Wistedt . Solidarische Landwirtschaft: Erfolgreiches Konzept in Buchholz und Umgebung dehnt sich jetzt auch auf Buxtehude aus

Das Dilemma eines jeden Landwirts ist, dass er zwar das Urprodukt herstellt, aber meistens am wenigsten verdient. Gewinne entstehen vielmehr in den Handelsstufen. Der ruinöse Preisverfall in der Milchkrise hat das zuletzt anschaulich vor Augen geführt. Inzwischen gibt es im Süden Hamburgs ein Modell, das dieses konventionelle Prinzip über den Haufen wirft: die solidarische Landwirtschaft. Mehrere Menschen schließen sich zu einer Gemeinschaft zusammen, kooperieren mit einem Landwirt, von dem sie direkt – ohne Umwege über den Handel – ihre Lebensmittel beziehen. In Buchholz und Umgebung haben sich bereits 100 Menschen dem Modell angeschlossen. Jetzt soll es ausgedehnt werden.

Der Kern des Projekts: Die Mitglieder bezahlen nicht mehr die Nahrungsmittel, sondern finanzieren die Bewirtschaftung des Hofes. Jeder trägt mit seinem Anteil die Kosten des landwirtschaftlichen Betriebs. Der Bauer kann mit dem Geld, Pacht, Personal und die Kosten für die Bodenbewirtschaftung und die Pflanzen decken und bekommt so Planungssicherheit. „Dafür bekommen wir als Mitglieder das, was der Boden produziert“, sagt Wolfgang Gerull aus Buchholz, „und zwar frische regionale Produkte. Der 64-Jährige ist zusammen mit seiner Frau Felicitas Gerull (48) der Hauptinitiator der Solidarischen Landwirtschaft, kurz: Solawi.

Er hatte vor zwei Jahren von der Solawi in Ravensburg gehört und war sofort begeistert. Damit war der Gründungsgedanke für die Solidarische Landwirtschaft im Hamburger Süden geboren. „Es ist ein Modell, das sehr gut zur Lebenseinstellung von mir und meiner Frau passt“, sagt Wolfgang Gerull. „Alles, was wir uns wünschen, wird dadurch abgedeckt.“ Dazu gehören die biologische Anbauweise und damit auch der Verzicht auf Pestizide und Kunstdünger sowie kurze Transportwege der Ernte. „Wenn man ein bisschen die Welt retten will, muss man etwas tun“, sagt Wolfgang Gerull.

Überraschend schnell fand Gerull Mitstreiter und vor allem in Matthias Keßler (45) einen Landwirt, der einen Teil seiner Fläche zur Verfügung stellt. Keßler betreibt den Hof Quellen, einen nach EU-Verordnung zertifizierten Biohof mit knapp 200 Hektar in Wistedt. Auf den Ackerflächen baut er Winterfutter für seine 150 Rinder sowie Brotgetreide für eine Hamburger Biobäckerei an. Aus den etwa 120 Hektar Grünland gewinnt Keßler Heu und Silage, und nutzt die Flächen im Sommer auch als Weiden für die Tiere. Der Landwirt vermarktet Fleisch und Wurst aus seinen eigenen Rindern. Jede Woche lässt er Tiere schlachten und verkauft die Produkte hauptsächlich auf Wochenmärkten in Buchholz, Tostedt und Buxtehude. „Ich habe so viele Tiere auf dem Hof und betreibe Ackerbau, warum sollte ich nicht auch Gemüse anbauen?“, sagte sich Matthias Keßler und fand, dass es sich gut ergänze. Das äußerte er auch spontan auf einer Informationsveranstaltung der Solawi, die Gerull organisiert hatte, und schon war alles da, was für eine Solidarische Landwirtschaft nötig ist: ein Bauer und zahlreiche Abnehmer.

Seit Anfang 2015 baut Keßler nun auf 2500 Quadratmetern für die Solawi Nordheide Gemüse an. Außerdem arbeitet die Solawi mit dem Arpshof in Dierstorf und dem Meilsener Pflanzenhof in Buchholz zusammen. Obwohl die kalte Jahreszeit längst angebrochen ist, ist die Ausbeute auf dem Biohof Quellen immer noch relativ groß: Grünkohl, Pastinaken, Feldsalat, Rosenkohl, Porree und Kohlrabi. „Es denkt ja jeder, im Winter wächst nichts mehr. Aber das stimmt nicht“, sagt Wolfgang Gerull.

Jeden Freitag ist Erntezeit. Darum kümmert sich insbesondere das Solawi-Mitglied Cody Jolly (31), den der Landwirt Keßler als Betriebsleiter für den Gemüseanbau angestellt hat. Wer will, kann auch selber ernten. Oft kommt Jollys Tochter Madeline (3) vorbei, nimmt sich eine Hacke und hilft mit. Anschließend wäscht Jolly die Lebensmittel und verpackt sie in Kisten. „Das Gemüse sieht genauso aus wie im Laden“, sagt Jolly. Jede Woche versorgt die Solawi 100 Menschen in Buchholz und Umgebung mit Gemüse. Cody Jolly transportiert die Lebensmittel zu Verteilerstationen in Buchholz und Seevetal. Von dort und vom Hof Quellen in Wistedt können die Mitglieder die Produkte abholen. Das läuft so gut, dass sich die Solawi im nächsten Jahr auf Buxtehude ausdehnen soll. Dann will Keßler auf fast einem Hektar Gemüse anbauen, so dass insgesamt 250 Menschen davon profitieren können. Dafür trifft der Verein gerade die ersten Vorbereitungen. Interessierte aus Buxtehude und dem Alten Land können sich am Sonntag, 8. Januar, 14 Uhr, in der Begegnungsstätte Hoheluft, Stader Straße 15, in Buxtehude informieren. Wer in die Solidarische Landwirtschaft einsteigen möchte, muss sich einen Anteil in einem Bieterverfahren sichern. Der liegt durchschnittlich bei etwa 700 Euro. „Das ist aber nur ein Richtwert“, sagt Wolfgang Gerull. „Wer weniger verdient, zahlt auch weniger.“