Lüneburg. Tod nach Ecstasygebrauch. Der Toxikologe Dr. Lars Wilhelm warnt im Interview mit dem Hamburger Abendblatt vor Substanzen aus chinesischen Laboren.

Am 25. Juni starb ein 17 Jahre altes Mädchen in Scharnebeck/Landkreis Lüneburg. Sie hatte mit einem 16-jährigen Freund die so genannte „Partydroge“ Ecstasy geschluckt. Die Jugendliche bekam schlimme Krämpfe. Selbst der sofort alarmierte Notarzt konnte ihr nicht mehr helfen. Ein Tod, der Fassungslosigkeit und Bestürzung auslöste.

„Wir müssen mehr über die Gefahren synthetischer Drogen aufklären – insbesondere an Schulen!“, sagt der Toxikologe Dr. Lars Wilhelm aus Bütlingen. Er untersucht die hochgefährlichen Substanzen, die oft aus chinesischen Laboren stammen und problemlos übers Internet bestellt werden können.

Dr. Lars Wilhelm untersucht synthetische Drogen
Dr. Lars Wilhelm untersucht synthetische Drogen © Lars Wilhelm | Lars Wilhelm

Der Experte warnt. Denn allein seit 2008 kamen mehr als 450 neue synthetische Drogen auf den Markt. Getarnt als Räuchermischung oder Badesalz. Besonders gefährlich ist das so genannte „MDMB Chmika“, das als Cannabis-Ersatz geraucht wird.

Dr. Wilhelm sagt deshalb: Die so genannten „Partydrogen“ werden aus Unwissenheit – oder reiner Profitgier – oft verharmlost. Das Hamburger Abendblatt sprach mit Dr. Lars Wilhelm über das Problem, das auch der Polizei Sorgen bereitet.

Hamburger Abendblatt:

Dr. Wilhelm, in den letzten Jahren hat die Verbreitung synthetischer Drogen auch in Deutschland Dimensionen angenommen, die viele Eltern erschrecken würden, wenn sie es denn wüssten?


Lars Wilhelm:
Ja, man muss nur mal bei google den Begriff „legal highs“ eingeben. Dann erhält man 20 Millionen Suchergebnisse. Es gibt aber auch Begriffe wie „neue psychotrope Substanzen“. Das sind so genannte Spice-Substanzen oder auch Badesalz-Substanzen. Diese Sachen kommen als Räuchermischungen, Kräuter, Aromen oder Lösemittel auf den Markt. Darunter z.B. die Gamma Hydroxibuttersäure-Buttersäure, besser bekannt als Liquid Ecstasy oder auch K.o.-Tropfen. Und häufig sind diese Substanzen eben noch nicht im Betäubungsmittelgesetz hinterlegt.

Wie kommt es, dass der Gesetzgeber dieser Entwicklung so wenig entgegen setzt?

Wilhelm: Das Betäubungsmittelgesetz ist immer relativ langsam. Es muss die vielen neuen Substanzen, die auf den Markt kommen, ja erst erfassen und erwähnen. Alternativ könnte noch das Arzneimittelgesetz Regulierungen treffen. Aber die Hersteller synthetischer Drogen wissen, wie sie das Arzneimittelgesetz umgehen können. Zum Beispiel, indem sie auf die Packungen schreiben „Not for human consumption“ – Nicht für den menschlichen Gebrauch gedacht! Und dann steht da eben drauf, was man damit alles nicht machen soll: Nicht schnupfen, nicht rauchen, nur zur Raumluftverbesserung. Oder sie verkaufen es als Badesalz. Und wenn das dann ziemlich teuer ist – 50 Euro das Gramm – kann man sich ja denken, wofür das Zeug verwendet werden soll. Die Warnungen auf den Verpackungen entsprechen deshalb dem eigentlichen Verwendungszweck.

Allein im vergangenen Jahr sind über 100 neue synthetische Drogen aufgetaucht. Woher kommen die Substanzen?

Wilhelm : Sie werden überwiegend aus China und Indien importiert. Dort werden sie in den Labors von Pharma-Unternehmen entwickelt und voll synthetisiert. Und man kann sie dann im Internet kaufen.

Wobei ja gerade die scheinbar harmlosen Kräutermischungen, die als Cannabis-Ersatz geraucht werden, schlimme Nebenwirkungen haben…

Wilhelm: Ja, wir haben da schon viele Fallberichte. Zum Beispiel von einer Gruppe Jugendlicher, die eine solche Kräutermischung konsumiert hatten. Die Patienten wurden mit Delirium, Erinnerungslücken und Krampfanfällen im Krankenhaus behandelt. Einige auch intensivmedizinisch, weil sie erhebliche Aggressionen zeigten. Wir haben später festgestellt, dass die Jugendlichen das so genannte „MDMB Chmika“ konsumiert hatten. Eine ganz neue Substanz, die im August 2014 erstmals in Europa nachgewiesen wurde und eine erhebliche pharmakologische Potenz hat.

Bei der Laboruntersuchung synthetischer Drogen wird unter anderem die Reinheit festgestellt
Bei der Laboruntersuchung synthetischer Drogen wird unter anderem die Reinheit festgestellt © Lars Wilhelm | Lars Wilhelm

Das klingt gruselig.

Wilhelm : Ja, wir haben dazu auch einen Bericht eines Konsumenten harter Drogen, der MDMB Chmika genommen hat. Der hatte sich gedacht: Natur ist Natur. Das kann mir nichts anhaben. Ich rauche jetzt mal ´ne schöne Kräutermischung. Doch das Resultat war ein anderes. Die Nebenwirkungen, schreibt der Konsument, seien wirklich übel gewesen. Nichts hätte ihn so zerstört wie diese synthetischen Cannabinoide – noch nicht mal das Heroin! Und das ist eine Aussage, die muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.

Welche Nebenwirkungen hatte das MDMB Chmika denn bei diesem Dauerkonsumenten?

Wilhelm: Im Vergleich zu der Jugendgruppe, die schon notfallmedizinisch behandelt werden musste, kommen bei Dauerkonsumenten noch ganz andere Effekte hinzu. Vor allem starke Depressionen. Die Patienten nehmen auch erheblich ab, weil sie es nicht mehr schaffen, aus ihrem Sofa bis zum gefüllten Kühlschrank zu kommen. Durch die Einnahme dieser Substanz hat es immerhin im Raum Neuwied/Koblenz sechs Todesfälle gegeben!

Trotzdem wird mit dem Verkauf der Cannabinoide ein Riesengeschäft gemacht.

Wilhelm : Ja, im Januar wurden zum Beispiel in Luxemburg 40 Kilogramm dieses MDMB Chmika gefunden. Das sind 6,4 Millionen Konsumeinheiten. Diese waren fertig zum Gebrauch in kleine Tütchen verpackt – mit einem Gesamtwert von etwa 20 Millionen Euro. Dese Lieferung war zwar für Portugal bestimmt. Aber wir müssen wohl davon ausgehen, dass auch in Deutschland einiges davon auf dem Markt ist. Mittlerweile kommen ja auch die ersten synthetischen Cannabinoide als Zusätze in Liquids für E-Zigaretten auf den Markt. Und so kommen wieder neue Konsumformen zum Tragen.


Manchmal stehen auf den Packungen der synthetischen neuen Drogen ja sogar „Qualitätsangaben“. Was ist denn davon zu halten?

Wilhelm : Wir haben schon einige Einsendungen so genannter Spice-Sendungen bei uns untersucht. Zum Beispiel ein so genanntes „Buddha Gold“. Und da war überhaupt nicht drin, was auf der Packung stand! Der Konsument hat ohnehin keine Chance. Ohne Rezept und ohne alles wird aus China geliefert. Heutzutage muss man zum Drogenkauf nicht mehr zwingend nach St. Georg oder an den Hauptbahnhof. Aber: Die meisten dieser synthetischen Drogen wurden noch nicht mal in Tierversuchen getestet! Das heißt: Es startet hier ein riesiger Versuch mit Menschen, wie diese Substanzen wirken.

Trotzdem ist es für Sie als Wissenschaftler auch eine Gratwanderung, wenn Sie über synthetische Drogen aufklären. Denn es könnte ja auch sein, dass man dadurch erst Neugierde weckt?

Wilhelm : Ja, das ist auf jeden Fall ein ganz großes Problem. Ich denke mir dann oft: Hältst du deine Informationen lieber hinterm Berg – oder versuchst Du mit gebündelten Informationen aufzuklären. Vor allem, um junge Menschen zu warnen, lieber die Finger von diesem Zeug zu lassen. Letztlich denke ich, dass auch Jugendliche durchaus ein Problembewusstsein haben und sich nicht schädigen wollen. Das will selbst der Heroin-Konsument nicht. Wir können deshalb wohl nur mit Prävention weiter kommen, um die Jugendlichen zu schützen. Aber auch Eltern und Schulen sollten wissen, was da vor sich geht.