Hamburg. 21-Jähriger suchte Hilfe in Psychiatrie, um lebenslanger Haft zu entgehen. Ermittler halten ihn für Schützen von der Steinikestraße.

Er soll Anfang Juni einen Autofahrer (43) in Harburg mit einem Kopfschuss getötet haben und wurde vor fast einer Woche von Zielfahndern festgenommen. Mordkommission und Staatsanwaltschaft halten den 21-Jährigen, wie berichtet, für den Schützen von der Steinikestraße. Was nicht bekannt wurde: Der Mann war auf dem Gelände des Klinikums Nord in Langenhorn verhaftet worden. Offenbar, so heißt es aus Kreisen der Sicherheitsbehörden, wollte er sich dort in psychiatrische Behandlung begeben.

Die Ermittler schließen nicht aus, dass es sich dabei um eine Finte handelt, um ein niedrigeres Strafmaß herauszuschlagen. Was „verminderte Schuldfähigkeit“ ist, regelt der Paragraf 21 im Strafgesetzbuch. Sie trifft zu, wenn die Fähigkeit des Täters, das Unrecht seiner Tat einzusehen, erheblich vermindert ist. Das wirkt sich günstig aus, wenn es zum Urteil kommt. Der Paragraf 49, Absatz 1, sieht dann vor, dass die Strafe gemildert werden kann.

Tatsächlich spielt die Verfassung des in Untersuchungshaft sitzenden Mannes bereits eine konkrete Rolle. „Wir prüfen die Hintergründe der psychischen Verfassung des Beschuldigten in Hinblick auf seine Schuldfähigkeit“, sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nana Frombach. Verminderte Schuldfähigkeit wäre für den in Untersuchungshaft sitzenden Mann ein großer Vorteil. Ihm wird Mord vorgeworfen, was bei einer Verurteilung eine lebenslange Haft nach sich ziehen würde. Bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit ist dagegen nur eine Haft von mindestens drei Jahren vorgesehen.

Viele Schüler und Lehrer sahen die Folgen der Tat

Die Tat ist offenbar das Ergebnis einer Familienfehde zwischen zwei serbischen Roma-Familien. Im Mittelpunkt: die 19 Jahre alte Tochter des Opfers, der eine Zwangsheirat drohte.

Die tödlichen Schüsse fielen am Morgen des 9. Juni. Der 43-Jährige war in Kopf und Hals getroffen worden, als er gegenüber des Hauses der Jugend in sein Mercedes Coupé gestiegen war. Zu dem Zeitpunkt war in der Gegend einiges los. Um die Ecke ist eine Sprachheilschule. Es war kurz vor Unterrichtsbeginn. So mussten viele Schüler und Lehrer mitansehen, was passiert war. Das Deutsche Rote Kreuz vermerkte, dass es daher mit zwei Rettungswagen im Einsatz war und Zeugen und Anwohner versorgen musste.

Die Tat selbst wirkte wie eine Hinrichtung. Laut Zeugen war der Täter zusammen mit einem Komplizen vorgefahren und hatte aus einem Fahrzeug auf den Mann im noch geparkten Mercedes geschossen. Dann flüchteten die beiden mit ihrem Fiat. Der Wagen wurde später verlassen entdeckt.

Maximal zehn Jahre Haft für den Fahrer

Das MEK durchsuchte nach der
Schießerei eine Wohnung
Das MEK durchsuchte nach der Schießerei eine Wohnung © André Zand-Vakili

Der mutmaßliche Fahrer, ein 20-Jähriger, der nach Hamburger Gepflogenheiten noch unter das Jugendstrafrecht fällt, konnte später gestellt werden. Er saß zusammen mit einem Verwandten in einem VW Polo. Dem 20-Jährigen wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen, was nach dem Jugendstrafrecht mit maximal zehn Jahren Haft bestraft werden kann. Der am Freitag festgenommene mutmaßliche Schütze war nach der Tat untergetaucht. Die Polizei setzte ihre Zielfahnder ein, eine Spezialtruppe, die auf das Lokalisieren von Gesuchten spezialisiert ist. Sie nutzen auch Verbindungsdaten oder Daten anderer Behörden, um die Zielperson zu finden. Trotzdem dauerte es rund zwei Wochen, bevor der Mann verhaftet werden konnte.

In der Zwischenzeit waren in Eißendorf mehrere Häuser durchsucht worden, in denen Angehörige des 21-Jährigen wohnen. Dabei wurde auch eine Schusswaffe gefunden, die im Komposthaufen hinter einem Haus lag. Gleichzeitig wurde die Familie des Tatverdächtigen unter Schutz gestellt. „Hier in der Gegend wohnen vier Großfamilien, die miteinander verwandt sind“, sagte ein Polizist. Man befürchtete, dass es Blutrache geben wird, die nicht unbedingt den mutmaßlichen Täter selbst, sondern auch einen Verwandten treffen könnte. Der mutmaßliche Täter hat wenig zur Aufklärung beigetragen. „Ihm wurde rechtliches Gehör angeboten, das er nicht angenommen hat“, sagt ein Beamter. Erfahrung im Umgang mit Polizisten dürfte der Mann haben. Die Liste der Ermittlungsverfahren gegen ihn ist lang und reicht von Gewalt- bis hin zu Eigentumsdelikten.