Harburg. Neueste Forschungsergebnisse des Archäologischen Museums zeigen: Harburg gehört auf die Karte der Jakobspilger.

Vor 500 Jahren müsse über Harburg ein Nebenpilgerweg des Jakobsweges auf dem Weg nach Santiago de Compostela in Spanien verlaufen sein. Diese Theorie machte der Archäologe Kay-Peter Suchowa am Donnerstagabend im Archäologischen Museum Hamburg öffentlich. Das erklärt die ungewöhnlich vielen Pilgerzeichen, die bei der zwei Jahre dauernden archäologischen Ausgrabung an der Harburger Schloßstraße entdeckt worden sind. „Warum sollte der Hamburger erst nach Stade gehen, wenn er die Elbe auf dem Weg nach Spanien queren will?“ fragt der Wissenschaftler und gibt mit seiner Theorie eine plausible Antwort.

Bisher ist Harburg auf der Karte der Jakobswege in Norddeutschland nicht vertreten. Das dürfte sich mit den neuesten archäologischen Erkenntnissen ändern. „Der Harburger Pilger war nicht auf der Karte. Aber es gab ihn“, sagt Suchowa. Die meisten in Harburg entdeckten Pilgerzeichen stammen aus Wilsnack. Vor mehr als 500 Jahren pilgerten hunderttausende Menschen in den Ort im heutigen Brandenburg, um die Bluthostien in der Wunderblutkirche zu sehen.

Das am meisten in Harburg entdeckte religiöse Motiv ist die blutrünstige Szene der Judith mit dem abgeschlagenen Haupt des Holofernes aus dem Alten Testament. Eine Erklärung dafür hat Kay-Peter Suchowa noch nicht.

Mit der bislang größten stadtarchäologischen Ausgrabung Hamburgs in den Jahren 2012 bis 2014 entlang der Harburger Schloßstraße haben Archäologen Licht in das Dunkel der Gründungszeit Harburgs gebracht. Mit seinem ausverkauften Vortrag vor mehr als 50 Besuchern im Archäologischen Museum hat Kay-Peter Suchowa die Öffentlichkeit in das spannende Geschichtsbuch unter der Erde Harburgs schauen lassen. Der Experte für Stadtkernarchäologie war der stellvertretende Grabungsleiter.

Suchowa hat das Grundstück erforscht, auf dem bis in das Jahr 1976 das Grotsche Haus gestanden hatte. Der Freiherr von Grote gehörte einem alten niedersächsischen Adelgeschlecht an und besaß zahlreiche Ländereien, darunter das in Harburg. Die schönsten Funde machten die Archäologen in den Kloaken. Stadtkernarchäologen kennen das, dass sich die zugeschütteten Fäkalien als Schatzgruben erweisen. So brachten sie an der Harburger Schloßstraße eine Flasche eines Brunnens aus Hessen ans Licht. Der Eigentümer, der die Flasche damals in der Kloake entsorgt hat, hatte also Heilwasser von weither importiert. Ein Hinweis darauf, dass dort wohlhabende Menschen gelebt haben.

Ein Hauch von Luxus sind auch mehrere Imitate von Gläsern, deren Überreste in den Kloaken die Jahrhunderte überdauert haben. Die Kopie eines venezianischen Glases, die in Böhmen produziert worden war, deutet auf einen betuchten Haushalt hin. Sogar eine im Ganze erhaltende Pfeife haben die Archäologen in den Kloaken ausgegraben. „Wie ist eine heile Pfeife ins Klo gefallen?“ fragt sich der Archäologe 500 Jahre später. Manche Geheimnisse behält die Geschichte wohl ewig für sich.

Dagegen sind sich die Archäologen jetzt sicher, dass im 17. Jahrhundert gegenüber dem ursprünglichen Rathaus an der Schloßstraße eine Markthalle gestanden hat: vier Meter breit und 26 Meter lang. Wohl eine Reeperbahn zur Seilherstellung, die auch als Markthalle genutzt worden sei, sagt Suchowa. Ins Bild passt, dass der Rat von Harburg im Jahr 1663 Hölzer eingekauft hat – offenbar für den Bau der Halle.

Lange hatte ein Merian-Stich die Geschichtsforscher auf der Suche dem Ur-Wochenmarkt Harburgs in die Irre geführt. Denn der Kupferstich zeigt im 17. Jahrhundert an der Stelle ein Wohnhaus, an der die Markthalle gestanden haben muss. „Ein Haus, dass es nie gegeben hat“, sagt Suchowa. Offenbar wollte jemand mit der gefälschten Ansicht den Immobilienwert steigern, vermutet er. Je mehr Häuser, desto teurer das Grundstück. Ausgegrabene Münzen, Schlüssel und Reste von Trinkgefäßen, noch heute typische Fundsachen auf Marktplätzen, sind Indizien dafür, dass auf der Fläche ein Handelsplatz gewesen war. „Ein Traum“, sagt der Archäologe, „dass der Mensch seinen Dreck nicht wegmacht, sondern nur etwas darüber kippt.“

Ausstellung „Ausgegraben. Harburg archäologisch“, bis 10. April 2015, Archäologisches Museum Hamburg in Harburg, Museumsplatz 2, Öffnungszeiten: Di bis So 10 bis 17 Uhr, Eintritt: 6 Euro (Jugendliche bis 17 Jahre frei