Wilhelmsburg. Flyer auf Arabisch, Besuche in Unterkünften: Wie die Botschafterin des Sports und der Turn-Club Wilhelmsburg zur Integration von Flüchtlingen beitragen

Auf den ersten Blick wirken die Frauen in ihren Sweatshirts, Adidas-Trainingsjacken, Jogginghosen und Gymnastikhosen wie jede andere Fitnessgruppe auch. Auf dem zweiten Blick fiele einem Beobachter vielleicht auf, dass die Fenster der Sporthalle an der Georg-Wilhelm-Straße 112 verhüllt sind. Denn dort trainieren arabische Frauen, die zu den Leibesübungen ihre Kopftücher abgenommen haben und deshalb vor Blicken männlicher Zuschauer geschützt werden.

Die Freiheit, in einem Sportverein mit Menschen anderer Herkunft zusammenzukommen und zu trainieren, sei Frauen aus verschiedenen Kulturkreisen „total neu“, sagt Übungsleiterin Ewa Bendix. Ihr Verein, der Turn-Club Wilhelmsburg, setzt sich besonders dafür ein, Einwanderer zu integrieren. Die 53 Jahre alte Polin spielt eine entscheidende Rolle dabei. Ewa Bendix ist eine von zurzeit 15 ausgebildeten „Botschaftern des Sports“ in ganz Hamburg. Die Aufgabe des Ehrenamtes ist es, Kontakte im Stadtteil zu knüpfen und Bewegungsangebote für Migranten zu schaffen.

Ewa Bendix ist auch in die sportliche Kooperation des Turn-Clubs Wilhelmsburg mit dem städtischen Unterkunftbetreiber „Fördern & Wohnen“ eingebunden. Dabei geht es darum, Sportangebote für Flüchtlinge auch ohne dauerhafte Vereinsmitgliedschaft zu schaffen. Die Bezirksversammlung Hamburg-Mitte hat vor Kurzem beschlossen, das Vorhaben aus dem neu geschaffenen Fond Flüchtlinge mit 5000 Euro zu fördern. Mit dem Geld finanziert der Turn-Club die Honorare seiner Übungsleiter und die Anschaffung von Sportequipment.

„Die Integration von Flüchtlingen wird eine schwere Aufgabe für Deutschland“, sagt Ewa Bendix. Die Übungsleiterin für Turnen und Frauenfitness ist Frauen begegnet, die es aus ihrer Kultur nicht kennen, Emotionen zeigen zu dürfen. Sich in einer deutschen Sporthalle mit Gleichgesinnten auszutoben, muss ihnen so fremd vorkommen wie eine Mondwanderung.

Um auf sich aufmerksam zu machen, hat der Turn-Club Wilhelmsburg Flyer auf Arabisch drucken lassen. Ehrenamtliche des Vereins haben an den Flüchtlingsunterkünften Zettel in deutscher und arabischer Sprache ausgehängt. „Wir haben die Flüchtlinge an die Hand genommen“, sagt Übungsleiterin Isabelle Inselmann.

Bevorzugen arabische Frauen andere Sportarten als deutsche oder türkische? Isabelle Inselmann trainiert mit arabischsprachigen Frauen, die tänzerische Fitness mögen. „Aber auch Kampfsport in Richtung Selbstverteidigung hat Potenzial“, sagt sie.

Von einem syrischen Turner, der sich den Sport auf den Straßen von Damaskus beigebracht hatte, hat Isabelle Inselmann mittlerweile einige Worte Arabisch gelernt. Ansonsten sieht die Verständigung in den internationalen Sportgruppen so aus: „Wir verständigen uns mit Händen und Füßen, in Arabisch, Deutsch, Englisch und mit Vormachen“, sagt Isabelle Inselmann.

Die Kontinuität, die der Turn-Club aus der Arbeit mit Vereinsmitgliedern kennt, ist bei den Sportangeboten mit Flüchtlingen nicht möglich. Manche verlassen den Stadtteil, die Stadt oder das Land. Manche haben einfach anderes zu tun, als regelmäßig den Weg in die Sporthalle zu finden. Behördengänge. Den Kontakt zur Familie aufrecht erhalten.

Die Vereinsgeschichte prädestiniert den Turn-Club Wilhelmsburg zu seinem besonderen gesellschaftlichen Engagement: „Wir machen seit Jahrzehnten Integrationsarbeit“, sagt Übungsleiter Manfred Burbach. Vor 106 Jahren wurde der Turn-Club gegründet. Damals waren viele Hafenarbeiter aus aller Herren Länder unter den Mitgliedern. Heute zählt der Verein 600 Mitglieder, die aus 21 verschiedenen Nationen stammen. „Die Willkommenskultur in Deutschland ist verbesserungswürdig“, meint Manfred Burbach.

Der Turn-Club Wilhelmsburg engagiere sich nicht in der Integrationsarbeit, um damit seine Mitgliederzahl von derzeit 600 irgendwann auf 1000 zu schrauben, sagt Isabelle Inselmann. „Wir integrieren erst einmal wenige. Die aber mit Tiefe und Substanz“, erklärt sie. So wolle der Turn-Club die Menschen in unsere Mitte bekommen. Ewa Bendix erklärt die Strategie so: „Wir sammeln mit Geduld die Menschen ein.“