Wilhelmsburg. Eine neue Web-TV-Serie setzt dem urdeutschen Treiben in den Gasthöfen der Provinz ein cineastisches Denkmal. Jungfilmer produzieren den Filmspaß.
„Wir wollen alberner werden“, sagt Nick Buckenauer. Wir, damit meint der 27-Jährige sich und seinen Kumpel Sebastian Droschinski, 28, beide Produzenten, Autoren und Schauspieler. Wie ernst die beiden jungen Filmemacher aus Harburg und Wilhelmsburg es damit meinen, beweisen sie mit ihrer neuen Webserie.
Denn was kann es Alberneres geben als ausgerechnet einem urdeutschen Freizeitspaß – damit per se eine ernsthafte Angelegenheit – eine Sportkomödie zu widmen: dem Kegeln. Die Webserie „Gut Holz!“ setzt dem Treiben auf den Bohlebahnen überall in der norddeutschen Provinz ein filmisches Denkmal.
Deutschlands erste Kegelkomödie entsteht im Wilhelmsburger Ortsteil Kirchdorf. Hier ist die Elbinsel noch am deutschesten. Der Gasthof Sohre bringt Schnitzel, Gänsebraten und Matjesvariationen auf den Tisch. Und in einem Nebengebäude befindet sich Norddeutschlands älteste Kegelbahn – so steht es jedenfalls eingerahmt an der Wand.
Die Wände an der Bohlebahn haben Patina. Weniger kulturelle Menschen würden sie als etwas abgerockt bezeichnen. Aber das zeugt nur von mangelnder Ehrfurcht vor der Geschichte.
Wer die Webserie „Kumbaya“ von Buckenauer und Droschinski kennt, mag der Glaube fehlen, dass es noch alberner geht. In der Religionssatire steigen zwei Kiffer zufällig zu so erfolgreichen Religionsstiftern auf, dass ihnen ein Zimmerer namens Jesus eine Kirche bauen soll.
Das zieht den Taugenichtsen den Zorn Gottes zu. Beim Webfest in Berlin gewann „Kumbaya“ dafür den Publikumspreis.
Die Kegelbahn wird zum Schicksalsort
Kegeln ist in der fiktiven Kreisliga Süderelbe auch so eine Art Religion. Das verbissen betriebene Wettkegeln in der Provinz bietet beste Voraussetzungen für eine Sportkomödie. Buckenauer und Droschinski kommen trotz ernsthafter Absicht albern sein zu wollen, nie ohne Zweideutigkeiten aus. Nick Buckenauer: „Wir drehen die wahrscheinlich erste Sportkomödie, in der es eigentlich nicht um den Sport geht.“
Der Plot ist mindestens so krude wie in „Kumbaya“. Ein sich in Dänemark in den Niederungen des Profisports verdingender deutscher Tennisspieler (Droschinski) kehrt nach dem plötzlichen Tod seines Vaters in seine Heimat, das Alte Land bei Hamburg, zurück. Dort trifft er seinen Jugendfreund Tobi (Buckenauer) wieder – gebrochen, wegen psychosomatischer Leiden an den Rollstuhl gefesselt.
Tobi trauert einem verlorenen Endspiel in der Kegel-Kreisliga nach. Höchste Zeit also, die Sache 15 Jahre später gerade zu biegen. Die Dänen haben sich für nahezu alles einen guten Ruf erworben – mit der Ausnahme, gut Tennis spielen zu können. Warum die Autoren ausgerechnet dort einen deutschen Tennisprofi seine mittelmäßige Karriere ausklingen lassen, erklärt Nick Buckenauer so: Nach Torben Ulrich, er stieß 1968 bis ins Viertelfinale der French Open vor, habe es nie wieder einen bekannten dänischen Tennisprofi gegeben. Es sei also an der Zeit gewesen, einen Deutschen dorthin auszuleihen.
Die Kegelbahn wird zum Schicksalsort. Wie scheinbar Banales dramatisch überhöht Komik erzeugt, hat der amerikanische Regisseur Rawson Marshall Thurber in seiner Sportkomödie „Dodgeball“ gezeigt. Eine Variante des Ballspiels ist in Deutschland als Völkerball bekannt und steht normalerweise ähnlich wie Kegeln nicht in Verdacht, Schicksal spielen zu können.
Die Hamburger Filmproduktion Shoreless Pictures produziert die Webserie „Gut Holz!“. Die steckt mitten in den Dreharbeiten. Ein ehrgeiziges Ziel ist es, eine Folge bei dem deutschlandweiten Indie-Serien-Festival „Seriale“ Ende Juni in Gießen zu veröffentlichen.
Mit Franzisca Friede („Die Insassen“, „Hand aufs Herz“) und Annika Lehmann („Rote Rosen“) sind aus dem klassischen Fernsehen bekannte Schauspieler dabei. Im Internet sind die Folgen meist kürzer, dort gelten andere Gesetze als im Fernsehen. Das Skript müsse straff geschrieben sein, Gag auf Gag folgen. Sonst klicken die Zuschauer weiter. Die sieben Folgen der Webserie „Gut Holz!“ werden insgesamt 80 Minuten lang sein. Für das Internet ist das geradezu ein Monumentalfilm.
Mittlerweile haben klassische Fernsehsender das Webfernsehen entdeckt, um junge Zuschauer zu erreichen. Sender wie der Bayerische Rundfunk oder ProSieben koproduzieren Webserien und bieten diese im Internet als auch im klassischen Fernsehen an.
Die frühere Friedhofskapelle im Wilhelmsburger Inselpark war Schauplatz einer Beerdigungsszene mit insgesamt 25 Statisten. Mindestens so aufwendig soll das Kegel-Endspiel erzählt werden. Regisseur Janco Christiansen fängt das ritualisierte Verhalten auf der Bohlebahn in dramatischen Großaufnahmen ein.
Das Eintauchen der Finger in den feuchten Schwamm, um mehr Griffigkeit an der Kugel zu erzeugen, erhält so etwas von einem Fetisch. Das Stilmittel erklärt Sebastian Droschinski so: „Das Bild nimmt sich ernster als der relativ alberne Inhalt.“