Hittfeld. Der Hittfelder hat ein Buch über seine Erfahrungen mit der Transplantation geschrieben und setzt sich für mehr Organspenden ein.

Dieser eine Satz durchfuhr ihn wie ein Blitz, strömte in jede Faser seines Körpers und brannte sich in seinem Gehirn für immer fest. „Ihr neues Herz ist da.“ Als der Arzt das sagte, wusste Ralf Struckhof: Jetzt kann mein zweites Leben beginnen.

Das zweite Leben. Es war der 10. September 2015 und der 50-Jährige hatte einen Tag zuvor erfahren, dass sein Zimmernachbar im Universitätsklinikum Eppendorf gestorben war. Tod und Leben, so nah beieinander. Er hatte die Nacht über schlecht geschlafen, und als dann am Morgen der Arzt zu ihm kam, sagte Ralf Struckhof nur: „Das ist nicht wahr.“ Dann brach er vor Freude in Tränen aus.

Acht Monate hatte er auf ein neues Herz gewartet. Es waren Monate des Hoffens, der Ungewissheit und der ständigen Sorge, dass es für die Transplantation vielleicht zu spät sein könnte. Heute sitzt Ralf Struckhof am Esstisch seiner Hittfelder Doppelhaushälfte und kann es irgendwie immer noch nicht so recht fassen, dass alles wieder ganz normal ist. „Ich freue mich über jeden neuen Tag, den ich leben darf“, sagt er.

Er war Mitte 40, als das Schicksal zuschlug. Nach den Hamburger Cyclassics, an denen er als begeisterter Radsportler bereits mehrmals teilgenommen hatte, brauchte er plötzlich eine ganze Woche, um sich zu regenerieren. Ausgelaugt, kaputt und völlig fertig war er – ein Gefühl, das er so nicht kannte. Der Zufall wollte es, dass sein Arbeitgeber, die HSH Nordbank, wo er als Leiter der Kreditanalyse für internationale Schiffsfinanzierung tätig ist, gerade einen umfassenden Gesundheitscheck anbot. Es wurden Auffälligkeiten am Herzen festgestellt, am Ende stand die Diagnose „Non-compaction Kardiomyopathie“, ein angeborener Herzfehler, bei dem sich die Muskeln nicht richtig ausbilden und das Herz immer größer wird.

Doch noch war die Situation nicht dramatisch. Die Therapie bestand vor allem aus genau aufeinander abgestimmten Medikamenten und schlug gut an. Anfang 2015, wurde es dann richtig schlimm. „Ich war tagsüber bei einem Schachturnier und bekam nachts keine Luft mehr “, erinnert er sich.

Sofort ging es auf die Intensivstation des UKE. Hatte er anfangs noch den festen Glauben, dass er bald wieder entlassen werden würde, musste er dann der Realität ins Auge sehen: Die Ärzte sagten, er solle allmählich an eine Transplantation denken. Ralf Struckhof kam auf die High-Urgency-Warteliste der Stiftung Eurotransplant, die Spenderorgane in insgesamt acht europäischen Ländern zuweist. „High Urgency“ ist die höchste Dringlichkeitsstufe, nur diese Patienten haben praktisch überhaupt eine Chance auf eine Transplantation.

Das Herzzentrum im UKE wurde sein neues Zuhause. Gemeinsam mit anfangs fünf anderen Patienten war er auf seiner Station, alle warteten wie er auf ein neues Herz, alle hatten Blutgruppe 0. Das ist insofern von Belang, als 0 zwar die zweithäufigste Blutgruppe in Deutschland ist. Doch anders als beispielsweise Menschen mit der seltensten Blutgruppe AB, die alle anderen Blutgruppen aufnehmen können, kann 0 nur mit 0 versorgt werden – das bedeutete die längste Wartezeit. Im Schnitt waren es 2013 fünf Monate.

Obwohl Ralf Struckhof ein Einzelzimmer hatte und es sich so gemütlich wie möglich einrichtete, war es schwer für ihn. Wären die vielen Besuche von Freunden, Verwandten und Kollegen nicht gewesen, es wäre unerträglich geworden. „Meine Tochter hat immer Bilder gemalt, die ich aufgehängt habe“, erzählt er. Seine Frau kam dreimal unter der Woche nach Feierabend vorbei, ihre Arbeitsstelle war glücklicherweise auch in Hamburg. Und dann waren da noch die Familienbesuche am Wochenende.

Das Familienleben war auf den Kopf gestellt. Die Urlaubsfahrten nach Zypern und Kärnten wurden gestrichen. Niemand wollte Papa im Krankenhaus alleine lassen. Viel Lob hat Ralf Struckhof für seinen Arbeitgeber übrig. Die HSH Nordbank versprach, seine Stelle für ihn frei zu halten.

Die Zeit zwischen Hoffen und Bangen ist für ihn schwierig in Worte zu fassen. Mit den anderen Patienten, die er im Laufe seiner Zeit im UKE kennenlernte, verband ihn das gleiche Schicksal, mit vielen ist er heute noch eng befreundet, umso schrecklicher war es für ihn, dass es nicht für alle gut ausging. Drei sind gestorben, ein weiterer liegt seit März im Koma.

Ralf Struckhof ist unendlich dankbar, dass bei ihm alles glattging. Etwa fünf bis sechs Stunden dauerte seine Herztransplantation an jenem 10. September. Als er am nächsten Tag aufwachte, war er sofort hellwach und voller Adrenalin. „Wissen Sie, wie Sie heißen?“, fragte der Pfleger. „Ralf Struckhof, 5.1.66“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Darauf der Pfleger grinsend: „So genau wollte ich das gar nicht wissen.“

Wer der Spender seines Herzens ist, weiß er nicht. Die Transplantation verläuft völlig anonym. Er vermutet lediglich, dass das Herz aus Süddeutschland stammt und von einem relativ jungen Menschen ist. Über Eurotransplant habe er einen anonymen Dankesbrief an die Familie des Spenders richten können. Er wollte ihnen mitteilen, zu wie viel Gutes die Herzspende geführt habe. „Leider habe ich keine Antwort erhalten.“ Auch damit kann er leben.

Er setze sich nicht zu sehr mit dem Gedanken auseinander, dass da ein fremdes Herz in seiner Brust schlage, sagt er. Wird er dadurch ein anderer Mensch, ist eine fremde Seele auf ihn übergegangen? Solche Überlegungen hält er von sich fern. Er sieht es nüchtern und erklärt: „Bei mir steuern nur noch die Hormone den Herzschlag, nicht mehr die Nerven. Die sind ja durchtrennt.“

Damit alles normal läuft, braucht er Medikamente. „Hammer-Medikamente“, wie er sagt. Sein Leben lang wird er sie nehmen müssen, denn die Gefahr, dass sein Körper das Herz abstößt, besteht immer. „Das Risiko war aber in den ersten sechs Monaten nach der OP am höchsten.“

Auch beim Essen muss er ganz genau aufpassen, rohes Fleisch zum Beispiel ist wegen der Keime tabu. Sein Körper ist anfälliger, auch wenn er nicht mehr einen Mundschutz trägt wie in den ersten Monaten nach der OP. „Man muss sehr stark in seinen Körper hineinhören“, erklärt er. Zugleich dürfe man aber nicht übervorsichtig sein und aufhören, ein normales Leben zu führen. Mit seiner Familie geht er deshalb viel los, ins Kino, ins Theater.

Ein großes Problem sieht Ralf Struckhof in der mangelnden Bereitschaft vieler Menschen, Organe zu spenden. Er setzt sich dafür ein, dass dies anders wird. „Ich finde, man hat einfach eine gesellschaftliche Verantwortung.“ Um über Transplantationen aufzuklären, hat er ein Buch verfasst, in dem er seine persönliche Geschichte niedergeschrieben hat. Darin schreibt er über seine Erfahrungen und will so anderen die Angst nehmen.