Sie sind im doppelten Sinne Partner: Im Beruf wie im Privaten. Teil 5: Evelyn Hädrich-Hörmann und Bernd Hörmann von der Club-Tanzschule Hädrich in Wilstorf.

Irgendwann konnte sie das alles nicht mehr ertragen. Die riesige Villa, das Kaminzimmer, den großen Saal, den Pool und den angrenzenden Park. Sie hatte genug von all den materiellen Hülsen, die letztendlich leer sind. Sie wollte nur noch raus, die Vergangenheit ablegen wie ein Kleid, das seine besten Zeiten hinter sich hat. Und das alte Leben abstreifen. Weil es einfach nicht mehr passte. Zu ihr nicht, zu ihren Plänen nicht. Und nicht zu ihrer Lebenseinstellung. Evelyn Hädrich wollte frei sein. So frei, wie sie es auf der Tanzfläche immer war.

Er hätte es nicht zu hoffen gewagt. Dass sie, die begnadete Tänzerin, Weltmeisterin von 1972, wohlhabend und aus gutem Hause, sich für ihn entscheidet. Immerhin ist sie neun Jahre älter. Eine Frau mit Erfahrungen, etabliert, mit gutem Hintergrund. „Was kann ich ihr bieten?“, fragt er sich. Mehr als eine Dachgeschosswohnung ist finanziell nicht drin. Und auch sonst führt Bernd Hörmann Anfang der 80er-Jahre ein eher studentisches Leben. Er ist nicht bereit, den Schritt in ihre Welt zu gehen. Sie aber geht.

Die Tanzschule Hädrich residiert seit 1954 in der Paul-Gerhardt-Straße 12 in Wilstorf
Die Tanzschule Hädrich residiert seit 1954 in der Paul-Gerhardt-Straße 12 in Wilstorf © HA | Hanna Kastendieck

Weil sie jemand ist, der abhaken kann. Nach vorne blicken. Und die Vergangenheit ruhen lassen. Sie weiß, dass es sich leichter durchs Leben geht, wenn der Rucksack nicht so voll gepackt ist. Wer aussortiert, hat weniger Ballast zu tragen. Und ist damit beweglicher. Das ist ihr Credo. Damals wie heute. Wäre Evelyn Hädrich nicht gegangen, die beiden wären wohl nie dauerhaft ein Paar geworden.

Sie sind es aber. Ein Ungleiches irgendwie, das vielleicht aber gerade deshalb so gut zueinander passt. Weil sie sich ergänzen, der eine dort stark ist, wo der andere vielleicht schwächelt. Sie ist unbeschwert, er wägt ab. Sie ist die Ungeduldige, er der Abwartende. Gemeinsam sind sie im Lot.

Was sie aber vor allem verbindet, ist das Tanzen. Eine Leidenschaft, die ihnen im Blut liegt. Von der sie nicht lassen können, auch nach über 50 Jahren auf dem Parkett und 30 Jahren im gemeinsamen Geschäft nicht. Fast täglich sind Bernd Hörmann und Evelyn Hädrich-Hörmann in ihrer Tanzschule in der Paul-Gerhard-Straße oder in der Dependance am Großen Schippsee anzutreffen.

Wenn sie nicht gerade in Holland, Belgien oder Österreich auf Fachtagungen des Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverbandes (ADTV) referieren, unterrichten sie in ihren Räumen die nachwachsenden Tanzlehrer aus ganz Norddeutschland in Walzer, Cha-Cha-Cha, Tango, Foxtrott, Salsa, Quickstep oder Rumba.

Und wenn ein Paar Schuhe durchgetanzt sind, gibt es ein Neues. Ans Aufhören denkt keiner von beiden. Dabei feiert sie am 27. April ihren 70. Geburtstag, er wird in diesem Jahr 61 Jahre alt. Doch Tanzen hält jung, das spüren beide. Es hätte alles ganz anders laufen können.

Wäre Evelyns erster Mann, Wolfgang Opitz, nicht 1973, ein Jahr nachdem das Paar den Weltmeistertitel ertanzt hat, wegen einer anderen Frau gegangen, Evelyn hätte die Ehe nie in Frage gestellt. Und hätten seine Kumpels ihn, Bernd Hörmann, nicht trotz seiner 103 Kilo, die er als junger Mann hatte, zur Tanzschule am Dammtor geschleppt, er hätte nie die wunderbare Welt des Tanzens kennengelernt. Und damit letztendlich auch nicht seine Frau.

Das Ehepaar Hädrich-Hörmann bilde tseine Tanzlehrer und -lehrerinnen selbst aus
Das Ehepaar Hädrich-Hörmann bilde tseine Tanzlehrer und -lehrerinnen selbst aus © HA | Hanna Kastendieck

Denn eigentlich hat er, aufgewachsen in Winterhude, geprägt durch die streng humanistische Erziehung des Johanneums, beruflich etwas ganz anderes vor. Er will Grundschullehrer werden, schreibt sich an der Hamburger Universität für die Fächer Biologie und Chemie ein. Das Tanzen soll ein Hobby sein. Doch es wird mehr. „Auf der Tanzfläche habe ich zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, dass ich nicht zu langsam, zu unbeweglich, zu dick war“, sagt er. „Ich habe gemerkt, dass ich mich bewegen kann ohne abqualifiziert zu werden.“ Das motiviert ihn. Er will mehr, trainiert fünfmal die Woche, nimmt in zwei Jahren 30 Kilo ab. Er macht Trainerlizenzen. Schließlich bewirbt er sich als Co-Trainer bei der Hamburger Lateinformation, trainiert von Evelyn Hädrich.

Übungsschuhe in jeder Größe stehen für Tänzer und Tänzerinnen bereit
Übungsschuhe in jeder Größe stehen für Tänzer und Tänzerinnen bereit © HA | Hanna Kastendieck

Ihre Eltern Gerd und Traute Hädrich leiten damals noch die Tanzschule Hädrich. Evelyn wächst dort auf. Schlüpft als Kind heimlich in die hohen Tanzschuhe ihrer Mutter, während diese unten im Saal unterrichtet. Während die Eltern als Fachlehrer um die Welt reisen, trainiert die Tochter wie eine Besessene. Sie will ganz oben in der Weltspitze mittanzen. Und sie hat das Zeug dazu.

Gemeinsam mit Wolfgang Opitz, der nicht nur ihr Tanzpartner, sondern zu dem Zeitpunkt auch Ehemann ist, wird sie 1972 Weltmeister der Professionals in den Lateinamerikanischen Tänzen in London. Dass sie ihm immer ein paar Schritte voraus war, hat Bernd Hörmann nie gestört. Für den gemeinsamen Betrieb der Tanzschule, den sie 1989 übernehmen, ist das sogar von Vorteil.

Weil Evelyn Hädrich-Hörmann eine ist, die Erfahrung hat, Sicherheit vermittelt, weiß, wo es langgeht. Sie ist in dem Metier geboren, er wächst dort hinein. Tausende Jugendliche sind durch ihre Schule gegangen, haben Etikette und Respekt gelernt, zu führen und sich führen zu lassen.

„Wir wollen ein Ort sein, an dem sich Generationen treffen“, sagt Evelyn Hädrich-Hörmann. „Manchmal tanzen vier Generationen auf einem Ball. Das ist doch fantastisch.“ Dabei gehe es nicht darum, auf der Tanzfläche alles richtig zu machen. „Wir wollen das sehen, was gut ist“, sagt Bernd Hörmann. „Auch wenn jemand aus dem Takt gerät, so kann er sich dabei toll bewegen. Bevor wir korrigieren, loben wir erstmal.“ Das ist seine Einstellung. Auch in anderen Lebensbereichen: das Gute zu sehen und den Blick dafür zu schulen.

Vielleicht ist das Teil ihres Erfolges. Beruflich sicherlich. Aber auch privat. Weil sich das Geschäft nach Feierabend nicht abstreifen lässt wie eben ein durchgeschwitztes Kleid. Es ist omnipräsent. Quasi verwoben mit den beiden.

Auch wenn sie den Unterricht in der eigenen Tanzschule inzwischen ihren von ihnen selbst ausgebildeten Trainern überlassen, sind sie permanent in Sachen Tanzsport im Einsatz, er als Präsidialmitglied im ADTV, gemeinsam auf internationalen Tanzlehrerkonkressen und in regionalen Fortbildungszentren.

Neuerdings ist auch Sohn Marcus mit im Unternehmen. Der Bewegungswissenschaftler hat mit „Hädrich Fitness“ eigene Ideen in die Tanzschule eingebracht. Seitdem steht neben den klassischen Tanzkursen auch Functional Bodyweight Workout, Rückenfit, Zumba und Ernährungsberatung auf dem Programm.

Sie wissen, dass es schwierig geworden wäre, wenn die Beziehung nicht gehalten hätte. Dass es eine Gratwanderung sein kann, zusammen zu leben und gemeinsam ein Unternehmen zu führen. Und dass so etwas nur funktionieren kann, wenn man entweder sehr ähnlich tickt oder sich an gemeinsame Regeln hält. „Das ist im Grunde ganz ähnlich wie beim Paartanz“, sagt Bernd Hörmann. Und weil er einer ist, der viel nachdenkt, hat er vor ein paar Wochen seine Gedanken aufgeschrieben. Daraus wurde das „Grundgesetz für den Paartanz“.

In Artikel 2, Absatz 1 heißt es darin: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Bewegung, soweit er nicht die Parkett-Rechte anderer verletzt. Und weiter in Absatz 2: „Jeder hat das Recht auf Rhythmus und körperliche Eigenständigkeit. Die Freiheit der Person in der Tanzhaltung ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Ausrutschers eingegriffen werden.“

Die Hörmanns halten sich daran. Nicht nur im Geschäft, sondern auch privat. Sie lassen sich ihren Rhythmus, ihre Eigenständigkeit und Freiheit. Keiner muss sich dem anderen anpassen. Und gerade deshalb funktioniert es so gut. Letztendlich aber bleibt bei ihnen als großes Fundament die Leidenschaft für das Tanzen. Wenn die Schule geschlossen ist und sie den Saal alleine haben, drehen die beiden manchmal nur für sich die Musik lauter. Einen Lieblingstanz haben sie nicht. Es ist immer der Tanz, den sie gerade tanzen.