Harburg. Strukturwandel: Am alten Industriestandort Harburg laufen den Gewerkschaften die Mitglieder weg.

Detlef Baade sitzt allein im DGB-Servicebüro am Harburger Schlossmühlendamm. Eigentlich sitzt er hier schon gar nicht mehr, denn den kommissarischen Vorsitz des Harburger Ortsvereins des Deutschen Gewerkschaftsbundes hat der Hafenfachmann Ende Oktober aufgegeben. Sein kommissarischer Stellvertreter Manfred Meier hat zum selben Datum aufgehört.

Die Sozialberatung im Servicebüro wollen Baade, Meier und einige andere Ehrenamtliche noch bis Ende des Jahres fortführen, dann ist der Mietvertrag für das Büro beendet und der Deutsche Gewerkschaftsbund ist aus Harburg weg. Der Ortsverein soll zwar bestehen bleiben und sogar wiederbelebt werden. „Aber eine Adresse wird der DGB in Harburg nicht mehr haben“, sagt Baade.

Was jetzt auf ein Büro zusammengeschrumpft ist, war mal ein ganzes Harburger Gewerkschaftshaus: Zwei Stockwerke IG Chemie, eines IG Metall, auf anderen verteilt ÖTV, IG Druck und Bau, Steine, Erden. Im Erdgeschoss die gewerkschaftseigene Bank für Gemeinwirtschaft und als Untermieter im Obergeschoss die SPD. Das Verschwinden des Harburger Gewerkschaftshauses hat mit vielen Entwicklungen zu tun. Einige sind überall die gleichen, andere treffen Standorte wie Harburg besonders.

Da ist zum einen der Wandel in der Industrie: Was als Niedergang begann, wurde zu einer Umstrukturierung, die darin endete, dass einige Harburger Werke wie Mercedes oder die Raffinerien zwar jetzt mehr produzieren als vorher, aber mit erheblich weniger, dafür umso höher qualifizierten Arbeitern.

Andere Werke schlossen ganz, wie Lühmanndruck oder das Bahnausbesserungswerk oder wurden in kleine Firmen zersplittert, wie die ehemalige Phoenix. Unter dem Strich gibt es weniger Arbeiter – das Rückgrat der Gewerkschaftsbewegung.

Detlef Baade im Harburger DGB-Büro. Die Sozialberatung wird noch bis Dezember fortgesetzt
Detlef Baade im Harburger DGB-Büro. Die Sozialberatung wird noch bis Dezember fortgesetzt © xl | Lars Hansen

Zum anderen sind Solidarität und Ehrenamt, die Standbeine der Gewerkschaftsbewegung, nicht mehr en vogue. „Die Leute sehen die Gewerkschaften immer mehr als Dienstleistungsbetrieb“, sagt Detlef Baade, „dabei sind sie ein Zusammenschluss von Arbeitnehmern, und deshalb auch nur so stark, wie sich Menschen in ihr engagieren.“

Die Lust zum Engagement nimmt ab. Da war zum einen der große Bruch in den 80er-Jahren, als viele Gewerkschafter aus Wut über die Skandale in den gewerkschaftseigenen Firmen das Handtuch warfen. Da ist aber auch die immer entgrenztere Arbeitswelt, die immer weniger Engagement außerhalb des Jobs zulässt. Kirchen und Sportvereine leiden darunter wie eben auch Gewerkschaften und Parteien.

Die einzelnen im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften haben auf den Mitgliederrückgang unterschiedlich reagiert. Es gab Fusionen. Waren es zur Gründung 16 Einzelgewerkschaften im Bund, sind es jetzt noch acht. In ihnen sind immerhin noch sechs Millionen Arbeitnehmer organisiert. Um diese zu halten, setzen einige Gewerkschaften auf ihre „betrieblichen Akteure“, das sind Vertrauensleute und Betriebsratsmitglieder.

Andere suchen sich Schwerpunktbetriebe aus, in denen die Lage besonders brenzlig ist oder in denen man mit Erfolgen glänzen und neue Mitglieder gewinnen kann. Beides führt zu einem verstärkten Engagement in großen Betrieben. Baade sieht das mit Sorge: „Gerade in Harburg gibt es durch die Zersplitterung einiger Firmen viele kleine und mittlere Betriebe. Da gibt es Probleme und Potenziale. Darum muss man sich kümmern.“

Das allerdings ist nicht Sache des Dachverbandes, sondern der einzelnen Gewerkschaften. Detlef Baade selbst kommt aus der vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Der ehemalige Lademeister ist seit Jahrzehnten freigestellter Betriebsrat und Schwerbehindertenvertreter beim Hafenkonzern Eurogate. Nebenbei ist er ehrenamtlicher Sozialrichter, leitet die Beratungsstelle des DGB und war bis vor einigen Tagen kommissarischer Ortsvereinsvorsitzender des DGB in Harburg.

„Kommissarisch, weil schon bei der letzten Wahl nicht genügend Aktive zusammenkamen, um einen satzungsmäßig ordentlichen Vorstand zu wählen“, sagt er.

Die Aktiven zusammenzubekommen, ist schwierig. Es geht nur über die acht Einzelgewerkschaften, aber die sind oft nicht mehr so strukturiert, dass sie ihre Harburger Mitglieder von den anderen in Hamburg unterscheiden. Und wenn doch, dann sortieren einige nach Adresse des Betriebs und andere nach Wohnort des Mitglieds. Die Suche nach Delegierten für die Organisationswahl war oft wie ein Ruf in den Nebel und ein Warten aufs Echo.

Den Harburger Ortsverband aufgeben möchte der DGB nicht: „Wir haben eine kleine Gruppe engagierter Mitglieder, die die politische Arbeit weiterführen werden“, sagt die Hamburger DGB-Vorsitzende Katja Karger. Sie hat sogar einen eigenen Gewerkschaftssekretär mit der Aufgabe betraut. Weitere Aktive sind willkommen. Eine gemeinsame Anlaufstelle werden die DGB-Gewerkschaften allerdings nicht mehr haben, wenn das Büro zum Jahresende schließt. Immer mehr Mitglieder lassen sich über das Internet beraten.

Was Detlef Baade vermissen wird, ist die Harburger Kundgebung zum ersten Mai zu organisieren. „Das war eine schöne Aufgabe“, sagt der 63-jährige, „aber irgendwann muss Schluss sein.“ Ob die neue Gruppe Aktiver sich diese Organisationsaufgabe schon zutraut, weiß Baade nicht. Zu Anfangszeiten der Arbeiterbewegung war Harburg an der Elbe eine ihrer Hochburgen. 2017 gibt es nicht mal mehr ein Gewerkschaftsbüro.