Sprötze. Serie: Ich bin Sprötzerin, weil... Angelika Eickhoff lebt hier ihren Traum von der Großfamilie, citynah und doch in der Natur
„Treu den Sitten, treu dem Glauben unserer Ahnen schlicht und recht. Treu bewahren wir die Scholle für das kommende Geschlecht.“ Der Spruch ziert als einziger Schmuck die Giebelseite des großen Bauernhauses an der Niedersachsenstraße 11 in Sprötze. Es ist ein schlichter Backsteinbau, keine Spur von Fachwerkromantik. „Das alte Strohdachhaus ist 1947 abgebrannt“, sagt Angela Eickhoff, deren Mann Gerhard mit den beiden Söhnen den Hof bewirtschaftet. Es ist die vierte beziehungsweise fünfte Eickhoff-Generation auf dem Anwesen.
Auch wenn es nicht ihre, sondern die Eltern ihres Mannes waren, die einst den Leitspruch an die Wand schrieben – die 49-Jährige hat sich das Motto zu eigen gemacht und lebt danach, seit sie sich als junges Mädchen für Mann und Hof entschieden hat. „Wir haben nicht sofort geheiratet. Dass ich mich in Sprötze wohlfühlen würde, war mir von Anfang an klar. Man hat mich mit offenen Armen empfangen. Aber ob ich mit der Landwirtschaft zurechtkomme, wollte ich erst ausprobieren“, sagt die gebürtige Dibberserin.
Die Eickhoffs bestellen heute 200 Hektar Land, versorgen 350 Mastschweine, 2500 Legehennen sowie 36000 Mast-Hähnchen, für die der älteste Sohn Malte verantwortlich ist. Es gibt auch ein paar Rinder. Deren Fleisch wird ausschließlich im Hofladen verkauft. Mit dessen Eröffnung erfüllte sich für Angela Eickhoff vor knapp zwei Jahrzehnten ein Traum. Sohn Ruben, gelernter Landmaschinenmechatroniker, führt den Lohnbetrieb. „Der Hof ernährt somit meine Schwiegermutter, meinen Mann und mich sowie unsere beiden Jungs und deren Familien. Und unsere Tochter Annika, die noch studiert“, sagt Angela Eickhoff.
Die gelernte Krankenschwester schaut täglich in den Ställen nach dem Rechten. „Hier kann und macht jeder alles“, sagt Angela Eickhoff stolz. Weil das so ist, können sie und ihr Mann auch manchmal Urlaub machen, seit die Kinder erwachsen sind. Dennoch: Die Reisen, die sie in den vergangenen Jahrzehnten unternommen haben, sind an einer Hand abzuzählen. Trotzdem ist Angela Eickhoff sichtlich zufrieden. Das liege daran, dass sie als Spross des Dibberser Frommann-Clans das Dasein in der Großfamilie liebe, sagt sie. Und daran, dass sie so gern in Sprötze lebe.
„Das ist ein Ort, der alles bietet, was Herz und Seele begehren: Die Dinge des täglichen Bedarfs, eine tolle Lage, ein lebendiges Dorfleben und nette Menschen.“ Sie zählt die praktischen Vorzüge auf. „Es gibt Supermarkt, Sparkasse, Post, Friseur und Arzt, Kindergärten und Grundschule. Die weiterführenden Schulen Am Kattenberge sind mit Fahrrad oder Schulbus erreichbar, die tolle Einkaufsstadt Buchholz ist nur einen Katzensprung entfernt. Nach Hamburg komme ich schnell und bequem mit dem Metronom. Der Bahnhof liegt ja fast in Sichtweite. Auch mit dem Auto bin ich über Bundesstraße und Autobahn schnell in der City. Und trotzdem lebe ich hier am Rande der Lohbergen mitten in der Natur.“
Sprötze liegt in einer von einem Bach durchflossenen Niederung und ist von Hügeln und Wäldern umgeben. Möglicherweise war es diese geschützte Lage, die die ersten Siedler veranlasste, sich nieder zu lassen. Im Jahr 1105 wird „Sproccinla“ erstmals urkundlich erwähnt. Über Jahrhunderte blieb die Siedlung ein Flecken. Noch um 1600 gab es nur drei große Höfe. Die Bauern schenkten dem Dorfhirten eine kleine Kate und vier Morgen Land. „Heuers“ wurde und wird der ehemalige Kleinkötnerhof genannt, weil über dessen ersten Besitzer gesagt wurde: „He heuer de Keuh“ – er hütet die Kühe. Heute ist Heuers der einzige landwirtschaftliche Vollerwerbsbetrieb Sprötzes. „Es liegt schon eine gewisse Ironie darin, dass ausgerechnet der ursprünglich kleinste Hof überdauert hat. In den 1970er Jahren gab es hier noch sieben große Höfe“, erzählt Angela Eickhoff.
Seit 1972 ist Sprötze kein Dorf mehr, sondern Stadt, nämlich Teil von Buchholz. Doch der Aufschwung hatte schon hundert Jahre früher mit dem Bau der Eisenbahnstrecke Wanne-Eickel – Hamburg begonnen. Zugereiste Bahnarbeiter wurden sesshaft, Gewerbe siedelte sich an. Damals verdoppelte sich die Bevölkerung – auf 343Einwohner im Jahr 1870. Eine eigene Grundschule wurde gebaut, Sprötzer Kinder mussten nicht mehr bis Trelde laufen. Später kamen so viele Flüchtlinge nach Sprötze, dass zeitweise mehr Auswärtige als Alteingesessene im Dorf lebten. Die Zugezogenen wohnten zumeist hinter der Bahnlinie. „Vör de Bahn oder achter de Bahn zu leben, bedeutete damals schon einen gewissen Statusunterschied“, sagt Angela Eickhoff. „Aber das ist lange vorbei. Es gibt ja auch längst keinen Platz mehr zum Bauen im alten Dorfzentrum.“ Heute hat Sprötze rund 2400 Einwohner. Gerade Pendler wissen die gute Verkehrsverbindung zu schätzen.
An Wochenenden kämen dann die Städter nach Sprötze, um auf dem Land ihre Freizeit zu verbringen, berichtet Angela Eickhoff. „In meinem Laden kaufen regelmäßig Besitzer von Ferienhäusern in den Lohbergen. Und Urlauber, die auf dem Heidschnuckenweg unterwegs sind. Der schönste Wanderweg Deutschlands führt ja schließlich bei uns vorbei.“ Außerdem halten sowohl der Heide-Shuttle als auch der Regionalpark-Shuttle in Sprötze. „Man kann hier von einem Bus in den anderen steigen und kommt so überall hin, mit oder ohne Fahrrad“, schwärmt Angela Eickhoff. Auch zu Fuß könne man schöne Ausflüge unternehmen. Der nahegelegene Brunsberg mit der schönen Aussicht und das romantische Büsenbachtal gehörten zu ihren Lieblingszielen. Den Shuttleservice werde sie öfter nutzen, sobald ihr Enkel groß genug für Wildparkbesuche sei. „Wir haben ja die Wahl - Richtung Nindorf oder in die Schwarzen Berge.“
Angela Eickhoff hat eine Menge Unternehmungsgeist und ist sehr kontaktfreudig. Deshalb ist sie in Sprötze weithin bekannt und beliebt. Sie engagiert sich im Ortsrat, gehört den Landfrauen und dem Verein Heimatmuseum „Vierdörfer Dönz“ an. Der Name bezieht sich auf die ehemalige Gemeinschaft von Trelde, Drestedt, Kakenstorf und Sprötze, die bis 1900 Bestand hatte. Ein restauriertes Sprötzer Strohdachhaus an der Niedersachsenstraße beherbergt heute neben der „Dönz“, einer guten Stube von anno dazumal, wechselnde Ausstellungen und das Archiv mit alten Fotos und Urkunden.
Angela Eickhoff liegt das Bewahren von Traditionen sehr am Herzen, genießt aber vor allem das rege Ortsleben im Hier und Jetzt. In Sprötze wird Geselligkeit bei Dorffesten, organisierten Ausflügen oder gemeinsamen Säuberungsaktionen gelebt. Dazu gibt es ein überaus vielfältiges soziales Angebot, das vom Sportverein übers Blasorchester bis zum Frauenchor „Heideklang“ reicht. Natürlich, sagt Angela Eickhoff, fehle ihrer Familie die Zeit, überall mitzumachen. So seien Mann und Söhne zwar aktive Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr, nicht aber des Schützenvereins. „Das wäre einfach nicht zu leisten. Schon allein deshalb, weil das Schützenfest in die Erntezeit fällt.“
Sprötzes letzte Bauernfamilie genießt hohes Ansehen im Dorf. Was anderswo möglicherweise Anstoß erregen würde, stört hier offenbar niemanden. Kein Eickhoff trägt mehr einen Schützenrock? Kein Problem! Ein Schweinestall mit 350 Tieren mitten im Zentrum? Kein Thema! Als vor fünf Jahren der neue Hähnchenmaststall am Ortsrand kurz vor der Fertigstellung von Gegnern der Massentierhaltung in Brand gesteckt wurde, sammelten sich die Sprötzer spontan zu einer großen Demonstration der Solidarität mit den Geschädigten. „Das war ein gutes Gefühl“, erinnert sich Angela Eickhoff. Seit dem Anschlag setzt die Familie bei der Hähnchenmast im Wortsinn auf Transparenz.
Der neue Stall hat ein Fenster, durch das man in die Halle schauen kann. Interessierten Gruppen wird gezeigt, wie die Tiere gehalten werden. Es kämen Abc-Schützen und Berufsschüler, Clubs und Bürgerinitiativen, Gemeinderäte, Vertreter von Geflügelverbänden und Journalisten, berichtet Angela Eickhoff. Dass gerade Heuers Hof derart im Fokus stehe, läge nicht etwa an besonderen Strukturen, meint sie. Sondern an der für einen landwirtschaftlichen Großbetrieb vergleichsweise zentralen Lage. „Wir in Sprötze sind eben schnell und leicht zu erreichen.“