Hamburg. In Neugraben-Fischbek trägt eine Sportgruppe zur Integration von Flüchtlingen bei. Vier von ihnen starten am Sonntag beim Marathon.

„Nein, nein – erst in Hamburg.“ Micheal Ghirmay schüttelt immer wieder energisch den Kopf. Daheim in Eritrea, da ist er noch nicht gelaufen. Seine Staffelkameraden auch nicht. Nicht alle Eritreer laufen, das ist nur ein Klischee. „Nein, nein“, der 20-Jährige hat die Frage eindeutig verstanden und gibt eine klare Antwort. Kein Zweifel.

Am Sonntag läuft Micheal Ghirmay. 16,3 Kilometer. Er ist der Startläufer von „TV Fischbek & friends“ im Staffelwettbewerb beim Haspa-Marathon Hamburg, Startnummer 22477. Dann übergibt er an Micheal Mhtsun (11,2 Kilometer), Merhawi Teklab (5,4 Kilometer) übernimmt, und Hailemicheal Kiros (9,4 Kilometer) schließt die Staffel ab. So ist es geplant.

Alle vier Läufer stammen aus Eritrea, alle vier leben derzeit im Zentralen Erstaufnahmelager für Flüchtlinge (ZEA) in einem ausgemusterten Baumarkt am Geutensweg in Neugraben-Fischbek. Alle haben erst in Hamburg im Januar mit dem systematischen Laufen begonnen. „Wir haben schnell gesehen, dass da einige talentierte Jungs dabei waren“, sagt Frank Schwarz.

Der Elektrotechniker, 52, hat gemeinsam mit Frank Stritzel, 63, die Laufgruppe für Flüchtlinge im Raum Süderelbe ins Leben gerufen. Der TV Fischbek hält es organisatorisch zusammen. Nicht nur Bewohner des ZEA Geutensweg kommen inzwischen zum gemeinsamen Laufen, sondern auch welche aus den umliegenden Folgeunterkünften.

„Wir wollten Sprachanlässe schaffen, es lernt sich leichter, wenn man beim Laufen sagt: ‚Das ist ein Baum‘“, erklärt Stritzel, ein vollfitter pensionierter Berufsschullehrer, „wir können durch das Joggen den Flüchtlingen auch Orientierungshilfe im Stadtteil geben.“ Und vor allem hilft das Laufen, wie auch andere sportliche Aktivitäten, den Flüchtlingen bei der Bewältigung von Traumata, beugt Langeweile und Lagerkoller vor.

„Laufen ist gut, gut“, sagt Micheal Mhtsun und lacht fröhlich. Er ist wie die anderen Eritreer Mitte September nach Hamburg gekommen. Mit dem Boot über das Mittelmeer. „Lampedusa“, sagt er, und „Khartum“, die Hauptstadt des Sudan, wo die Gruppe zwei Monate ausharren musste.

Die Verständigung ist schwierig, Englisch sprechen die jungen Männer im Alter zwischen 20 und 28 Jahren ebenso wenig wie Deutsch. Mitläufer und Mitbewohner Samsom Meread ist als Sprachtalent zum „Dolmetscher“ geworden. Striezel gestikuliert derweil lebhaft mit den Händen, nutzt einfachste Satz- und Sprachstrukturen. So finden sie zusammen.

Geschichten, Schicksale treten zutage. Micheal Mhtsun beispielsweise hat Frau und Kind in Eritrea zurücklassen müssen, um ein besseres Leben zu finden. Er telefoniert, sooft es geht, aber glücklich macht ihn das nicht. „Schwer, schwer“, sagt der 25-Jährige.

Die Eritreer sind unter den Flüchtlingen die besten Läufer

Laufen hilft. Zwischen zehn und 15 Sportler treffen sich regelmäßig am Geutens­weg, zweimal in der Woche dienstags und sonnabends. Dann geht es raus in den Stadtteil, durch das Fischbeker Moor, die Fischbeker Heide. „Man weiß das ja durch Leichtathletik-Übertragungen im Fernsehen, die Afrikaner sind gute Läufer“, sagte Frank Schwarz, der selbst Hobby-Triathlet ist, „die Eritreer haben sich tatsächlich als die leistungsstärksten Läufer herauskristallisiert.“

Irgendwann hatte Schwarz dann die Idee, mit der Gruppe am Marathon teilzunehmen. Dank der Kontakte des TV Fischbek, der seit Jahren beim Lauf ehrenamtlich aktiv ist, gab es tatsächlich einen Startplatz.

An diesem Sonnabend holen „die Franks“ Stritzel und Schwarz mit ihren Läufern die Startunterlagen ab. Bereiten den Starterbeutel mit den (gespendeten) Laufklamotten vor. Helfer sind organisiert, die am Sonntag dafür sorgen, dass keiner der jungen Eritreer in der doch fremden, großen Stadt verloren geht. Die richtige Ernährung ist geplant, Wasser, Obst, „auch wenn mir einer erzählt hat, dass er langes Fasten durch die Flucht gewohnt ist“, so Schwarz.

Am Sonntag ist der große Tag. Die Aufregung steigt. „Marathon ist gut, gut“, sagt Micheal Ghirmay.

Kein Zweifel.

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