Buchholz. Der Prognos-Zukunftsatlas lobt hohe Kaufkraft und wenig Schulden, aber es fehlt an Innovationspotenzial.

Als das Wirtschaftsinstitut Prognos 1966 seinen ersten „Zukunftsatlas“ veröffentlichte, bescheinigte es dem Landkreis Harburg eine „überraschend geringe Wirtschaftskraft“ mit limitierten Perspektiven. Kaum verwunderlich: Landwirtschaftlich geprägt, verstand sich das Tor zur Hansestadt Hamburg durch seine Lage im Naturpark Lüneburger Heide eher als Naherholungsgebiet für die Menschen der Metropolregion und als Anziehungspunkt für Touristen aus nah und fern.

In den vergangenen Jahrzehnten hat der Landkreis einen grundlegenden Strukturwandel erlebt. „Er ging einher mit einem dynamischen Wachstum, nicht zuletzt dank der Erschließung neuer Gewerbegebiete“, sagt Landrat Rainer Rempe. So hätten sich eine ganze Reihe von Unternehmen, Existenzgründern und mittelständischen Betrieben in der Region angesiedelt. Dadurch seien Arbeitsplätze gesichert worden und weitere hinzugekommen.

Der ganze große Sprung gelang dem Landkreis innerhalb der vergangenen drei Jahre. Im Vergleich zum Prognos-Ranking 2013 aller 402 Kreise und kreisfreien Städte Deutschlands ging es 2016 gleich um 66 Plätze auf Rang 70 nach vorn. In ganz Niedersachsen gibt es nur drei Mitbewerber, die besser platziert sind: die Städte Wolfsburg (5.) und Braunschweig (36.) sowie der Landkreis Vechta (66).

Der Index beruht auf insgesamt 29 makro- und sozioökonomischen Indikatoren aus den Themenbereichen Demografie, Arbeitsmarkt, Wettbewerb und Innovation sowie Wohlstand und soziale Lage, die für eine seriöse Standortbewertung maßgeblich sind.

Im Bereich Demografie werden etwa die Geburtenrate, die Bevölkerungsentwicklung sowie der Anteil junger Erwachsener und deren Wanderungssaldo erhoben. Im Bereich Arbeitsmarkt sind es zum Beispiel Arbeitsplatzdichte, Arbeitslosenquote, Schulabbrecherquote, der Anteil Hochqualifizierter und unbesetzte Ausbildungsstellen.

Im Bereich Wettbewerb und Innovation geht es etwa um das Bruttoinlandsprodukt je Beschäftigten, die Gründungsintensität, die Investitionsquote, die Anzahl der Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung in Betrieben. Im Bereich Wohlstand und soziale Lage wird auf die Kaufkraft, die Kriminalitätsrate, die kommunale Schuldenlast und den Anteil der bedürftigen Personen geschaut.

In allen Themenfeldern braucht der Landkreis Harburg den Vergleich mit den angrenzenden Landkreisen nicht zu scheuen. In den Bereichen Demografie (Rang 118) und Arbeitsmarkt (72) ist nur der Landkreis Lüneburg (116 und 67) besser platziert. Im Bereich Wettbewerb und Innovation (190) sind es die Landkreise Stade (163) und Stormarn (178). Und im Bereich Wohlstand und soziale Lage (53) nur Stormarn (43). In Sachen Dynamik macht Harburg (Platz 57) indes kein Nachbar etwas vor, da folgen Lüneburg (59), Stormarn (120), Stade (220), der Heidekreis (230) und Rotenburg (293) zum Teil mit weitem Abstand.

10.000 neue Arbeitsplätze in den vergangenen acht Jahren

„Natürlich profitiert Harburg in starkem Maße von seiner verkehrsgünstigen Lage im direkten Speckgürtel der Metropole Hamburg“, sagt Peter Kaiser, Prognos-Bereichsleiter Regionale Strategien & Prognosen. Die Spill-over-Effekte hätten unter anderem zu einer hohen Dynamik bei der Beschäftigung geführt. So seien in den vergangenen acht Jahren 10.000 neue Arbeitsplätze entstanden, zumeist im Logistiksektor.

Positiv zu Buche schlügen auch die stabile Bevölkerungszahl und die anhaltende Zuwanderung, die geringe Schulabbrecherquote sowie die überdurchschnittliche Kaufkraftkennziffer von 117,6, mit der Harburg deutschlandweit auf Platz 19 rangiere. Auch die kommunale Schuldenlast je Bürger sei mit 807 Euro gerade halb so hoch wie im Niedersachsenschnitt (1580 Euro).

Doch wo viel Licht ist, gibt es natürlich auch Schatten. So besitzt der Landkreis nur eine sehr geringe Arbeitsplatzdichte. Und auch die Investitionsquote der Betriebe ist nicht halb so hoch wie im Bundes- und Landesdurchschnitt.

Noch gravierender ist für Kaiser das geringe Innovationspotenzial. Nicht nur die Zahl der Landkreis-Beschäftigten in Forschung und Entwicklung sei sehr niedrig. Es fehle an Start-ups im IT-Bereich und damit auch an digitalen Impulsgebern. Hier liege Harburg nur auf Rang 230. „Da gibt es noch Entwicklungspotenziale für den Landkreis. Hamburg mag zwar das Tor zu Welt sein. Doch Harburg ist stark als Tor nach Hamburg“, so Kaiser.