Tostedt. Dem Risiko zum Trotz eröffnet Tanz- und Theaterpädagogin Ulrike von Thien Spielstätte. Tag der offenen Tür am Wochenende.
Andere Theater machen zu, Ulrike von Thien, 59, aus Tostedt macht eines auf. Beim Gedanken daran lacht sie kurz auf und sagt: „Ja, eigentlich ist es verrückt.“ Aber die Umstände waren günstig für ein eigenes Theater – für ihren Lebenstraum: Sie hatte Zugriff auf einen Raum, neue Theaterstühle und vor allem engagierte Kinder, die unbedingt weiter spielen wollten.
Eigentlich hatte die Tanz- und Theaterpädagogin längst mit dieser Ära abgeschlossen. Zehn Jahre lang verantwortete sie das Theater Kunterbunt, führte regelmäßig in der Vielharmonie in Tostedt Stücke auf und tourte mit der Crew in die Umgebung.
Es begann in den 90er-Jahren mit Peterchens Mondfahrt und endete 2012 mit dem Nussknacker. Allein schon organisatorisch war es ein Kraftakt. An einem Tag Aufführung in Seedorf, Abbauen, weiter nach Scheeßel, Aufbauen, wieder spielen.
Zu den Stücken, die Ulrike von Thien in ausverkauften Sälen zeigte, zählten unter anderem die kleine Hexe und Schneewittchen. „Mit dem Nussknacker endete es. Das war richtig toll mit wunderschönen Kostümen. Aber trotzdem war es zuviel“, sagt Ulrike von Thien. „Wenn es so große und teure Produktionen sind, steigt der Druck irgendwann immer mehr.“
Der Theaterraum in Tostedt war einst ein Stall und diente zuletzt als Möbellager
Vor vier Jahren hatte sie keine Kraft mehr und beschloss, sich vom Theater zu verabschieden. Doch das wollten die Kinder aus dem Ensemble nicht zulassen. Eines Tages standen sie vor Ulrike von Thiens Tür. „Wir haben gesagt, dass es weitergehen muss, dass sie nicht aufhören darf“, erzählt Elsa Stallard, 14, aus Kakenstorf, die sich noch gut daran erinnert. Das war vor etwa drei Jahren.
Also ging es weiter – mit Proben im Keller. Dann ergab sich vor gut einem halben Jahr die Chance auf eine eigene dauerhafte Spielstätte. Der Raum ihres Vaters im Innenhof Unter den Linden 39 in Tostedt, ein ehemaliger Stall, wurde nicht mehr als Möbellager gebraucht. Damit war der Anfang gemacht. Dass kurz darauf das Imperial Theater in Hamburg seine alte Bestuhlung aussortierte, erschien Ulrike von Thien wie ein glücklicher Zufall.
Monat für Monat werkelte Ulrike von Thiens Mann Leon im Raum und verwandelte das Möbellager in die „Bühne Bunter Vorhang“. Wer will, kann sich am Sonnabend, 23. April, 11 bis 17 Uhr, ein Bild davon machen. Dann öffnet das neue Theater zum ersten Mal seine Türen. Am darauffolgenden Tag, Sonntag, 24. April, laufen die ersten Vorstellungen des Stücks Kikerikiste vom Sams-Erfinder Paul Maar (siehe Infokasten).
Ohne Subventionen haben es Theater heute schwer zu überleben
Ulrike von Thien weiß um das Risiko angesichts mancher Schlagzeilen über kriselnde Theaterbetriebe und den Spardruck. „Ohne Subventionen ist es für die Theater heute schwer zu überleben“, sagt sie. „Ich hoffe, dass sich mein Haus trägt.“ In den vergangenen Tagen vor der Premiere am Wochenende gaben sich die Schauspieler noch den letzten Schliff.
Wer hier auf der Bühne steht, weiß, was im Schauspiel wie wirkt. „Bei Ulrike lernt man so viel“, sagt der zwölfjährige Roman Lamprecht aus Kakenstorf. „Da geht es nicht nur einfach darum, den Text auswendig zu lernen.“
Die Kinder profitieren auch im Schulalltag vom einstudierten Theater. „Es hilft mir, wenn ich Referate halte. Dann bin ich nicht so aufgeregt“, sagt Elsa Stallard aus Kakenstorf. „Und es macht mega Spaß, den Frust in einer Rolle abzulassen.“ Sie ist schon ein alter Hase. Seit 2008 gehört das 14-jährige Mädchen dem Ensemble an.
Wie zuvor im Theater Kunterbunt gilt auch bei der „Bühne Bunter Vorhang“ das Prinzip, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene zum Ensemble gehören. „Das finde ich besonders schön“, sagt die Kostümbildnerin Johanna von Frieling, 30, aus Riepe.
Egal wie alt die Schauspieler sind, auf der Bühne arbeiten sie auf Augenhöhe. „Das ist ganz entscheidend, um miteinander in einen kreativen Prozess gehen zu können“, sagt Ulrike von Thien.
Den anzuleiten und dabei die Balance zwischen pädagogischem und künstlerischem Anspruch zu halten, empfindet sie immer wieder als Abenteuer. „Wichtig ist, genau zu schauen, wie wir eine Verbindung zum Publikum hinbekommen“, sagt sie. „Ich finde es toll, wenn Kinder für Kinder spielen. Das hat für mich was.“