Wilhelmsburg. Verein Zukunft Elbinsel sucht Auswege aus der Obdachlosigkeit in Wilhelmsburg – und fordert die Stadt zum Neudenken heraus

Um zumindest schwangeren Frauen die Unterbringung in Zelten zu ersparen, könnten besonders schutzbedürftige Flüchtlinge in das leerstehende Hybrid House Hamburg in der neuen Wilhelmsburger Mitte einquartiert werden. Mit diesem Vorschlag geht der Verein Zukunft Elbinsel an die Öffentlichkeit. Er dürfte eine Kontroverse auslösen: Denn die Flüchtlingsunterkunft läge im Herzen der von der Internationalen Bauausstellung geschaffenen Architekturschau.

Das Gebäude mit 1955 Quadratmetern Bürofläche war vor zwei Jahren die Verwaltungszentrale der Internationalen Gartenschau. Wegen seiner auffälligen Fassade im militärischen Tarnlook nennen es Inselbewohner auch das „Afghanistan-Haus“ .

Heute steht das Gebäude leer. Das Immobilienbüro Grossmann & Berger sucht Mieter. 12,50 Euro kostet laut immonet.de der Quadratmeter. Voraussetzung für eine Unterbringung wäre, dass der Eigentümer dem zustimmt. Die Gebäudestrukturen könnten geeignet sein: Sanitäranlagen und Küchen sind vorhanden. „Die Ebenen des Gebäudes lassen sich teilen, erweitern und umstrukturieren. Ideal, um eine Unterkunft zu schaffen“, sagt Manuel Humburg von Zukunft Elbinsel.

Der Verein hält es für dringend geboten, Obdachlosigkeit in Wilhelmsburg abzuwehren. In kaum einem anderen Stadtteil Hamburgs zeigt sich das Problem so gravierend: 600 Flüchtlinge leben an der Dratelnstraße in Zelten. Hinzu kommt eine spezifisch Wilhelmsburger Entwicklung. 1350 Einwanderer aus Südosteuropa, überwiegend Bulgaren, leben in dem Stadtteil – und das ist nur die Anzahl der gemeldeten Wanderarbeiter. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein.

Bulgarische und rumänische Menschen leben auf den Elbinseln nicht selten in prekären Wohnverhältnissen. Wanderarbeiter, die sich im Hafen verdingen, hausen unter Planen im Freien oder übernachten im Auto. Schlafplätze finden sie auf einer heruntergekommen Grünbrache an der Hafenrandstraße, im Stadtteil auch viel zu schmeichelhaft Nachtigallenwäldchen genannt.

Wilhelmsburg sei der wichtigste Ankunftsort für Wanderarbeiter aus Südosteuropa in Hamburg. „Mir ist keine Anlaufstelle bekannt, wo sie duschen können“, sagt Manuel Humburg. Nicht zu vergessen seien noch die „angestammten“ Obdachlosen, die es schon immer gab. Auch sie bräuchten ein Dach über dem Kopf, wenn bald der Winter kommt.

Jeden Tag erreichen zusätzliche Flüchtlinge die Freie und Hansestadt Hamburg. Die Behörden suchen Flächen, auf denen sich Unterkünfte erreichten lassen. Zukunft Elbinsel bringt die leerstehende, frühere Schule Neuhof ins Gespräch. Hier seien etwa bis zum Jahr 2000 schon einmal Flüchtlingen untergebracht gewesen. Der Schulhof des Denkmalgeschützen Gebäudes biete 5000 Quadratmeter freie Fläche für Wohncontainer.

Das Gelände verwaltet die Hamburg Port Authority (HPA). Zukunft Elbinsel sieht die Hafenbehörde in der Pflicht, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Alle sieben Hamburger Bezirke seien aufgefordert, Raum für Flüchtlinge zu schaffen. Was sei mit dem „achten Bezirk“? fragt Manuel Humburg. Gemeint ist die HPA.

Alle zur Verfügung stehenden Gebäude müssten zur Unterbringung der Flüchtlinge genutzt werden, fordert Diana Ennet, die Vorsitzende des Vereins „Die Insel hilft“. Das Argument, es sei kein Supermarkt in unmittelbarer Nähe, dürfe nicht mehr gelten.

Zukunft Elbinsel will keine Flickschusterei mehr, sondern eine Gesamtstrategie gegen Obdachlosigkeit in Wilhelmsburg. „Wir müssen alles tun, damit die administrativen Prozesse aus dem Chaos herauskommen und die Willkommenskultur anhält“, sagt Hartmut Sauer.

Zukunft Elbinsel schlägt deshalb vor, eine Leitstelle Zusammenleben, so der Arbeitstitel, zu bilden. Initiativen, Vereine, Verbände und Behörden sollen damit im Kampf gegen Obdachlosigkeit eine dauerhafte Struktur erhalten. Sie müsste mindestens so professionell ausgestattet wie das Forum Bildung Wilhelmsburg zur Zeit der Internationalen Bauausstellung, sagt Hartmut Sauer.

„Wenn wir das Problem der zunehmenden Konkurrenz um die restlichen günstigen Wohnungen nicht gelöst bekommen“, warnt Hartmut Sauer, „wird es innerhalb der Stadt gären.“ Er fordert Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz auf, so Feuer und Flamme für Flüchtlinge zu sein wie für die Olympischen Spiele.

Zukunft Elbinsel schlägt vor, im IBA-Entwicklungsgebiet Haulander Weg zügig Wohnungen zu bauen und dort Begehrlichkeiten der Wirtschaft zurückzustellen. Die Vorschläge wird der Verein am Dienstag, 29. September, im Bürgerhaus Wilhelmsburg öffentlich zur Diskussion sein. Mittes Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) wird dazu Stellung nehmen. „Wir wollen verstehen“, sagt Diana Ennet, „warum Flächen leer bleiben.“

Pegelstand: „Alle Menschen in Wilhelmsburg brauchen ein Dach über dem Kopf!“, Gespräch mit Andy Grote, Anja Blös, Melanie Stello, Diana Ennet und Gottfried Eich, 20 Uhr, Bürgerhaus Wilhelmsburg, Mengestraße 20.