Hohnstorf . Die Männer vom Deichverband Artlenburgsind im Moment vor allem mit Mäharbeiten beschäftigt. Das dient der Sicherheit.
Udo Ewert saugt schnell noch mal durch, bevor es auf die Fahrt geht. Das Auto ist schließlich nagelneu und zudem eine Spende. Das von lokalen Sponsoren finanzierte Fahrzeug, ein Ford Courier, hilft dem Deichverband Artlenburg, Mitarbeiter von A nach B zu bringen, oder Ersatzteile für die Mähmaschinen, die jetzt im Dauereinsatz sind. Hier am Deich in Hohnstorf, gegenüber der historischen Altstadt des schleswig-holsteinischen Lauenburgs, hat der Betriebshof des Artlenburger Deichverbands seinen Sitz.
Im Sommer sind die fünf Mitarbeiter vor allem mit der Deichpflege beschäftigt. Die besteht im Wesentlichen aus Mäharbeiten, die nicht nur maschinell erledigt werden, sondern auch in Kooperation mit tierischen Mitarbeitern. Der motorgetriebene Grasschnitt und das Weiden der Schafe gehören bei der Deichpflege untrennbar zusammen. Jede Mähmethode für sich allein genommen würde nicht ausreichen, die 80 Kilometer Deichlänge von der Ilmenaumündung in Hoopte bis zur Kreisgrenze Lüneburg/Lüchow-Dannenberg instandzuhalten.
„Wir mähen im Moment fast jeden Tag“, sagt Ewert. Weil der Sommer bisher nicht nur warm, sondern auch feucht war, wächst das Gras besonders schnell. Die von Schafen gepflegten Deichabschnitte werden dreimal pro Saison gemäht, die Abschnitte, in denen keine Schafe weiden, sechsmal. Das sind vor allem die deichnahen Wohngebiete. Zäune haben die meisten Grundstücke nicht, deswegen dürfen die Schafe hier nicht hin.
Der Verschleiß bei den Geräten ist hoch, die Messer der Mäher müssen täglich nachgeschliffen werden. „Pro Tag und Mäher sind das zwei Messer, nach einer Saison sind sie verbraucht“, erklärt Udo Ewert und zeigt an einem der zwei Meter langen Sägezahnblätter, wie sich die Klingen abnutzen, manchmal auch verbeulen, weil unter dem hohen Gras Steine gelegen haben. Deshalb müssen auch immer mal einzelne Sägezähne ersetzt werden. Das alles geschieht auf dem Betriebshof, ein Schlosser ist dafür zuständig.
Hier lagern auch Ersatzteile, weitere Landmaschinen und – ganz neu – zwei Abfüllmaschinen für Sandsäcke. „Die haben wir nach der letzten schweren Flut 2013 von der Sparkasse gestiftet bekommen“, sagt Udo Ewert. An einem großen Trichter hängen sechs Abfüll-Vorrichtungen, so dass kein Sandsack mehr von Hand vollgeschaufelt werden muss. Daneben liegen flache Sandsäcke auf Paletten: kein gewöhnlicher Sand, sondern feuergetrockneter, dem die Restfeuchtigkeit entzogen wurde. Das hat im Winter den Vorteil, dass die Sandsäcke nicht gefrieren. Und säckeweise Grassaat, um die Grasnarbe auszubessern.
„Kleinere Deichreparaturen erledigen wir selbst, für größere beauftragen wir Unternehmen.“ Derzeit ist eine Firma aus Ostfriesland im Einsatz. Nach dem Hochwasser von 2013 sind die Deiche erhöht worden, immer noch gearbeitet wird an den Deichverteidigungswegen und -plätzen.
Im Einzugsbereich des Artlenburger Deichverbands steht auch die Grenze der Tide-Elbe. Sie wird durch die Staustufe in Geesthacht markiert. „Das heißt, theoretisch können hier zwei Arten von Fluten aufeinander treffen“, erklärt Udo Ewert, „von Westen durch Sturmflut, von Osten durch Hochwasser, das durch starke Regenfälle entsteht.“ Praktisch sei das aber noch nicht vorgekommen.
Die beiden Arten von Hochwasser haben auch Einfluss auf die Bauweise des Deiches: Im sturmflutgefährdeten Bereich an der Niederelbe, westlich von Hamburg, haben sie eine schmale Krone, im Hochwasserbereich östlich von Hamburg eine breite, denn der Deich muss hier dem Wasserdruck oft tagelang standhalten, eine Sturmflut dagegen verschwindet relativ schnell wieder. „Beim der letzten Flut stand selbst der Betriebshof unter Wasser. Es quoll sogar aus den Fugen der Pflastersteine“, berichtet Ewert.
Dass das Hochwasser jetzt im Sommer kommt, sei neu. „Erstmals 2002, dann 2006 und zuletzt 2013. Wenn man die alten Menschen hier fragt, berichten sie, dass es das früher nicht gegeben hat.“
Die Summe der Starkregenfälle aus gebirgigen Lagen in Verbindung mit Schmelzwasser kommt in Niedersachsen an der Elbe an. Mögliche Ursachen: der Klimawandel, die zunehmende Versiegelung des Bodens. Auch am Elbdeich und seinem Hinterland, rund 32.000 Hektar groß, entstehen immer noch Neubaugebiete. Rund 39.000 Menschen leben hier, die 15.000 Grundstückseigner zahlen mit ihren Mitgliedsbeiträgen die Instandhaltung der schützenden Deiche.
Die Fahrt geht zum Einsatzort von Nils Prahl und Julian Weilandt. Mit dem neuen Dienstwagen geht es über die Deichkrone in Richtung Elbbrücke. Die Region ist beliebt bei Urlaubern und Ausflüglern, ein Schild weist auf ein Fischereimuseum hin, ein anderes auf einen Wohnmobilstellplatz.
Hier ist Nils Prahl mit der Handmähmaschine unterwegs. In dem gekürzten Gras kommen ein paar leere Getränkedosen zum Vorschein. „Da war der Weg zum Mülleimer wohl zu weit“, seufzt er. Dabei steht der Abfallbehälter direkt daneben. „Schlimmer wären Glasflaschen, die zersplittern“, sagt Udo Ewert. Für die Säuberung sei eigentlich die Gemeinde zuständig. „Aber wenn wir schon mal hier sind. . .“
Prahl ist erst seit einem Jahr beim Deichverband beschäftigt. Eigentlich ist er gelernter Schlachter. Udo Ewert selbst ist Landwirt von Beruf, Julian Weilandt war vorher in der Umwelttechnik tätig, ein anderer Kollege im Straßenbau. Allen gemein ist, dass sie es gewohnt sind, mit großen Maschinen umzugehen.
Julian Weilandt sitzt im Führerhaus des großen Mähers, auffällig ist das gezackte Reifenprofil. „Das Fahrzeug stammt aus der Schweiz, der Handmäher vom Bodensee“, erklärt Ewert. Der Grund für die Wahl der Lieferanten vom anderen Ende Deutschlands: „Diese Fahrzeuge sind für Hanglagen gebaut.“
Es ist kurz vor 9 Uhr, gleich haben die Männer Frühstückspause. Mit dem neuen Dienstwagen können sie jetzt schneller als mit ihrem Kleinlaster zum Betriebshof und zum Pausenraum gelangen. Ohnehin kommt der kleine Ford auf den Deichverteidigungswegen viel besser durch. Wären da nicht die Radfahrer. „Die sind hier nur geduldet“, betont Ewert. Das Paar mit den gepäckbeladenen Rädern macht aber geduldig Platz, und der Pkw kann passieren, ohne dass die Radler den Betonstreifen verlassen müssen. Mit dem Kleinlaster wäre das nicht möglich.
Die Deichverteidigungsstraße ist höher gelegt worden
„Die Deichverteidigungsstraße ist nach der letzten Flut höher gelegt worden, die Arbeiten sind noch nicht ganz beendet“, erklärt Ewert nun. Am Deichverteidigungsplatz bei Barförde treffen wir wieder auf die ostfriesische Baufirma. Auch der Platz wird erneuert und etwas höher angelegt. Hier lagern Klei und Sand zum Ausbessern des Deiches und zum Sandsäckefüllen bei Flut. Direkt am Deich wäre das zu chaotisch, zumal sich dann viele freiwillige aber ungeübte Helfer melden.
An der Außenseite des Deichs grast eine Schafherde, es duftet nach frischen Gras und Kräutern. Die Schafe fressen das hoch gewachsene Gras ab, danach kann die maschinelle Pflege dort beginnen.
Ein Teil des gemähten Grases wird aufgereiht, so dass der Schäfer es abtransportieren und als Futtervorrat nutzen kann. Was übrig bleibt, wird kompostiert und später auf dem Deich wieder ausgebracht. „Ohne die Schafe hätten wir gar nicht die Kapazitäten, das gemähte Gras zu verarbeiten“, sagt Udo Ewert. Zwei Drittel des anfallenden Grases gehen auf ihr Konto. Zusätzliche Dienste leisten die Tiere mit ihren Hufen, die den Deich festtreten und dabei auch Risiken wie Mauselöcher, Maulwurfshaufen oder bei anhaltender Trockenheit entstehende Risse im Boden neutralisieren.
Auf der Rückfahrt schnackt Udo Ewert noch kurz mit einem Anwohner, der mahnt: „Ihr müsst euch mal um die Schranken kümmern.“ Dadurch, dass zurzeit die Baufirma unterwegs ist, glauben Auswärtige, auf dem Deichverteidigungsweg fahren zu dürfen – was nicht stimmt. Die Deichverteidigungswege dürfen mit Kraftfahrzeugen nur von den Einsatzkräften befahren werden.
„Leider sind die Schranken oft durch Vandalismus beschädigt“, sagt Ewert. Auch die Schlagbäume stellt der Betriebshof selbst her, eine typische Winterarbeit. Ebenso die Baumpflege – Gehölze, die zu dicht an den Deich heranreichen, werden zurückgeschnitten. Der Betriebshof macht das überall dort, wo es keine Anwohner gibt, die für diese Arbeit zuständig wären.
Finanziert wird die Arbeit des Betriebshofes nur aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. „Die EU hat kräftig Zuschüsse für die Deicherhöhung gezahlt – davon ist bei uns aber nichts angekommen“, sagt Ewert. Da ist das neue Fahrzeug ein Segen, denn viele Touren haben die Mitarbeiter bislang auch mit ihren Privatautos abgeleistet. Einen bescheidenen Wunsch hat Udo Ewert dennoch: „Wir könnten noch einen Anhänger gebrauchen, da die Ersatzmesser für die Mäher nicht in den Kofferraum passen.“
Trotzdem ist der 59-Jährige, der hier aus Barförde stammt, zufrieden mit seiner Arbeit: „Bei so einem Wetter wie heute ist das wie Urlaub.“