Neuland. Die Flüchtlingsunterkunft in Neuland steht auf einer ehemaligen Chemiefabrik. Boden wurde saniert. Doch Helfer sorgen sich.
80 Jahre lang gab es in Harburg die Norddeutsche Chemische Fabrik. Von 1888 bis 1967 wurden an der Schlachthofstraße hauptsächlich Schwefelsäure und Schwefelsalze hergestellt. Die schwermetallhaltigen Abfallprodukte wurden bis 1945 auf dem Werksgelände deponiert. 2006 wurde die Deponie saniert. Jetzt wohnen 450 Menschen auf dem Gelände: Hier steht die Zentrale Erstaufnahme Neuland. Die Stadt hält den Standort für mittlerweile unbedenklich. Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer hingegen machen sich Sorgen. Auch der linke Bezirksabgeordnete André Lenthe hat sich mittlerweile eingeschaltet.
„Nach allem, was wir wissen, ist man nach der Sanierung davon ausgegangen, dass hier nur Gewerbebebauung zugelassen wird und deshalb wurde auf eine gründliche Gefährdungsbeurteilung verzichtet“, sagt Lenthe.
Beim Baggern fing es plötzlich an verdächtig zu riechen
Norbert Smekal, Pressesprecher der Hamburger Ausländerbehörde, weist das von sich: „Wir haben unmittelbar vor Errichtung der ZEA ein Bodengutachten erstellen lassen“, sagt er. „Darauf wurden Maßnahmen ergriffen, die den bedenkenlosen Betrieb der Einrichtung ermöglichen. Sonst hätten wir die Anlage gar nicht gebaut. Wir wollen doch niemanden einer Gefährdung aussetzen.“
Welche Maßnahmen das genau waren, kann Smekal nicht beantworten. Harald Krüger, Geschäftsführer des DRK-Kreisverbandes Harburg – das Rote Kreuz ist Träger der Erstaufnahme – erinnert sich, dass die Bauarbeiten zwischenzeitlich unterbrochen werden mussten, nachdem es beim Baggern plötzlich anfing , verdächtig zu riechen. Der Bau ruhte mehrere Wochen.
Die Altlasten lagerten in einer sechs Meter mächtigen Hügeldeponie. Außerdem war das Gelände insgesamt um zwei Meter aufgehöht. Auch diese Aufhöhung war mit Schwermetallen und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) belastet. Bei der Sanierung im Jahr 2006 wurde die Hügeldeponie komplett abgetragen und die Gelände-Erhöhung zum Teil nivelliert. Über 40.000 Tonnen Erdreich wurden abgefahren. Dort, wo gegraben wurde, grub man bis zur natürlichen Torfschicht. 1,7 Millionen Euro hat die Sanierung gekostet.
Früchte werden langsam reif und von den Bewohnern gepflückt
All diese Details hat die Umweltbehörde noch im letzten Jahr in einem Infoblatt der Reihe „Best Practice – gute Beispiele zum Flächenrecycling in Hamburg“ veröffentlicht. Antworten auf aktuelle Nachfragen versprach die Umweltbehörde am Donnerstag zügig zu geben, blieb sie allerdings bis Freitag Abend schuldig.
Was die Flüchtlingshelfer besorgt, ist nicht so sehr das eigentliche Gelände der Zentralen Erstaufnahme, sondern die Flächen um die Anlage herum. Direkt neben der Fabrik und ihrer Deponie befanden sich 14 Parzellen des Kleingartenvereins „Einigkeit“. Sie wurden erst 2007 geräumt, damit das gesamte Gelände – ehemalige Deponie und Gärten – als Gewerbefläche vermarktet werden konnte. Auf dem Gartengelände fand keine Bodensanierung statt. Mittlerweile ist die ehemalige Gartenkolonie verwildert. Pappeln, Birken und Disteln bestimmen das Vegetationsbild, aber auch viele Brombeersträucher sowie der eine oder andere übrig gebliebene Obstbaum.
„Die Früchte werden langsam reif“, sagt Werner Gottwald von der Gruppe „Harburger helfen geflüchteten Menschen.“
„ Die Bewohner der Erstaufnahme haben die ersten Kirschen schon gepflückt“, sagt Gottwald, „und bald sind die Brombeeren reif. Es kann ja sein, dass es unbedenklich ist, sie zu essen, aber das wüsste ich gerne von offizieller Seite geklärt.“
Ich finde das einen Skandal. Wir sorgen uns hier um Menschen“
Inoffiziell gehen die Meinungen auseinander. In sozialen Netzwerken meldeten sich ehemalige „Einigkeit“-Schreber, die sich aus ihren Gärten ernährten und nach eigenem Bekunden bester Gesundheit erfreuen. Außerdem ist das Gelände mittlerweile so dicht und dornig überwuchert, dass man am Beerenpflücken wenig Freude hat. Andere hingegen gaben an, dass man dort nur tief genug graben müsste, um auf „bunte Erde“ zu stoßen.
André Lenthe hat schon versucht, Klarheit zu erhalten. Als Bezirksabgeordneter wandte er sich an die Bezirksverwaltung – erfolglos. Weil die Erstaufnahme von der Innenbehörde nach Polizeirecht genehmigt wurde, blieb der Bezirk bei Planung und Genehmigung außen vor, ließ ihn Baudezernent Jörg-Heinrich Penner wissen. „Ich könnte jetzt eine schriftliche Anfrage an die Fachbehörden stellen“, sagt Lenthe. Die muss innerhalb von sechs Wochen beantwortet werden. Meistens dauert es auch so lange. Ich finde das einen Skandal. Wir sorgen uns hier um Menschen. Vielleicht könnte diese Sorge sogar schnell zerstreut werden, aber wir sollen abwarten!“