Wilhelmsburg. Die Betreiber der Flüchtlingsunterkünfte in Wilhelmsburg hoffen auf mehr Traumatherapeuten und Betreuer

Zur Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen in Wilhelmsburg gibt es zu wenig Therapeuten. Auf dieses Problem hat die Leiterin der Zentralen Erstaufnahme an der Dratelnstraße, Vera Siano-Kaiser, am Mittwochabend im Stadtteilbeirat Wilhelmsburg aufmerksam gemacht. Das Bürgerbeteiligungsgremium wollte sich ein Bild von den Bedingungen in den Flüchtlingsunterkünften auf den Elbinseln machen, um möglicherweise Hilfe anzubieten.

In der Flüchtlingsunterkunft Dratelnstraße leben mittlerweile 456 Menschen. Den stärksten Zulauf gebe es zurzeit aus dem Kosovo. „Wir haben viele Menschen mit massiven psychischen Erkrankungen“, sagte Vera Siano-Kaiser von dem städtischen Unterkunftsbetreiber fördern & wohnen. Eine genaue Zahl nannte sie nicht.

Für Kinder gibt es keinen Traumatherapeuten in der Unterkunft

An insgesamt vier Stunden in der Woche kümmere sich ein Therapeut in der Flüchtlingsunterkunft Dratelnstraße um die seelischen Leiden. Der eine Fachmann sei ausschließlich für die Erwachsenen da. Für die zurzeit 99 Kinder in der Unterkunft gebe es kein Angebot zur Traumatherapie. „Es gibt einen großen Bedarf“, saget Vera Siano-Kaiser. Ein Allgemeinmediziner versucht an insgesamt drei Stunden in der Woche, die körperlichen Leiden der Bewohner zu lindern.

Menschen in den Flüchtlingsunterkünften leben in der ständigen Furcht, nicht als Asylbewerber anerkannt zu werden und wieder abreisen zu müssen. Brutale Erlebnisse auf der Flucht oder in den Krisengebieten, aus denen sie geflohen sind, machen ihnen zu schaffen.

Der Stadtteilbeirat Wilhelmsburg arbeitet an einem Hilfsangebot. Ein Arbeitskreis versuche, Psychotherapeuten und Sozialarbeiter, die in Rente oder arbeitslos sein, zu akquirieren, damit sie Flüchtlinge psychologisch betreuen. Das berichtete der Beiratsvorsitzende Lutz Cassel. Er sehe den Bedarf, vor allem minderjährige Flüchtlingen zu betreuen, die ohne Eltern oder andere erwachsene Familienmitglieder ins Land gekommen sind.

In den Containerunterkünften an der Dratelnstraße leben bis zu vier Menschen auf elf bis 15 Quadratmetern. In der Zentralen Erstaufnahme in Kirchdorf-Süd (300 Bewohner), die vom Deutschen Roten Kreuz betrieben wird, sind die Bewohner in früheren Klassenräumen untergebracht. „Ich fürchte die Zeit, wenn es mal drei Monate regnet. Dann brodelt der Frust hoch, wenn keiner hinauskommt“, sagte der Unterkunftsleiter Ulrich Bachmeier (DRK).

Trotz der schwierigen Bedingungen gelingt es den Unterkunftsbetreibern offenbar mittlerweile, das Zusammenleben in kleinen Schritten zu verbessern. Die in den Klassenzimmern untergebrachten Menschen am Karl-Arnold-Ring in Kirchdorf-Süd erhalten demnächst einen Hauch mehr Privatsphäre. Mit Hilfe von Leichtbauwänden würden die Klassenräume in jeweils drei Räume unterteilt. Die Zusage habe er erhalten, sagte Bachmeier.

Während des Ramadans eine zusätzliche Essenzeit von 22 bis 23 Uhr

Bei der Verpflegung der 456 Menschen in der Unterkunft an der Dratelnstraße achtet fördern & wohnen den Fastenmonat der Muslime: Seit Donnerstag gibt es während des Ramadans eine zusätzliche Essenzeit von 22 bis 23 Uhr. „Mit Dattel vorne weg und Lunchpaket für die Nacht“, sagt Vera Siano-Kaiser.

Der Gesetzgeber hat vorgesehen, dass Flüchtlingen spätestens nach drei Monaten die Zentrale Erstaufnahme verlassen und in Folgeunterkünfte einziehen, die mehr Privatsphäre bieten. Die Realität sieht anders aus: „Die Flüchtlinge müssen sechs, sieben oder gar acht Monate bleiben“, sagt Ulrich Bachmeier. Der Grund: Es gibt zu wenig freie Folgeunterkünfte, keine Bewegung auf dem angespannten Wohnungsmarkt.

Verein „Die Insel hilft“ braucht vor allem Zeitspenden

Einkommensschwache Menschen, die schon lange in Wilhelmsburg leben, Flüchtlinge und Zuwanderer aus Südosteuropa konkurrieren um zu wenig vorhandenen, günstigen Wohnraum. „Und der Wohnungsmarkt wird immer schlimmer“, meint Barbara Kopf, Leiterin des Freizeithauses Kirchdorf-Süd. Sie engagiert sich ehrenamtlich bei dem Flüchtlingshilfeverein „Die Insel hilft“ und hat zwei Frauen aus Syrien bei sich aufgenommen.

Der Verein sucht dringend neue Mitstreiter. Viele Studenten aus dem Reiherstiegviertel würden sich engagieren, aber zu wenig Menschen ab 40 Jahren und älter. „Was wir brauchen, sind Zeitspenden“, sagt Diana Ennet von „Die Insel hilft“. „Wir brauchen Menschen, die sich einsetzen, Zwei Stunden im Monat reichen schon.“