Abendblatt-Autorin Martina Berliner blickt zurück auf die Geschichte dieser Harburger Institution. Teil 1: Die 40er und 50er Jahre.
Spaß am Leben. Neue Zuversicht. Jeder Mensch braucht Kraft und Mut für die Bewältigung des Alltags. Ganz besonders in schlechten Zeiten. Und was bringt Körper und Geist mehr in Schwung als Bewegung zu Musik? So denken Gerd und Traute Hädrich, als sie am 1. September 1945 in Lüneburg ihre Tanzschule eröffnen. Zwar herrscht überall Mangel und Luxus kann sich kaum jemand leisten. Aber nach Jahren der Not, der Verluste und Entbehrung, spüren viele Menschen den Hunger nach Leben stärker als die Leere in ihrem Magen.
Wiedersehen nach Kriegsende
Das gilt auch für Gerd und Traute Hädrich selbst. Wie durch ein Wunder haben sie einander nach Kriegsende wieder gefunden. Er ist körperlich unversehrt der Ostfront entkommen, sie dem zerbombten Dresden, ihrer Heimatstadt, in der sie einander kennen und lieben gelernt haben. Die beiden sind ein ungleiches Paar. Er hoch aufgeschossen, sie sehr klein. Optisch passen sie nicht ideal zueinander, aber vom ihrem Wesen her ergänzen sie sich bestens. Er ist ein eleganter Feingeist, der als „Gastherr“ einer Dresdener Tanzschule gern junge Damen übers Parkett gewirbelt hat und sich mit Vorliebe der Hausmusik hingibt.
Traute hält wenig von solch konventioneller Zerstreuung. Sie hat sich unter Leitung der innovativen Tanzpädagogin Gret Palucca im freien Ausdruckstanz geübt und ist Sportlerin mit Leib und Seele: Fährt Ski, klettert in der sächsischen Schweiz, glänzt sogar als Turmspringerin. 1936 hätte sie es beinahe in den deutschen Kunstspringer-Kader geschafft. Der Trainer schickte dann doch eine andere zu den Olympischen Spielen nach Berlin, weil er befürchtete, die zarte Traute könne auf dem Weg vom Brett zur Wasseroberfläche vom Wind verdriftet werden. Traute hatte sich deshalb aufs Eislaufen verlegt. Einmal hatte Gerd sie bei einer Hebefigur fallen lassen. Seither, so erzählt sie später augenzwinkernd, sei er ihr aus lauter Fürsorge nicht mehr von der Seite gewichen.
Auftakt in einem Raum – mit Kofferradio und Plattenspieler
Die Tanzschule Hädrich in Lüneburg startet bescheiden. In der Kefersteinstraße verfügt das Paar über einen Raum mit Kofferradio, einen alten Plattenspieler, drei Schelllackplatten und viel Enthusiasmus. Es gibt Einzelstunden gegen Naturalien. Getanzt wird Marschfoxtrott und Mitternachtsquadrille. Die Tanzschüler lernen, wie man sich selbst vorstellt und eine Dame auffordert. Zahlen tun sie mit dem, was sie haben: Mit Zigaretten, Speck oder Eiern. Im Winter ist das Mitbringen eines Briketts obligatorisch.
Im Frühling beginnt das Eis zu schmelzen, auch zwischen den Besatzern und den Tanzschulbesitzern. Traute, inzwischen schwanger, arbeitet als Übersetzerin für die Engländer. Damit bessert sie nicht nur das Einkommen der kleinen Familie auf. Es lassen sich auch Beziehungen nach England knüpfen. In Großbritannien genießt Gesellschaftstanz einen hohen Stellenwert. Der „englische Stil“ prägt den Tanz weltweit.
Schulung von Tanzlehrern
Unter dem Motto „Wir machen das Hobby zum Beruf“ beginnt Gerd Hädrich 1952 Tanzlehrer zu schulen. In den folgenden sechs Jahrzehnten werden in seiner Tanzschule etwa 1000 Tanzlehrer und Tanzlehrerinnen ausgebildet werden. Gerd Hädrich selbst genießt schon bald internationale Anerkennung – trotz seiner Herkunft aus dem in der Nachkriegszeit vielerorts verhassten Deutschland.
Auch mit Kollegen kommen die Hädrichs bestens aus. Mit Walter Bartel, der erfolgreich eine Tanzschule an der Mundsburg betreibt, sind sie befreundet. Er rät ihnen, doch ihrerseits in die Hansestadt zu übersiedeln. Denn die Nachfrage sei groß und im Süden gäbe es noch keine Tanzschule.
Umzug nach Harburg
1953 zieht die Tanzschule Hädrich von Lüneburg nach Harburg um, zunächst ins Logenhaus an der Eißendorfer Straße. Zu den begeisterten Tanz-Eleven gehört das Ehepaar Puhst, Eigentümer einer Firma, die Mietshäuser errichtet und Wohnungen vermietet. „Wir bauen euch eine Tanzschule“, versprechen die glühenden Tanz-Fans und setzen den Plan flugs in die Tat um. An der Paul-Gerhardt-Straße in Wilstorf, verkehrsgünstig unweit der Bushaltestelle „Heckengang“ gelegen, wird anstelle einer Kohlenhandlung ein Mehrfamilienhaus errichtet. Den großen Saal im Keller und die Wohnung direkt darüber mietet Familie Hädrich zum Freundschaftspreis.
Tochter Evelyn besucht die Grundschule am Kapellenweg. Abends hört sie die Musik von unten herauf klingen. Dann zieht sie die hochhackigen Schuhe der Mutter an und versucht, sich vorzustellen, wie sich die Erwachsenen wohl zu den Melodien bewegen. Den Eltern bei der Arbeit zuschauen darf das Mädchen nie. Sie wird erstmals als Teenager den verspiegelten Saal betreten – mit ihren Klassenkameraden, die, wie damals üblich, alle gemeinsam zum Tanzunterricht gehen. Evelyn absolviert den Anfänger- und den Fortgeschrittenenkursus. Nicht mehr. Tanzen zum Beruf zu machen wie ihre Eltern, das kann sie sich nicht vorstellen. Noch nicht.
Promi-Auftritt zum 70. Jubiläum
Anlässlich des Jubiläumsballs zum 70. Geburtstag der Tanzschule werden Promis bei Hädrich zu Gast sein: Markus Weiß und Isabel Edvardsson, Stars von „Let’s dance“. Am Sonnabend, 19. September, bieten die beiden von 16 bis 18 Uhr einen Tanzworkshop am Großen Schippsee an. Eine Kostprobe seines Könnens wird das Traumpaar am selben Abend im Rahmen des Balls geben. Neben der Tanzschau der Fernsehstars präsentieren Hädrichs Tanzlehrer während der Ballnacht einen weiteren besonderen Augenschmaus: Eine tänzerische Reise durch sieben Jahrzehnte. Die Kartenreservierung beginnt am Montag, 1. Juni. www.tanzschulehaedrich.de(Martina Berliner)
Tanzschule Hädrich feiert 70-jähriges Jubiläum