Seevetal/Winsen (Luhe). Touristen kommen von überall her, um den Kultfisch zu essen. Doch die Betriebe in Hamburg leiden unter zu geringen Fängen.
Er ist klein und lecker und seit gut zwei Jahrzehnten schwer in Mode: Der Stint, der im März die norddeutschen Flüsse hinaufzieht, ist längst zum Kult avanciert – und zum potenziellen Goldfisch der Restaurants hinter dem Elbdeich zwischen Bullenhausen und Hoopte. Sie haben jetzt zwar Hochsaison, doch kämpfen alle Gastwirte mit einem Problem: Es gehen zu wenige Stinte ins Netz. Das verhagelt ihnen das Geschäft.
„Es ist einfach kaum noch Stint erhältlich“, sagt Karl-Rudolf Sievers vom gleichnamigen Gasthaus in Hoopte. Normalerweise kauft er den Fisch beim Harburger Handelshof. Doch dort war er schon Anfang der Woche ausverkauft. „Die Nachfrage konnte bei Weitem nicht gedeckt werden“, sagt Handelshof-Sprecher Volker Klein.
Sievers versuchte, die kleinen Fische aus anderen Quellen aufzutreiben: „Ich habe in Bremerhaven, Dänemark und natürlich beim Hamburger Fischgroßhandel nachgefragt, keiner konnte mir helfen.“ Schließlich hat Sievers dann doch noch eine Lieferzusage bekommen – allerdings nur kleinere Mengen von kleineren Fischen. Er „streckt“ sie mit Hering, Rotbarsch und Seelachs, serviert Fischplatten statt „Stint satt“.
Sievers vermarktet den kleinen Elbfisch im großen Stil, braucht oft mehrere 100 Kilogramm pro Tag. Er kann gleichzeitig mehrere Busladungen – insgesamt maximal 500 Gäste – bewirten. Und sie kommen von Fehmarn bis Hannover, von Nordrhein-Westfalen bis aus Berlin an die Elbe, um den Kultfisch zu verspeisen.„Ich habe noch fast 3000 Anmeldungen“, sagt der Gastwirt. Weitere 2000 Reservierungsanfragen habe er gar nicht mehr angenommen.
Stint sei für viele Betriebe auch deshalb so wichtig, weil der kleine Lachsfisch nach der allgemein eher schwachen Wintersaison Geld in die Kasse bringe, so Sievers. Stint mache 30 bis 40 Prozent seines Jahresumsatzes aus. Der Gastwirt hofft, bis zum geplanten Saisonende am Karfreitag durchhalten zu können.
Selbst Elbfischer Wilhelm Grube, der an der Quelle sitzt und normalerweise viele Gasthöfe der Umgebung direkt oder über den Handelshof versorgt, muss mit seinen mageren Fängen haushalten und behält den Fisch nun größtenteils für sich. Er betreibt am Hoopter Elbdeich das Restaurant „Grube’s Fischerhütte“.
Ihm sei in diesem Jahr gerade mal die Hälfte der normalen Menge in die Reusen gegangen, sagte Grube kürzlich dem NDR, wie schon im Vorjahr neige sich die Fangsaison vorzeitig ihrem Ende zu. Früher habe er jeden Tag bis zu einer Tonne Stint aus der Elbe geholt, jetzt seien es über die Saison 20 Tonnen Fisch. Wenn’s gut läuft.
May-Britt Schommburg, Inhaberin des Gasthauses von Deyn im Nachbarort Fliegenberg, bekommt noch Fisch von Grube. „Er hat mir zugesagt, bis Sonntag zu liefern“, sagt die Gastwirtin. Reservierungen nimmt sie seit Tagen nicht mehr entgegen. Sie ist aber zuversichtlich, die bestehenden Anmeldungen bedienen zu können. Sonntag soll dann Schluss sein.
Gasthaus Oppermann hat die Saison vorzeitig beendet
Generell sei sie nicht so sehr auf den Stint angewiesen, er laufe bei ihr „so nebenbei“, sagt Schommburg. Sie verdient ihr Geld mit Geburtstags- und Trauergesellschaften, mit Hochzeiten, Faslamsfesten und Feuerwehrbällen. Zudem betreibt sie einen Partyservice und versorgt werktags den Fliegenberger Kindergarten.
Schommburg: „Gerade hatte ich eine Geburtstagsgesellschaft mit 107 Personen. Da gab es ein Buffet ohne Stint.“ Die Stintsaison mache Spaß, „aber man ist dann auch froh, wenn sie vorbei ist“. Spätestens Montag wird sie das Werbeschild „Futtern wie bei Muttern – Stint satt“ am Kreuzdeich wieder abschrauben.
Die Fischspezialisten in der Fliegenberger Nachbarschaft haben bereits am vergangenen Wochenende die Segel gestrichen: „Aufgrund akuten Fischmangels müssen wir die Stintsaison frühzeitig beenden“, steht auf einem Aushang neben der Eingangstür zum Gasthaus Oppermann.
Die traditionsreiche Speisegaststätte mit familiären Verbindungen zum Fischer Grube öffnet nur, wenn heimische Fische wie Stint oder Maischolle Saison haben (neuerdings gibt es im Herbst auch Brataal). Einige Wochen lang verwöhnt die Wirtsfamilie Beecken dann zahlreiche Fischfans, überwiegend Stammgäste. Eigentlich sollte noch bis in den April hinein Stint serviert werden. Aber am 19. März war Schluss, und Familie Beecken startete spontan in einen ungeplanten Kurzurlaub.
Stintsaison bringt Gäste ins Restaurant
Ein paar Flusskilometer elbabwärts in Bullenhausen bietet Ezz Yassin in seinem Restaurant Essi ebenfalls „Stint satt“ an. Trotz seiner relativen Nähe zum Handelshof in Harburg ist auch für ihn dort nichts mehr zu holen. Auf Nachschub aus Hoopte verlässt sich Yassin schon länger nicht mehr.
„Seit zwei Wochen kaufe ich bei einem Großhändler am Fischmarkt fangfrische Stinte aus der Unterelbe“, sagt er. Während der Woche erstand Yassin dort drei Kisten Fisch, insgesamt 30 Kilo. Die reichen, auf ein Grad heruntergekühlt, voraussichtlich bis Sonntag.
Der Großhändler sei zuversichtlich, ihn noch bis zum Saisonende am Karfreitag beliefern zu können, sagt der Bullenhausener Gastwirt. „Sollte es aber keine fangfrischen Fische mehr geben, dann werde ich keinen Stint mehr servieren. Es wird inzwischen auch Tiefkühlware angeboten, aber das habe ich nicht nötig. Dann verkaufe ich lieber andere Spezialitäten.“
Auch Hamburgs Angler sind betroffen
Die Stintsaison helfe, Gäste ins Restaurant zu bringen, so Yassin, „oftmals isst mehr als die Hälfte der Gruppen aber gar keinen Stint, sondern andere Gerichte“. Auch deshalb spiele der kleine Fisch beim Umsatz keine allzu große Rolle – „mit der Maischolle verdiene ich mehr“.
Auch die Hamburger Angler, die besonders gern in Altengamme die kleinen Fische fangen, standen in dieser Saison weitgehend im Regen, und das nicht nur aufgrund der Witterung. „Die Stintfänge sind mittel bis schlecht. Wenn mal ein Trupp vorbeikommt, kann man mit etwas Glück eine Mahlzeit fangen“, berichtet ein Angler im Internet. Ein anderer schrieb dort bereits Anfang März: „Aktuell gibt es in Altengamme gefühlt mehr Angler als Stinte.“ Aber auch die waren mangels Fisch bald wieder verschwunden.
Stinte gehören zur Familie der Lachse. Es gibt zwei Lebensweisen: Der stationäre Stint (Binnenstint) lebt in nordeuropäischen Seen. Der etwas größere Wanderstint zieht aus Küstengewässern die Flüsse hinauf.
Der Schwarmfisch ist nachtaktiv. Zur Laichzeit zwischen Februar und Mai ziehen große Schwärme flussaufwärts. Viele Elbstinte laichen im Bereich des Wehrs Geesthacht und in flachen, sandig-kiesigen Stellen der Ilmenau. Wichtige Aufzuchtgebiete sind zudem das Mühlenberger Loch und die Hahnöfer Nebenelbe.
Stintlarven und Jungfische reagieren empfindlich auf Sauerstoffmangel im Wasser. Dieser tritt unterhalb des Hamburger Hafens an heißen Sommertagen oftmals auf und schädigt den Bestand des Elbstints.