden. Zwei Jahre hatte er die Orgel in seiner Werkstatt in Dresden. So gut wie jedes Einzelteil des hochkomplexen Musikinstruments haben er und seine Mitarbeiter begutachtet und bearbeitet. Jetzt bringt er sie zurück.

Orgelbaumeister Kristian Wegscheider aud dem Gerüst vor den Prospektpfeifen
Orgelbaumeister Kristian Wegscheider aud dem Gerüst vor den Prospektpfeifen © xl | Lars Hansen

Dort wartet schon Hilger Kespohl auf das historische Instrument. Der Organist der Neuenfelder St.Pankratius-Kirche ist kein normaler Dorfkantor. Er ist Experte für barocke Orgeln und hat die Stelle in Neuenfelde extra wegen des fast 330 Jahre alten Instruments angenommen, nicht obwohl, sondern weil sie restaurierungsbedürftig war. Die Gelegenheit, so ein Projekt zu begleiten und mitzugestalten, ergibt sich auch für Experten nicht alle Tage.

Das heißt aber auch, dass er die letzten zwei Jahre ein Organist ohne Orgel war, quasi ein Cowboy ohne Pferd. Wenn er in der Zwischenzeit die Gottesdienste auf dem Klavier begleitete, hatte er zwar Blickkontakt zur Gemeinde, anstatt mit dem Rücken zu den Gottesdienstbesuchern über diesen zu thronen. „Ich blickte aber auch immer wehmütig auf die Empore, als die Orgel ausgebaut war“, sagt er. „Deshalb bin ich heilfroh, dass die Orgel jetzt wiederkommt.“

Noch herrscht allerdings viel Leere dort, wo demnächst wieder alles voller Orgel sein soll. Mitten in der Orgel stehen Werkbänke und Tische. An einem davon sitzt Hartmut Schütz und bearbeitet die Pfeifen für die hohen Töne. Er misst die kleinen Röhrchen ab, markiert sie, schneidet sie ab und lötet sie zu. Mit jeder Oktave, die eine Pfeife höher klingt, schrumpft sie um die Hälfte. Bis zu den ganz hohen Tönen hat sich das so radikal ausgewirkt, dass man sehr gute Augen und viel Feingefühl braucht, um sie zu bearbeiten. Hartmut Schütz hat Lesebrillen in drei verschiedenen Stärken auf dem Werktisch liegen.

Feinarbeit: Hartmut Schütz lötet die feinen Pfeifen für die hohen Töne zu
Feinarbeit: Hartmut Schütz lötet die feinen Pfeifen für die hohen Töne zu © xl | Lars Hansen

Damit diese kleinen Pfeifen sich gegen die beindicken Röhren der tiefen Lagen überhaupt durchsetzen können, brauchen sie Druck. Nicht zu viel, sonst überblasen sie schrill, aber auch nicht zu wenig. Solche Feinabstimmungen können in der Werkstatt nicht vorgenommen werden, nur vor Ort. „Diese Kirche hier hat eine traumhafte Akustik“, schwärmt Kristian Wegscheider. „Aber dabei muss man auch einiges beachten. In der Werkstatt in Dresden haben wir jede Pfeife so eingestellt, dass sie klare reine Töne hervorbrachte. In der großen Backsteinkirche mit dem Tonnengewölbe klingt das allerdings zu dünn. Hier müssen wir die Pfeifen so einstellen, dass sie in der Orgel selbst etwas unrein klingen, damit der Ton unten satt und sauber ankommt. Das hinzukriegen ist die wirklich große Herausforderung beim Orgelbau.“ Dass Wegscheider als Dresdener Orgelbauer eine norddeutsche Arp-Schnitger-Orgel restaurieren darf, ist ungewöhnlich. „In Dresden hat in der Barockzeit der zweite ganz große Orgelbauer gewirkt, Gottfried Silbermann“, sagt Wegscheider. „Und die Orgeln der beiden Konstrukteure unterscheiden sich stark vom Charakter. Deshalb traut man Norddeutschen nicht zu, eine Silbermann zu restaurieren und Sachsen werden für gewöhnlich nicht an Arp-Schnitger-Orgeln herangelassen.“

Pankratius-Organist Hilger Kespohl freut sich darauf, bald wieder seine Lieblingsorgel spielen zu dürfen.
Pankratius-Organist Hilger Kespohl freut sich darauf, bald wieder seine Lieblingsorgel spielen zu dürfen. © xl | Lars Hansen

Den Charakterunterschied der Orgeln erklärt Wegscheider mit der Sprache ihrer Heimatregionen: „Das Norddeutsche ist breit und wuchtig mit einem trägen Nachhall und so klingen Schnitgers Orgeln auch. Das sächsische ist eher verspielt und etwas schnatterig. So klingt eine Silbermann.“

Wegscheider spricht beide Sprachen. Er ist in Vorpommern aufgewachsen. Schon zur Orgelbauerlehre ging er allerdings nach Dresden. Das war 1975. Neben der Lehre machte Wegscheider eine Fernfortbildung zum Orgelrestaurator. Als solcher war er streitbar und eckte in der DDR an. Wegscheider stand unter staatlicher Beobachtung. Trotzdem konnte er seine Meisterprüfung ablegen und sich 1989 – vor der Wende – selbstständig machen. Er hat mit seinen Mitarbeitern schon einige große Restaurationsprojekte erfolgreich abgeschlossen.

„Ob Schnitger oder Silbermann – die große Herausforderung ist es immer, den ursprünglichen Reichtum einer Orgel wiederherzustellen“, sagt er. „Denn Orgelmusik soll eine sinnliche Bereicherung sein.“ Bis Montag ist das Team aus Dresden noch in Neuenfelde. Fertig sind die Orgelbauer dann noch nicht, aber eine andere Baustelle wartet auch noch auf sie, in Stettin. Orgelbauer kommen herum. Bis Juni wollen Wegscheider und seine Leute allerdings die Neuenfelder Orgel komplett wieder eingebaut haben. Die ersten Probeläufe hat das Instrument bei Gemeindegottesdiensten, wenn es klappt sogar am Schützenfestsonntag. Diese sollen aber möglichst den Einheimischen vorbehalten bleiben. Sie haben schließlich lange auf ihre Orgel verzichtet und einen Großteil der Restaurierungskosten gespendet oder gesammelt. Die großen Wiedereinweihungskonzerte finden am 25. Juni und 5. Juli statt.

Das offizielle Wiedereinweihungsprogramm: Sonntag, 18. Juni, 15 Uhr Orgelführung für Groß und Klein – mit Annegret Schönbeck und Hilger Kespohl. Eintritt frei. Sonnabend, 24. Juni, 14 Uhr: Orgelvorführung und Bericht über die Restaurierung mit den Organisten Martin Böcker, Hilger Kespohl und Orgelbauer Kristian Wegscheider. Eintr. frei.Sonnabend, 24. Juni, 17 Uhr: Vortrag „Die Verwendung der Orgel im Laufe der Jahrhunderte“ Martin Böcker und Hilger Kespohl referieren mit Musikbeispielen. Eintritt frei. Sonntag, 25. Juni, 16.30 Uhr 1. Konzert zur Wiedereinweihung – Martin Böcker (Stade) und Hilger Kespohl (Neuenfelde) spielen Werke von Scheidemann, Buxtehude, Lübeck u.a. Eintritt 12 EuroSonntag, 2. Juli, 16.30 Uhr: 2. Konzert zur Wiedereinweihung – Michael Radulescu spielt Werke von Muffat, Buxtehude, Bruhns und J. S. Bach Eintritt 12 Euro