Harburg. Archäologen graben zum zweiten Mal auf dem Baugrundstück zum Kaufhauskanal an der Schloßstraße. Erste Erkenntnisse liegen schon vor.
An der Harburger Schloßstraße laufen wieder Ausgrabungen. Bereits 2012 bis 2014 führte das Archäologische Museum Hamburg (AMH) umfangreiche Arbeiten auf der Schlossinsel und auf dem Baugrund des Projekts Maritimes Wohnen am Kaufhauskanal an der Harburger Schloßstraße durch – sie waren eines der größten archäologischen Grabungsprojekte zur Erkundung von Stadtkernen in Deutschland. Nun gibt es einen Nachschlag: Auf dem Erweiterungsgelände des Wohnungsbauprojekts hat der Investor, die Firma Behrendt, eine Grube ausheben lassen, um Erdmaterial zu gewinnen. Auch sie ist eine archäologische Fundgrube.
„Die neuen Untersuchungen führen uns zu den Hinterhöfen von Gebäuden aus dem 16. Jahrhundert“, sagt Kay-Peter Suchowa vom AMH, der die Ausgrabung zusammen mit seiner Mitarbeiterin Judith Kirchhofer vornimmt. Das erste Grabungsfeld lag deutlich dichter an der Schloßstraße. Dort hatten die Experten seinerzeit den Wohn- und Wirtschaftsbereich eines fast 500 Jahre alten Hauses untersucht. Doch wie groß war das längst verschwundene Gebäude? Und was liegt im hinteren Teil des Hauses? Diese Fragen versuchen sie jetzt am neuen Untersuchungsort zu klären.
Die Größe des Fachwerkgebäudes ist bereits klar. Die Archäologen fanden in der neuen Grube Holzpfähle, die einstmals als Fundament der Rückwand des Hauses dienten. Suchowa: „Sie haben in etwa dieselbe Höhe wie das aus dieser Zeit noch erhaltene Bornemannsche Haus an der Schloßstraße 13, dessen Kern um 1565 errichtet wurde. Später erhielt es Richtung Kaufhauskanal einen Anbau. Er ist am etwas tiefer gezogenen Dach und an der fast fensterlosen Fassade gut erkennbar.“
Die Vermutung, dass im hinteren Teil des Hauses vielleicht Vieh gehalten wurde, haben die Archäologen bereits entkräftet: „Der Boden ist dort verdichtet – das machte man bei einem Stall nicht.“ Die tatsächliche Funktion des Gebäudeteils gilt es noch zu erforschen.
Seit zwei Wochen laufen bereits die Untersuchungen, zwei bis drei weitere Wochen wollen die Archäologen den Bodenschichten weitere Geheimnisse entreißen. Neben den Gründungspfählen entdeckten Suchowa und Kirchhofer historische Wasserleitungen sowie alte Knüppel- und Steinpflasterwege, die zwischen den Häusern hindurch führten. Da das Gelände zwischen dem Siedlungsursprung Horeburg (auf der heutigen Schloßinsel) und der trockeneren Geest sumpfig war, baute man die Gebäude auf Wohnhügeln, sogenannten Wurten. Sie zeichnen sich an einigen Stellen als Sandschichten in den Bodenprofilen der Grubenwände ab.
Durch das Aufschütten der Wurten entstanden zwischen den Grundstücken Gräben. Suchowa kratzt mit einem Spatel an der Stelle eines solchen ehemaligen Grabens und hält ein fingernagelgroßes Stück einer Muschelschale hoch: „Dies ist eine Salzwassermuschel. Sie lebte in der Nordsee und ist das Relikt einer Sturmflut. Das Hochwasser überflutete die Gräben und trug die Muschel bis ins historische Harburg.“
Auch Fragmente von Tierknochen hat das Duo ausgegraben. Schweine-, Rinder- und Schafs- oder Ziegenknochen seien mit dem Auge zu unterscheiden, sagt Suchowa. Ob jedoch Schafe oder Ziegen in den Pferchen am Haus standen, lasse sich nur durch eine genetische Untersuchung klären. Selbst der Jahrhunderte alte Stallmist gibt Aufschluss über die Viehhaltung. Hier können die Archäologen am Geruch erkennen, ob sie die historischen Exkremente von Schweinen, Rindern, Pferden oder Schafen/Ziegen vor sich haben.
Insgesamt lassen sich nahezu alle Funde dem 15./16. Jahrhundert zuordnen. Dabei dienen die beiden Stadtbrände von 1536 und 1564 als wichtige Orientierung. Sie hinterließen Schichten aus verrußtem Holz, Asche und sonstigen Brandresten. Die einige Zentimeter breiten schwarzen Adern unterteilen die in verschiedenen Höhen des Bodenprofils gefundenen Relikte in Zeiten vor und nach dem jeweiligen Brand ein. „Brände sind für Archäologen Glücksfälle“, sagt Suchowa – in der Grube an der Harburger Schloßstraße eröffnen sie drei fast gleich große Zeitfenster ins 16. Jahrhundert.
Auch Keramikscherben sind durch die Bauarbeiten und die nachfolgenden sensiblen Bodenuntersuchungen der Archäologen ans Tageslicht geraten. Suchowa zeigt ein paar Fundstücke vor: „Sie sind von innen glasiert. Das deutet auf neuzeitliche Keramiken hin, die frühestens aus dem 16. Jahrhundert stammen, und passt zu den anderen Relikten.“ Sein spannendsten Fund sei aber der Torso einer weiblichen Figur aus besonders feinem, sogenannten Pfeifenton. Suchowa: „Leider fehlt der Kopf. Die Frau trägt eine Kugel vor dem Bauch. Wenn wir hier fertig sind, werde ich nach einer solchen Figur suchen, die besser erhalten ist.“ Nach den Ausgrabungen beginnt die eigentliche Arbeit: das Auswerten der Fundstücke.
In kleinen Videofilmen erklärt Kay-Peter Suchowa seine Arbeit und die historische Bedeutung der Schloßstraße: www.amh.de, dann auf das twitter-Symbol (Vogel) klicken