Die Tochter von Anna-Tina Lang ist schwer behindert, blind und autistisch. Jetzt hat die Mutter ein Buch geschrieben.
Geschafft... Ja, ich habe es wieder geschafft. Mein Herz schlägt Purzelbäume, jede Zelle in mir jubelt. Meine Augen sind voller Freudentränen... Dort, in einer Lagune mit glasklarem Wasser, schwimmen sie, die für mich wunderbarsten Wesen überhaupt. Wir haben ihnen so unglaublich viel zu verdanken: den Therapie-Delfinen von Curaçao.“
Sie hätte nicht gedacht, dass sie einmal diese Worte finden würde. Die Kraft über ihr Leben zu schreiben. Und sich damit noch einmal auf eine Reise durch viele schmerzhafte Erinnerungen zu wagen. Doch Anna-Tina Lang hat es geschafft. Jetzt ist das Buch fertig. „Gezeitenkinder und die Magie der Delphintherapie“, lautet der Titel.
Es erzählt vom Leben mit einer schwerbehinderten, blinden und autistischen Tochter, von zerbrochenen Ehen, Missbrauch, Betrug und Verrat. Es erzählt von Niederschlägen, Verzweiflung und der Kraft, neu anzufangen. Und es erzählt davon, wie die Therapie mit Delfinen das Leben verändern kann.
Bevor die 50 Jahre alte Autorin aus der Lüneburger Heide begann, ihr Leben aufzuschreiben, hatte sie Angst. Angst davor, sich zu entblößen. Doch mit jedem Satz, den sie schrieb, mit jeder Seite, die sie füllte, mit jedem Kapitel, das sie abschloss, ging es ihr besser. Als das Buch fertig war, fühlte sie sich frei. Ihr Leben lag nun offen da. Alles war ausgesprochen.
Die Maske war gefallen. Es gab nichts mehr, wofür sie sich schämen musste. „Würde nun eine Fee kommen und mir ein anderes Leben anbieten, würde ich dankend ablehnen“, sagt Anna-Tina Lang. Jedes Erlebnis hat mich an den Punkt gebracht, an dem ich heute stehe.“
Anna-Tina Lang, die sich nur zum Schutz ihrer Kinder so nennt, wird im Juni 1966 in Wesel am Niederrhein geboren. Als sie ein halbes Jahr alt ist, begeht ihr Vater Selbstmord. Ihre Mutter zerbricht an dem Verlust. „Sie hat aufgehört zu leben“, sagt Anna-Tina Lang. Doch für die Kinder macht sie weiter. Irgendwie.
Der Anblick ihrer jüngsten Tochter Anna-Tina ist für sie eine Qual, da sie ihrem verstorbenen Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ist. „Ich habe mir gewünscht zu sterben oder wenigstens blind zu sein, um meiner Mutter den Anblick zu ersparen“, erinnert sich Anna-Tina Lang. „Daran musste ich oft denken, als klar war, dass meine eigene Tochter nie wird sehen können.“
Wunschkind Janina entwickelt sich nicht wie andere Kinder
Als Anna-Tina acht Jahre alt ist, heiratet die Mutter ein zweites Mal. Der neue Mann im Haus vergeht sich an der jüngsten Tochter. Als diese ihrer Mutter davon erzählt, winkt sie ab. Sie solle doch dankbar sein dafür, dass es ihnen nun gut gehe. „Ich habe die Zeche für den Wohlstand zahlen müssen“, sagt Anna-Tina Lang. Was alles passiert ist, kann sie rückblickend gar nicht mehr genau sagen. „Meine Kinderseele beschloss wohl, meinen inneren Frieden zu schützen, in dem sie mir die Erinnerung nahm.“
Mit 18 verlässt sie das Elternhaus, heiratet und bringt zwei Jahre später eine Tochter auf die Welt. Janina ist ein Wunschkind. Doch das Mädchen entwickelt sich nicht wie andere Kinder. Sie ist ständig müde, trinkt nicht richtig. Statt den Blickkontakt zu suchen, folgt sie den Geräuschquellen.
Als der Kinderarzt feststellt, dass Janina blind ist, bricht für die Mutter eine Welt zusammen. „Janina wird nie die Sonne sehen. Janina wird nie die Bäume sehen, Janina wird nie nie nie... In diesem Moment war Blindheit das Schlimmste, was ich mir vorstellen konnte“, sagt sie. Heute weiß sie, dass dies erst der Anfang war. Und dass das Schicksal noch viel mehr Tiefschläge für sie bereit halten sollte.
Mit zweieinhalb Jahren beginnt Janina zu laufen. Doch mit jedem Fortschritt, den sie macht, bildet sich ihr Sprachschatz zurück. Als sie schließlich frei gehen kann, ist sie stumm. Sie lacht nicht, sie weint nicht. Janina ist einfach nur da. Doch Anna-Tina Lang versteht ihre Tochter auch ohne Worte. „Manchmal denke ich, wir haben eine fast telepathische Verbindung“, sagt sie. „Janina schafft es oft, mir ihre Wünsche nonverbal in meinen Kopf zu legen. Dann kaufe ich Dinge, die ich selbst gar nicht mag, weil ich weiß, dass Janina gerade darauf Appetit hat.“
Das Leben mit einer blinden und darüber hinaus auch noch autistischen Tochter ist eine Herausforderung. Doch die Mutter wächst mit der Aufgabe. Auf der Strecke bleibt die Ehe. Als Janina sieben Jahre alt ist, trennen sich die Eltern. Drei Jahre später lernt sie Jan kennen.
Sie verliebt sich in ihn, auch deshalb, weil er mit Janina gut zurecht kommt. Als Sohn Joshua geboren wird, scheint das Glück perfekt. Anna-Tina Lang will es festhalten, entgegen allen unguten Zeichen. Finanzielle Ungereimtheiten verdrängt sie genauso, wie die Tatsache, dass ihr Mann viele Abende nicht zuhause verbringt. Bis an einem Montagmorgen eine fehlgeleitete SMS auf ihrem Handy landet. In diesem Moment wird klar, dass Jan eine Affäre hat. Als sie eine Paartherapie vorschlägt, lehnt er ab. Schließlich trennen sie sich.
Trotz der Enttäuschung versucht sie, den Kindern eine gute, fröhliche Mutter zu sein. „Mein größter Wunsch als Mutter war es immer, meinen Kindern eine unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen“, schreibt sie in ihrem Buch. „Sie sollten so unbelastet es nur geht frei von Sorgen und Nöten aufwachsen.“
Doch als rauskommt, dass ihr Mann sie nicht nur mit irgendeiner Frau, sondern mit ihrer besten Freundin und engsten Vertrauten betrogen hat – und dass dieses Verhältnis bereits in der Hochzeitsnacht begonnen hatte, verliert Anna-Tina Lang endgültig die Fassung. Sie setzt sich ins Auto. Es soll ihre letzte Fahrt sein, beschließt sie. Doch dann denkt sie an Janina und Joshua. Und an die Worte, die sie als Kind so häufig ihrer Mutter gesagt hatte: „Du hast dein Leben in den eigenen Händen, du kannst es jederzeit verändern.“
Sie musste ihr Leben anpacken und darin aufräumen
Plötzlich ist ihr klar, dass sie sich entweder unendlich bedauern und aufgeben kann oder ihr Leben anpacken und darin aufräumen. Anna-Tina Lang entscheidet sich für letzteres. Sie sucht sich eine Klinik, macht eine Therapie. Es werden die schwersten zwölf Wochen ihres Lebens. „Ich habe gelernt, loszulassen“, sagt sie. Die Vorstellung von einem erträumten Leben, von Beständigkeit und Vertrauen. „Und das, was geschehen ist, als Teil meines Lebens anzunehmen.“
Gemeinsam zieht sie mit den Kindern nach Norddeutschland. Sie bemalen die Zimmertüren mit bunten Schriftzügen. Janinas Zimmer wird das Delfinreich. Auf ihre Tür schreibt Joshua: „Mama, die alles schafft.“
Trotz aller Schwierigkeiten gelingt es ihr, eine Delfintherapie für Janina zu organisieren. „Es sollte ein Versuch sein, Janina zu helfen, sie aus ihrer Isolation zu befreien.“ Der Versuch wird ein voller Erfolg. Janina, die gefangen im Autismus, keine Gefühle zeigen kann, nicht lachen, nicht weinen, nicht sprechen, ist durch den Kontakt mit den Delfinen wie wachgeküsst.
„Sie wurde eigenständiger, lief viel zügiger und sperrte sich kaum noch. Meist reagierte sie sofort auf meine Anrede“, sagt Anna-Tina Lang. Mit Hilfe von Sponsoren und dem Verein Dolphin aid gelingt es, weitere Therapien für die Familie zu ermöglichen. Janina lernt, Schmerzen auszudrücken und sie lernt, ihre Wünsche in Gebärden zu kommunizieren.
„Die Delfine haben das Leben meiner Tochter verändert“, sagt Anna-Tina Lang. Aber sie haben auch auf ihrem Weg gewirkt.
Und so endet ihr Buch, ihre Geschichte mit der Erkenntnis, dass auch Schicksalsschläge als Geschenke des Lebens verstanden werden können. „Sie haben mich geöffnet für das Schöne und die Liebe zu mir selbst“, schreibt sie. „Mich kann heute nichts mehr umwerfen. Egal, was passiert, ich weiß, es geht weiter. Irgendeine Lösung finde ich immer.“
Delfintherapie
Die Delfintherapie ist keine Wundermedizin. Sie kann Krankheiten nicht heilen. Forschungsreihen zeigen jedoch, dass gerade kranke Kinder durch die Arbeit mit Delfinen bis zu viermal schneller und mit größerer Intensität lernen, sie werden aufmerksamer, aufnahmebereiter, erwachen aus ihrer Isolation und Apathie.
Die Therapeuten arbeiten zunächst mit den Kindern und den Delfinen auf einem schwimmenden Dock. Später kommt es dann zum direkten Kontakt zwischen Kind und Delfin im Wasser. Bei dieser Begegnung erkennt der Delphin die Besonderheit der kleinen Patienten und nähert sich ihnen auf zärtlich-spielerische Weise. So verlieren die Kinder schnell die Angst vor den Meeressäugern. Sie entwickeln neues Selbstvertrauen und können die Impulse der Außenwelt besser aufnehmen.
Der Verein dolphin aid hat sich zum Ziel gesetzt, so vielen Kindern wie möglich die wundervolle Begegnung und die wichtige Therapie mit den Delfinen zu ermöglichen. Informationen gibt es im Internet unter www.dolphin-aid.de
Das Buch „Gezeitenkinder und die Magie der Delphintherapie“ ist jederzeit über Amazon erhältlich und kostet als Taschenbuch 14,99 Euro.