Neugraben-Fischbek. Neue Zahlen belegen Nachbesserungsbedarf für Neugraben und Teile Harburgs. Neubaugebiete könnten Problem drastisch verschärfen.

Im bundesweiten Vergleich gilt die Ärztedichte in Hamburg als luxuriös. Betrachtet man die Stadtteile als Ganzes, liegt die Zahl der niedergelassenen Ärzte meist deutlich über dem geplanten Soll.

Trotzdem herrscht manchmal Ärztemangel, denn es hapert an der Verteilung. Laut der Bürgerinitiative Neugraben-Fischbek „Nein zur Politik – Ja zur Hilfe” versorgen in Süderelbe deutlich zu wenige Hausärzte die Bevölkerung. Auch Frauenärzte, Urologen und vor allem Psychotherapeuten würden fehlen.

Die Bürgerinitiative hat Zahlen aus Daten der Einwohnerstatistik und der Kassenärztlichen Vereinigung ermittelt, um die zu geringe Ärztedichte zu dokumentieren. Demnach liegt der Versorgungsgrad bei den Hausärzten in Neu­graben-Fischbek bei 89 Prozent, in Hausbruch nur bei 40 Prozent. Die Bürgerinitiative hat die Zahlen der Behörde für Gesundheit zur Prüfung zur Verfügung gestellt. Eine Antwort steht bisher noch aus.

Die Unterversorgung mit Hausärzten und allgemeinen Fachärzten dürfte sich nach Ansicht der Bürgerinitiative noch verschärfen: „Allein für die Neubürger bräuchte es sieben zusätzliche Ärzte, ohne, dass damit das bereits bestehende Defizit ausgeglichen wäre“, sagt Sven Blum. Hintergrund: Neugraben-Fischbek gilt als einer der am stärksten wachsenden Stadtteile.

Hier findet der Mittelstand noch bezahlbare Eigenheime. Nach Angaben der Stadt werden bis zum Jahr 2025 in drei von der IBA Hamburg GmbH entwickelten Wohngebieten insgesamt 11.500 zusätzliche Menschen zu den jetzt 27.500 Einwohnern hinzukommen.

Die Dritte Meile auf Neugrabener Boden gilt als weiteres Bebauungsland. Vor allem, wenn die Stadt das selbst vorgegebene Ziel von zusätzlich 10.000 neuen Wohnungen pro Jahr erreichen will.

In Hamburg gilt es zwar als zumutbar, dass Patienten einen Arzt in weiter entfernten Stadtteilen als dem eigenen aufsuchen. So ist die Rechtslage. Die Bürgerinitiative Neugraben-Fischbek dagegen plädiert für ein Umdenken: „Schwangeren oder Patienten mit Hüftschaden ist die Fahrt nach Barmbek oder Eppendorf nicht zuzumuten”, sagt Sven Blum.

Bei der medizinischen Versorgung fordert die Bürgerinitiative, das Stadtgebiet in Sozialräumen zu betrachten. Süderelbe mit seiner abgegrenzten Insellage wäre so einer. Bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) aber ist die Bezeichnung als statistische Größe überhaupt nicht bekannt.

Was Süderelbe sei, fragte der Hamburger KV-Vorsitzende Walter Plassmann, darauf angesprochen im Juni im Gesundheitsausschuss der Bezirksversammlung Harburg.

Dem Senat der Freien und Hansestadt dagegen ist der Süderelberaum ein Begriff. Er findet sich in dem Bürgervertrag wieder, den er mit der Bürgerinitiative Neugraben-Fischbek abgeschlossen hat. Es war der Erste seiner Art in Hamburg. Der Senat erkennt darin eine „schwierige medizinische Versorgungslage” und eine „starke Handlungsnotwendigkeit” an.

Neugrabener berichten von langen Wartezeiten

Einwohner aus Neugraben-Fischbek und Hausbruch berichten seit Jahren von langen Wartezeiten in den Arztpraxen ihrer Stadtteile. Die Facebook-Gruppe „Aktuelles aus Süderelbe” tauscht sich immer wieder darüber aus. Von Aufnahmestopps bei Ärzten ist die Rede. Vor allem Neubürger sind davon betroffen. Im Jahr 2012 ist Bianca Schmandt nach Neugraben gezogen. Mit Fieber und weichen Knien sei sie glatt weggeschickt worden, schreibt sie. Sie solle es „irgendwo” in Neugraben versuchen.

Eine Erfahrung, die auch Sven Blum gemacht hat. Der Angestellte ist Ende 2013 in das Neubaugebiet Vogelkamp gezogen. Zwei Hausärzte hätten ihn mit dem Hinweis abgelehnt, die Patientenkartei sei an ihre Kapazitätsgrenze gestoßen. Am Ende habe er Glück gehabt: Eine Praxis habe eine neue Ärztin aufgenommen.

Das öffnete auch zusätzlichen Patienten die Tür. Die Arztwahl im Stadtteil sei eingeschränkt, sagt Sven Blum. Eine Beamtin, die mit Namen nicht genannt werden möchte, berichtet, dass ein Facharzt im Neugrabener Zentrum selbst Privatpatienten nicht mehr aufnehme.

Die Kassenärztliche Vereinigung weist zu recht darauf hin, dass sie keinen Mediziner zwingen könne, eine Praxis in Neugraben oder Hausbruch zu eröffnen. Süderelbe gilt als „Kassenland”, also als Raum, in dem viele gesetzlich Krankenversicherte leben.

Mehr Geld lässt sich verdienen in Stadtteilen, in denen viele Privatpatienten wohnen. So sind die Stadtteile Blankenese mit einem Deckungsgrad von 241 Prozent oder die HafenCity mit 202 Prozent medizinisch überversorgt. Als Richtwert gilt, dass ein Hausarzt etwa 1700 Einwohner und ein Kinderarzt rund 2400 Einwohner versorgt.

Immerhin: Ein Hausarzt und ein Augenarzt haben signalisiert, im Neubaugebiet Vogelkamp in Neugraben eine Praxis beziehen zu wollen. Der Quartiersplatz, an dem die Räume entstehen würden, ist bis heute aber noch nicht geschaffen.

In dem Bürgervertrag sagt die Stadt zu, die Planung und Vermittlung geeigneter Praxisräume zu unterstützen. Sollten die Richtwerte bei der Versorgung mit Hausärzten und allgemeinen Fachärzten bis zum Jahr 2018 in Süderelbe unterschritten sein, werde die Stadt die Einrichtung eines Medizinischen Versorgungszentrums prüfen.

Dass das aber nur vage Zusagen sind, weiß auch Sven Blum: „Das sind nicht die Formulierungen, die wir hineingeschrieben haben wollten”, sagt er. Mehr war bei den Verhandlungen nicht herauszuholen.

Die Bürgerinitiative fordert, Prämien für Ärzte zu zahlen

Die Bürgerinitiative fordert, Prämien für Ärzte zu zahlen, die sich in Süderelbe niederlassen und verpflichten, längerfristig zu bleiben. In Braunschweig sei das Modell praktiziert worden. In Hamburg könnten derartige Prämien am Recht scheitern: Der Senat könnte dem Vorwurf ausgesetzt sein, in eine medizinisch überversorgte Stadt zu investieren.

Sven Blum schlägt unkonventionelle Wege vor. Die Gesundheitsbehörde oder der Bezirk Harburg sollten Öffentlichkeitskampagnen an Universitäten starten. „Die Stadt könnte junge Ärzte dabei unterstützen, eine Sonderzulassung für Neugraben-Fischbek oder Hausbruch zu holen.”