Harburg. Armin aus Afghanistan war minderjährig und allein, als er nach der Flucht hier ankam. Martin Meister hilft ihm beim Start in sein neues Leben.

Es sprengt die Vorstellungskraft der meisten Menschen, die hierzulande in Freiheit und Sicherheit aufgewachsen sind: Kinder und Jugendliche aus Syrien, Eritrea, Afghanistan und anderen Ländern sind allein, ohne ihre Eltern geflohen. In den Händen von Schleppern waren sie meist monatelang unterwegs, kamen durch Länder, deren Sprache sie nicht verstanden, erreichten Hamburg: auf sich gestellt und oft ohne ein Wort Deutsch zu verstehen.

Gesetzlich vorgeschrieben ist, dass das Gericht für jeden von ihnen einen Vormund bestellt. Weil das die Kapazität der Jugendämter aber bei weitem sprengt, sucht der Kinderschutzbund in Hamburg im Auftrag der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration ehrenamtliche Vormünder.

Einer von ihnen: Martin Meister (56) aus Wentorf. Sein Mündel ist Armin Heydarzadeh, der inzwischen 18 Jahre alt ist und sich mit einem etwas älteren Flüchtling aus Syrien eine kleine Wohnung in Harburg teilt.

Der Wunsch, eine Vormundschaft zu übernehmen wuchs bei Meister parallel zum wachsenden Flüchtlingszustrom 2015. „Ich wollte genauer verstehen, wer die Menschen sind, die zu uns nach Deutschland flüchten, und ich wollte etwas tun“, sagt er rückblickend.

Und noch etwas motivierte ihn: Die Körber-Stiftung, der Bereich für Kommunikation und Programmplanung er leitet, bot damals jedem Mitarbeiter an, über einen Zeitraum von drei Monaten ein Fünftel seiner Arbeitszeit in die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe zu investieren. Für Meister hieß das, ein Tag pro Woche konnte er diesem Engagement widmen.

Und auch Meisters Familie, seine Frau Anke Pliquett (55) und die erwachsenen Töchter, zogen mit ihm am gleichen Strang. Mehr noch, seine Frau überzeugte ihn mit ihrem Vorschlag, sich die Vormundschaft zu teilen. Das sie Lehrerin ist, war die Arbeitsteilung schnell klar: Sie kümmert sich um Schule, ihr Mann um die Themen Gesundheit und Asylrecht.

Bis sie dann ihrem Mündel zum ersten Mal gegenüberstanden, zogen indes Wochen ins Land. Und Monate, bis sie dann die Vormundschaft übernehmen konnten. Zunächst musste das Ehepaar erweitere Führungszeugnisse vorlegen und Schulungsabende beim Kinderschutzbund absolvieren (Meister: „Die Betreuung ist wirklich sehr gut.“). Dabei ging es zum Beispiel um Themen wie Aufenthalts- und Asylrecht oder Wohnungszuweisung.

Zum ersten Treffen zwischen Martin Meister und Armin kam es Ende 2015 in der Erstaufnahme in Bergedorf, wo der Jugendliche damals noch lebte. Mit dabei eine Betreuerin vom Amt sowie eine Mitarbeiterin des Kinderschutzbundes. Zehn Tage später dann das nächste Treffen in einem Café, am Tisch dieses Mal das Ehepaar Meister und Armin.

Ein Ehrenamt, das mit großer Verantwortung einhergeht

Für alle drei war danach klar: Wir machen das! Ausschlaggebend waren gegenseitige Sympathie – und ein langer Blick in die Augen. „Armin hat mich direkt und offen angesehen“, sagt Martin Meister.

Wie groß die Verantwortung als Vormund sein kann, erfuhr Meister genau zwei Tage nachdem der die sogenannte Bestallung bekommen hatte: Armin kam mit ernsthaften Gesundheitsproblemen ins Krankenhaus und Meister musste entscheiden, ob er in die der anstehenden Nierenoperation einwilligt: „Das ist natürlich nicht das, womit man nun gerade rechnet.“ Trotzdem war es der Anfang einer Verbindung, die bis heute hält, obwohl Armin inzwischen volljährig ist.

Mindestens zweimal im Monat sehen sie sich. Entweder besucht Armin das Ehepaar in Wentorf. Oder der junge Mann und Meister gehen gemeinsam schwimmen. Vor allem aber reden sie. Themen gibt es mehr als genug. Immerhin erschließt sich Armin eine Welt, die ihm manchmal immer noch fremd ist.

Dass sie die Verpflichtung dieser Vormundschaft eingegangen sind, hat das Ehepaar Meister bis heute nie bereut: „Es ist ganz klar eine Bereicherung.“ Und es ist eingetreten, was Anke Pliquett ihrem Mann gleich zu Beginn prophezeit hatte: „Wenn wir uns darauf einlassen, dann ist es von Dauer.“

Sie hat Recht behalten. Jedenfalls sagt ihr Mann heute: „Ich sehe Armin als meinen Patensohn.“ Und Armin? Der weiß längst, was er ihm hat: „Er ist der Erste, den ich anrufe, wenn es Probleme gibt.“ Dabei teilte er nicht nur seine Sorgen mit Martin Meister, ihm erzählt er auch von seinen Träumen: Armin, der eine Internationale Vorbereitungsklasse des Wirtschaftsgymnasiums St. Pauli besucht und gerade für den Mittleren Schulabschluss büffelt, möchte unbedingt IT-Techniker werden.

Ob er das schafft, weiß natürlich auch Meister nicht. Aber er versucht, Armins Erwartungen auf ein realistischen Maß zu stutzen und rät ihm, sich erst mal ein Praktikum zu suchen.

Vormundschaften

Insgesamt 855 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leben nach Mitteilung der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (Basfi) aktuell in Hamburg , mindestens 60 davon allein in Harburg. Darüber hinaus gibt es weitere 1.180 ehemals minderjährige Unbegleitete, die die sogenannte Volljährigkeitshilfe in Anspruch nehmen, die bis zum 21. Lebensjahr gilt.

Ein junger Mensch, der minderjährig und unbegleitet aus seinem Heimatland geflohen ist und in Hamburg landet, meldet sich beim Fachdienst Flüchtlinge (FDF) im Landesbetrieb Erziehung und Beratung. Erfüllt er die Voraussetzung für die Inobhutnahme, informiert der FDF das Familiengericht und stellt den Antrag auf Bestellung eines Vormundes, der dann von dem Gericht bestimmt wird.

Wer Interesse hat, eine Vormundschaft zu übernehmen, wendet sich an den Hamburger Kinderschutzbund (http://kinderschutzbund-hamburg.de/vormundschaften.html), der im Auftrag der Basfi Vormunde sucht, sie schult, begleitet und berät.