Harburg. Neues Buch und App stellen 34 geschichtlich interessante Standorte vor, damit Harburger ihr Hafenviertel wiederentdecken.

Geschichtsinteressierte wissen längst um die historischen Schätze, die im Harburger Binnenhafen verstreut sind. Ein neues Büchlein des Stadtmuseums Harburg/Helms-Museums zeigt 34 lohnenswerte Anlaufpunkte für einen ausgedehnten Hafenspaziergang. Das Bezirksamt unterstützte das Museumsprojekt mit 65.000 Euro – auch damit mehr Harburger ihr Hafenviertel (wieder)entdecken. Das Buch ist so klein gehalten, dass es in die Manteltasche passt. Fünf der 34 Standorte liegen am Schellerdamm, der parallel zur Harburger Schloßstraße verläuft und in deren Schatten steht. Dabei hat auch er historisch viel zu bieten.

Da wäre zunächst das Fleethaus am nördlichen Rand des Schellerdamms Ecke Veritaskai. Es liegt am Westlichen Bahnhofskanal. Dieser war ursprünglich ein mittelalterlicher Stadtgraben und wurde bei der Anlage des ersten Harburger Bahnhofs 1847 für den schnellen Warenumschlag zum Kanal begradigt. Das Fleethaus diente als Getreidespeicher der Harburger Mühlenbetrieb AG, der ersten industriellen Mühle Harburgs am Schellerdamm 2. Sie wurde 1883 von Emil Scheller (1837–1922) gegründet und im Laufe der folgenden Jahrzehnte mehrfach erweitert.

Ausgerechnet im 100. Betriebsjahr stellte die Großmühle 1983 ihre Arbeit ein. Mehr als 20 Jahre stand das Gebäude-Ensemble leer. Dann entdeckte der Projektentwickler aurelius Immobilien den alten Speicher. Das Fleethaus und anliegende Gebäude wurden in den Jahren 2006 bis 2008 komplett entkernt, um Platz für ein Parkhaus und Büros zu schaffen. Die denkmalgeschützte Backsteinfassade am Kanal wurde weitgehend originalgetreu restauriert. Und der Baukünstler Werner Krömeke installierte dort vor zwei Monaten ein „Fenster zur Geschichte“: eine Collage aus historischen Fotos, die die Einlagerung von Getreide in den Mühlenspeicher zeigt.

Ein paar Schritte weiter, am Schellerdamm 4, befindet sich der Kaufmannshof. Er ist ein typisches Beispiel für ein kombiniertes Wohn- und Geschäftshaus um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Es wurde 1850 erbaut und zählt zusammen mit dem 1844/45 errichteten Nachbargebäude zu den ältesten Bauwerken am Schellerdamm. Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Straßenfront und der Innenausbau des Kaufmannshofs nur leicht verändert. 1994 wurde er als historisch bedeutendes Bauwerk aus Harburgs Gründerzeit unter Denkmalschutz gestellt. Heute residieren dort verschiedene Firmen und eine Schauspielschule.

Der dreistöckige Kaufmannshof steht im Schatten seines großen Nachbarn, dem ehemaligen Getreidesilo des Pflanzenölverarbeiters Thörl. Das markante Gebäude mit seiner unverkleideten Betonröhrenkonstruktion entstand 1935 und trug auf dem Dach ein Gerüst mit fünf großen Buchstaben, dem Thörl-Schriftzug. Ursprünglich bestand der Speicher aus 16 Silotürmen. Sechs von ihnen wurden 2001 beim Umbau zu einem modernen Bürogebäude erhalten. Aufgestockt auf insgesamt 14 Etagen und umgeben von modernen Glasfassaden beherrscht der Silo das Bild des Schellerdamms noch heute. Und im Restaurant Silo 16 sind noch trichterförmige Ausläufe der ehemaligen Silotürme zu sehen.

Auf der gegenüber liegenden Straßenseite befindet sich das Gelände des ehemaligen Harburger Bahnhofs, auch Hannoverscher Bahnhof oder Staatsbahnhof genannt. Er wurde 1848 als Sackbahnhof eröffnet. Mit den Kanälen östlich und westlich der Gleisanlagen war er ein wichtiger Umschlagplatz für Güter aller Art. Mit der Fertigstellung der Eisenbahnbrücke über die Süderelbe im Jahr 1873 verlor der Bahnhof an Bedeutung. 1897 wurde die Strecke Hamburg-Harburg in Betrieb genommen; im selben Jahr bekam Harburg an der Strecke einen neuen Bahnhof.

Der alte Bahnhof wurde reiner Güterbahnhof. 1990 hatte er endgültig ausgedient. Es entstand eine ausgedehnte Brachfläche. Sie wurde und wird derzeit mit mehreren Wohnungsbauprojekten komplett verändert. Im südöstlichen Teil des Schellerdamms sind noch Spuren des alten Bahnhofs erhalten. Dort stehen zwei Gebäude aus den 1870er Jahren, ein Verwaltungsgebäude und ein Schuppen für Wartungs- oder Reparaturarbeiten. Ein Teil der Halle mit ihrem ursprünglichen Tor ist noch erhalten. Dort befindet sich eine kleine Ausstellung, die zum Beispiel am Tag des offenen Denkmals (11. September) geöffnet wird.

Weitere Zeugen der Bahnhofs-Ära sind ein paar Bahngleise, ein Prellbock und eine alte Waggondrehscheibe – eine von einstmals 21 Drehscheiben auf dem Bahnhofsgelände. Die Kulturwerkstatt Harburg setzt sich seit Langem für den Erhalt der letzten Drehscheibe ein. Leider ist sie nach einer versuchten Demontage inzwischen zum Schutz vor Metalldieben mit Erdreich abgedeckt. Der Bereich soll Teil eines geplanten Grünzugs zwischen Schellerdamm und Östlichem Bahnhofskanal werden.

Nicht direkt am Schellerdamm, sondern „um die Ecke“ liegt der Channel Tower (Karnapp 25). Dennoch bildet das 75 Meter hohe Wahrzeichen des Binnenhafens den krönenden Abschluss der Straße. Das im Jahr 2002 eingeweihte Gebäude steht für die Kombination aus anspruchsvollen modernen Bauten und historischer Bausubstanz wie der Hilkischen Spirituosenfabrik am Karnapp 15. Die „Spannung zwischen dem „maroden Charme alter Fabriken und Gebäuden wie dem Channel Tower“ mache die Attraktivität des Binnenhafens aus, sagt Buchautor Kay-Peter Suchowa – „da ist nichts glatt gebügelt“.

Das Buch im Taschenformat kostet 5 Euro und ist im Museumsshop am Harburger Rathausplatz 5 sowie in der Geschichtswerkstatt am Kanalplatz 6 (Di 16–19 Uhr) erhältlich