Warum sich der Landkreis Harburg im vergangenen Jahrzehnt zu einem dynamischen Wirtschaftsstandort entwickelt hat.

Knapp 60.000 Auspendler wohnen im Landkreis Harburg. Es sind Männer und Frauen, die zwar im Landkreis wohnen, dort aber nicht arbeiten. Zwar hat sich die Einwohnerzahl seit Kriegsende auf aktuell knapp eine Viertelmillion Bewohner fast vervierfacht, die Zahl der Arbeitsplätze ist jedoch nicht im gleichen Verhältnis gewachsen. Etwa 30.000 fehlen in den Städten und Kommunen rund um Winsen und Buchholz. Ein nicht zu unterschätzendes Strukturproblem.

„Die Gründe dafür sind vielfältig“, sagt Wilfried Seyer, Chef der Wirtschaftsförderungsgesellschaft im Landkreis Harburg (WLH). Traditionell verstehe sich der Landkreis als bedeutsame Region für den Tourismus. Und sei zudem ein beliebtes und gefragtes Naherholungsgebiet für die Menschen der Metropole Hamburg. Kaum verwunderlich: Rund ein Drittel des gesamten Kreisgebiets befindet sich im Naturpark Lüneburger Heide. Andererseits bietet die Hansestadt durch seine Wirtschaftskraft und ihren Hafen viele Arbeitsplätze in allen nur denkbaren Branchen.

„Doch nur eine gesunde Mischung aus Wohnen und Arbeiten sichert den Städten und Kommunen im Landkreis den dringend notwendigen, finanziellen Spielraum zum Erhalt und Ausbau der Infrastruktur“, weiß Seyer. Ein Paradigmenwechsel hin zum attraktiven Wirtschaftsstandort musste also her – und mündete 1999 in die Gründung der WLH.

Eines ihrer Hauptfelder bestand von Beginn an in der Entwicklung von Gewerbeparks. „Der Landkreis Harburg hat in den letzten Jahren ein dynamisches Wachstum erlebt, nicht zuletzt dank der Erschließung neuer Gewerbegebiete durch die WLH“, sagt Landrat Rainer Rempe dem Abendblatt. So hätten sich eine ganze Reihe von Unternehmen, Existenzgründern und mittelständischen Betrieben in der Region angesiedelt. Dadurch seien Arbeitsplätze gesichert worden und weitere hinzugekommen.

Gewerbeflächen garantieren viele neue Arbeitsplätze

„Bietet ein Vollerwerbshof mit 100 Hektar gerade einem Dutzend Menschen Arbeit sind mit dem Verkauf von rund 75 Hektar Gewerbeflächen bislang rund 2500 Arbeitsplätze entstanden“, zieht WLH-Chef Seyer einen eindrucksvollen Vergleich. Bereits 2001 entstand das Gewerbegebiet „Eichenhöhe“ in Kakenstorf, südwestlich von Buchholz.

Zwar ist es bis heute mit sechs Hektar der kleinste Gewerbepark, der in Regie der WLH erschlossen und vermarktet wurde. In seiner Struktur ist er jedoch nach wie vor beispielhaft. „Die angesiedelten Unternehmen bestehen vor allem aus Handwerksbetrieben aus der Umgegend. Mit dem Im- und Exportunternehmen Vink haben wir aber auch einen Global Player hier, der sich auf den Warenhandel mit Westafrika und Asien spezialisiert hat“, erklärt Seyer.

Luftaufnahme des Gewerbegebiets Kakenstorf, das erste, das die WLH entwickelt hat
Luftaufnahme des Gewerbegebiets Kakenstorf, das erste, das die WLH entwickelt hat © HA | WLH

Im Laufe der Jahre sind sechs weitere Gewerbegebiete hinzugekommen, in die bislang mehr als 160 Millionen Euro investiert wurden. Mit 28,3 Hektar ist die Gewerbefläche in Wennerstorf die bislang umfassendste. Hier ist der WLH mit der Ansiedlung eines Lidl-Zentrallagers ein besonderer Coup gelungen. Die eindrucksvolle Anlage südlich der A1-Anschlussstelle Rade hat knapp 140 Lkw-Terminals für den Warenumschlag. Gemeinsam mit dem noch größeren Log-Park Hamburg auf der anderen Seite der Autobahn bilden beide Standorte eines der größten zusammenhängenden Gewerbegebiete Europas und sind permanent für einen 24-Stunden-Betrieb ausgelegt.

Ausweisung von Flächen geht häufig mit Protesten einher

„Mit seiner günstigen Lage verfügt der Landkreis über alle Standortqualitäten eines erfolgreichen Wirtschaftsraums. Sie machen die Ansiedlung von kleinen Handwerksbetrieben, mittelständischen Unternehmen, aber auch Konzernen so attraktiv“, sagt Seyer. Vier Bundesautobahnen, davon mit der A1 und der A7 zwei Hauptverkehrsachsen Deutschlands und der Europäischen Union führen quer durch Landkreis. Und schaffen dadurch schnelle Verbindungen von West nach Ost und vom Norden in den Süden. Hinzu kommt die große Nähe zum Hamburger Hafen und dem Flughafen in Fuhlsbüttel.

Deshalb sind neue Gewerbegebiete in den vergangenen Jahren zumeist nahe von Autobahn-Anschlussstellen entstanden. So wird der Durchgangsverkehr in Städten und Gemeinden entscheidend reduziert. Was auch zu einer Entlastung der Anwohner beiträgt.

„Dennoch geht die Ausweisung von Gewerbeflächen nicht immer ohne Proteste und juristische Einsprüche ab“, weiß auch Justus Olesch, Wirtschaftsförderer der Stadt Winsen. Momentan vermarktet er gerade die Erweiterung des Gewerbegebiets Luhdorf. Dort sollen zu den bereits bestehenden 47,3 Hektar noch einmal 23,8 hinzukommen.

Olesch: „Der erste von inzwischen fünf Winsener Gewerbeparks entstand bereits 195o im Torfmoor. Weil die Stadt frühzeitig erkannt hat, dass es wichtig ist, heimische Firmen zu binden.“ Im Laufe der Jahre habe es dann aber auch einen wachsenden Zustrom von Hamburger Unternehmen gegeben.

Feierliche Enthüllung des Bauschilds für das neue Gewerbegebiet in Bispingen (Heidekreis) Bispingens Bürgermeisterin Sabine Schlüter, Wilfried Seyer und René Meyer von der WLH und Fachbereichsleiterin Sylvia Rose (v.r.)
Feierliche Enthüllung des Bauschilds für das neue Gewerbegebiet in Bispingen (Heidekreis) Bispingens Bürgermeisterin Sabine Schlüter, Wilfried Seyer und René Meyer von der WLH und Fachbereichsleiterin Sylvia Rose (v.r.) © HA | WLH

Doch nicht immer geht die Entwicklung von Gewerbeflächen so glatt ab wie zuletzt in Winsen. So liegen zum Beispiel die Planungen für den Autohof in Evendorf momentan auf Eis. Erst hatte es Klagen gegen dessen Ansiedlung gegeben, jetzt hat sich der interessierte Betreiber, die bekannte US-Firma Pilot Flying J, aus dem Projekt zurückgezogen. Ins Stocken geraten ist auch die Erschließung und Vermarktung des neuen Gewerbegebiets in Stelle-Fachenfelde, nachdem es dort zu Problemen mit einem großen Discounters kam.

Zuweilen kann die Ansiedlung eines Gewerbegebiets aber auch anderes Ungemach abwenden. So ist der Gemeinde Wenzendorf mit dem Gewerbegebiet Wennerstorf gegangen. „Wegen des extrem niedrigen Grundwasserspiegels sollte auf dem Areal des heutigen Gewerbegebiets eine Feststoffmülldeponie entstehen“, weiß Seyer.

Die in Regie der WLH entstehenden Gewerbeparks genügen im Übrigens höchsten Umweltschutzstandards. Mit ihren Ausgleichsflächen und Regenrückhaltebecken sind sie ökologisch nachhaltig und helfen teilweise auch den Kommunen Überschwemmungen vorzubeugen. Seyer: „Auch dieser Mehrwert macht den Unterschied. Weil umweltbewusste Firmen nicht nur angezogen werden, sie sich aber zugleich nachhaltig positionieren können. Damit tun sie etwas für ihre Reputation und senken ihre Betriebskosten.“

Landkreis verbessert sich im Ranking um 66 Plätze

Dass der Landkreis für die Zukunft bestens aufgestellt ist, bestätigte jüngst auch der „Zukunftsatlas“ des Wirtschaftsinstituts Prognos. Im aktuellen Regionen-Ranking aller 402 Kreise und kreisfreien Städte Deutschlands verbesserte sich der Landkreis Harburg im Vergleich zum letzten Zukunftsatlas 2013 um 66 Plätze und liegt derzeit auf Rang 70. Aus der Metropolregion Hamburg gibt es ansonsten nur noch einen weiteren Landkreis in den Top 100, und das ist Stormarn auf Rang 75.