Harburg. Wegen der Entschärfung einer Fliegerbombe wurden alle Gebäude am Binnenhafen am Vormittag geräumt.

Verschlafene Menschen verließen gestern früh noch vor Sonnenaufgang ihre Wohnungen am Harburger Binnenhafen. Wegen der Entschärfung der Fliegerbombe wurde das Gebiet von der Polizei von acht bis zwölf Uhr evakuiert (wir berichteten). Einige Anwohner packten Koffer und nahmen ihre Haustiere gleich mit. Der Bahn- und Zugverkehr stand zum Ärger vieler Pendler für eineinhalb Stunden still. Viele Gewerbetreibende gingen gelassen mit dem Geschäftsausfall um.

„Wir machen einfach einen Tag Urlaub“, sagt Zuhal Babalar, Inhaberin des neuen Kiosks und Imbiss Kleeblatt, das Anfang Januar am Schellerdamm öffnete. Ihren Geschäftsstart stellte sie sich zwar so nicht vor, hatte gestern aber keine Wahl und musste den Laden räumen – zumindest am Vormittag. Denn alle Geschäfte, Büro- und Wohngebäude im Umkreis von 300 Metern von der Bombenfundstelle wurden evakuiert.

Für das Burgerrestaurant Quick’s brachte die Bombe reichlich Chaos, sagt Azubi Saskia Fritze
Für das Burgerrestaurant Quick’s brachte die Bombe reichlich Chaos, sagt Azubi Saskia Fritze © HA | Stefanie Ender

Da Babalars Geschäft sich hauptsächlich aus den Einnahmen durch die Mittagsgäste speist, denn sie bietet warme Gerichte, Salate und eingelegten Käse an, fielen die Haupteinkünfte gestern weg. „Wir sehen es positiv und machen den ganzen Tag frei“, sagt sie. Andere waren weniger gelassen: „Schon wieder eine Bombe? Vor zwei Wochen steckte ich schon in Wilhelmsburg fest, weil dort entschärft wurde“, sagt Anwohner Alex Hersch genervt.

Für ihn hieß die Evakuierung: früher aufstehen und früher zur Arbeit fahren. „Gut, das ist am Ende alles machbar“, meint er. Seine Mitbewohnerin Nivedita Pande packte bereits am Vorabend die Koffer, um dem frühen Aufstehen zu entkommen. Sie übernachtete bei Freunden. Angst davor, dass die Bombe hochgehen könnte, hatten beide nicht. Zum Abschied wünschte Pande ihrem Mitbewohner augenzwinkernd eine „gute Nacht neben der Bombe“.

Christine Geppert vom BHH Sozialkontor brachte behinderte Bewohner und Hund Barney in Sicherheit
Christine Geppert vom BHH Sozialkontor brachte behinderte Bewohner und Hund Barney in Sicherheit © HA | Stefanie Ender

Wer gestern früh Furcht, Entsetzen und Schrecken auf den Straßen im Harburger Binnenhafen erwartete, wurde eines Besseren belehrt. Stattdessen liefen verständnisvolle und noch schläfrige Menschen in der Dämmerung in Richtung Innenstadt. „Wir werden uns einen schönen Tag im Haus meiner Kinder machen“, erzählte Rentnerin Evina Jerava, die mit ihrer Freundin Sabine Biler, mitsamt Koffer und Schlüssel für die Ersatzunterkunft den Hafen verließ. 150 Anwohner nahmen einen der Shuttlebusse von der Theodor-York-Straße, Ecke Karnapp, bis zur Notunterkunft am ehemaligen Fegro-Gelände an der Schlachthofstraße.

Zuhal Babalar machte ihren Kiosk für einen ganzen Tag dicht und genoss die freie Zeit
Zuhal Babalar machte ihren Kiosk für einen ganzen Tag dicht und genoss die freie Zeit © HA | Stefanie Ender

Christine Geppert, Sozialpädagogin beim BHH Sozialkontor, war mit Koffer und Hund unterwegs. Sie brachte einige der geistig behinderten Bewohner der Hausgemeinschaft am Schellerdamm in Sicherheit. Zwischen ihren Beine wuselte Hund Barney. „Der musste natürlich mit“, sagt sie. Aus Angst, die Bombe könnte doch hochgehen, nahmen die Bewohner auch ihre Hauskatzen mit in die Hölertwiete.

Dort harrten sie im Sozialkontor-Treffpunkt während der Entschärfung mit Betreuerin Katja Nofftze aus. Die Heilerziehungspflegerin fand den Bombenvorfall gar nicht witzig: „Das hat uns aus unserem Betreuungsalltag gerissen. Als die Polizei gestern Nachmittag gegen fünf Uhr bei uns vorbei kam, um uns zu informieren, waren wir gerade in einer Besprechungsrunde“, erzählt sie.

© HA | Stefanie Ender

Saskia Fritze, Auszubildende im „Quick’s der Burgermeister“ am Schellerdamm, schließt sich dem an: „Natürlich ist es nicht schön.“ Da die Fliegerbombe wenige Meter neben dem Restaurant gefunden wurde, musste der Laden am Vormittag schließen. Die Evakuierung brachte den Geschäftsalltag durcheinander: „Wir mussten unseren Lieferanten sagen, nicht früh sondern am Nachmittag zu kommen und die Reinigungskraft kann frühmorgens vor Öffnung nicht putzen kommen“, erzählte die 18-jährige am Vorabend der Bombenentschärfung. Sie musste stattdessen selbst den Besen schwingen.

Als es gestern früh hell wurde, beruhigte sich der Hafen. Um 10.45 Uhr herrschte vollkommene Stille. Kein Mensch war mehr unterwegs. Nur die Polizeiansagen hallten durch den Binnenhafen. Das Blaulicht spiegelte sich in den dunklen Fenstern.

Die Bombenentschärfung begann. Unterdessen ging es am Harburger Bahnhof laut zu, denn Bahnen und Züge standen still. Die Polizei stellte einen ihrer Wagen demonstrativ vor den S-Bahn-Eingang. Ungeduldige Menschen drängelten. Ohne Aussicht auf Erfolg. Da der Bahnhof genau an den Gefahrenradius grenzte, musste der Verkehr für eineinhalb Stunden komplett ruhen.

Kurz nach zwölf Uhr kam die Entwarnung und mit ihr das Aufatmen: „Schön, dass die Bombe entschärft ist“, sagte ein Harburger, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Der 60-jährige, der den Hafen aus seinen Kindertagen kennt, als hier noch Futtermittel umgeschlagen wurden, ist froh über das gute Ende.