Winsen/Hamburg. Ehemaliger Polizist des LKA Hamburg soll mit aktiven Kollegen als „Reichsbürger“ missionieren – Verfassungsschutz prüft, die Polizei ermittelt.

Zwei Pferde auf einer Koppel am Ortseingang von Wulfsen. Auf den Straßen der Gemeinde ist es ruhig. Eine Deutschlandfahne baumelt träge am Mast vor dem Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr. Ein paar Schritte entfernt in der Kita tobt das Leben. Nichts deutet am Vormittag darauf hin, dass hier, in der 1700-Seelen-Gemeinde, irgend etwas schief laufen könnte. Doch in Wulfsen sollen so genannte „Reichsbürger“ höchst aktiv sein. Das geht aus Äußerungen der SPD-Kreistagsabgeordneten Ursula Caberta (SPD) hervor.

Ein pensionierter LKA-Beamter aus Hamburg, der in Wulfsen lebt, habe versucht, sie für die Reichsbürger zu gewinnen, lautet ihr Vorwurf. Im Kommunalwahlkampf hätten sich ihr gegenüber zudem mehrfach Reichsbürger geoutet. die auf Nachfragen angaben, in Wulfsen zu leben. Und: Mindestens ein weiterer, aktiver LKA-Beamter, der ebenfalls in Wulfsen lebt, soll als Reichsbürger im Landkreis Harburg aktiv sein. Der Hamburger Verfassungsschutz überprüft die Vorwürfe, die Hamburger Polizei ermittelt.

Die als verfassungsfeindlich eingestuften Reichsbürger leugnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und lehnen die deutsche Rechtsordnung komplett ab. Sie bekennen sich zum untergegangenen Deutschen Reich und gelten in Teilen als rechtsradikal und gewaltbereit. Bundesweit haben Reichsbürger Schlagzeilen gemacht, etwa als im Oktober ein 49 Jahre alter Reichsbürger in Bayern einen Polizisten erschoss (siehe Info rechts).

Auch im Landkreis Harburg kommen Reichsbürger zunehmend mit dem Gesetz in Konflikt: In Neu Wulmstorf durchsuchten Spezialkräfte der Polizei Anfang November die Wohnung eines 67 Jahre alten Reichsbürgers und beschlagnahmten Pistolen, Gewehre und Revolver. Der Landkreis Harburg hatte gegen den Mann Anzeige wegen illegalen Waffenbesitzes erstattet.

Das Amtsgericht Winsen verurteilte kurz darauf einen Reichsbürger aus Hanstedt wegen Beleidigung des Richters zu einer Bewährungsstrafe. „Es ist die klassische Form der Ablehnung des Staates, die wir bei Reichsbürgern erleben“, sagt Ursula Caberta. „Ein stärkeres rechtspopulistisches Signal gibt es kaum, und es scheint ein ländliches Problem zu sein“, so die SPD-Politikerin.

Sorge bereitet ihr, dass mutmaßliche Reichsbürger im Landkreis zunehmend offensiv auftreten und versuchten, verunsicherte Bürger zu missionieren. „Ich habe erlebt, dass ein pensionierter leitender Hamburger LKA-Beamter aus Wulfsen auf einer Veranstaltung zur Umgehungsstraße in Pattensen an mich herantrat und mir ernsthaft erklären wollte, dass es die Bundesrepublik Deutschland gar nicht gebe, weil wir angeblich keine Verfassung hätten“, sagt Caberta. „Er müsste als ,Reichsbürger’ konsequenterweise seine Pensionszahlungen abgeben.“

Der ehemalige Polizeibeamte, den sie als mutmaßlichen Kopf einer Gruppe von Reichsbürgern in Wulfsen sieht, zu der „mindestens ein weiterer, aktiver LKA-Beamter in Hamburg“ zählt, so Caberta, habe ihr ein Buch des Autors John Coleman gegeben. Der Verschwörungstheoretiker liefert den ideologischen Unterbau. „Ich habe selten so einen Schwachsinn gelesen“, sagt Caberta, die als Hamburger Sektenbeauftragte unter anderem Scientology beobachtete. „Das Buch ist extrem antiamerikanisch. Und selbst die Beatles aus Großbritannien werden als Kulturfeinde verunglimpft.“

Die Verweigerung der deutschen Geschichte und die zunehmende Gewaltbereitschaft vieler Reichsbürger erfordere Konsequenzen. „Wer wie in Bayern politisch motiviert Polizisten erschießt, erklärt dem Staat den Krieg“, sagt Caberta. Verfassungsschützer in Hamburg und in Niedersachsen sind über die Vorgänge in Wulfsen informiert. Außerdem macht der Winsener SPD-Ortsverein eine Info-Veranstaltung (siehe unten rechts).

Wulfsens Bürgermeister Gerd Müller (SPD) zeigte sich von den Vorwürfen überrascht. „Es gibt hier im Ort sicherlich einzelne Personen, die braunes Gedankengut äußern und auf Wahlzettel ,NPD’ schreiben. Es ist aber nicht so, dass hier am Stammtisch die Reichsbürger tagen. Trotzdem müssen wir Augen und Ohren offen halten.“

Marco Haase, Sprecher des Hamburger Verfassungsschutzes, ergänzt: „Wir prüfen den Vorgang.“ Ebenso sein niedersächsischer Kollege, Frank Rasche: „Die Angelegenheit wird bei uns derzeit geprüft.“

In Hamburg werden derzeit rund 50 Reichsbürger vom Verfassungsschutz beobachtet, in Niedersachsen soll der Kreis mehrere hundert Personen umfassen. „Wir weisen jedoch ausdrücklich darauf hin, dass es sich um ein ausgesprochen heterogenes Personenpotenzial handelt, das noch einer eingehenden Analyse in Hinsicht auf rechtsextremistische Tendenzen und eine mögliche gewaltbereite Ausrichtung bedarf“, sagt Rasche.

In Hamburg hat die Polizei nach den Hinweisen aus Niedersachsen die Ermittlungen eingeleitet. „Wir haben gestern erstmalig davon gehört“, sagte Polizeisprecher Timo Zill am Mittwoch. „Wir nehmen den Vorgang sehr ernst und arbeiten mit Hochdruck daran, die Dinge aufzuklären. Dazu haben wir ein disziplinarisches Verfahren in der Hamburger Polizei eingeleitet.“