Harburg. . Bei der Planung der Wohnungen an der Winsener Straße wurde eim Klo übersehen, das es in sich hatte.

Seit 25 Jahren machen die Brüder Thomas und Martin Bernhold zusammen Musik. Erst Experimental-Punk, dann Grunge, mittlerweile Hardrock mit psychedelischen Einflüssen. „A Life in a Minute“ heißt ihre aktuelle Band.

Während beide Brüder privat relativ kommod wohnen, wurden sie als Musiker über Nacht obdachlos – ohne Vorankündigung. „Wir mussten Hals über Kopf innerhalb eines Tages das Gebäude leer räumen,“ sagt Martin Bernhold.

Rockmusiker bei der Arbeit stellt man sich gemeinhin auf einer großen Bühne vor, während sie vor extatischen Massen alles geben. Die Realität sieht anders aus: Ein dunkler, meist muffiger Raum von knapper Wohnzimmergröße, vollgestopft mit Instrumenten und Verstärkern.

Niemand hört zu, außer den Mitmusizierenden, und das auch nur im Idealfall. Selbst Musiker, die relativ gut gebucht sind, verbringen mehr Zeit im Übungsraum, als auf der Bühne. Andere kommen manchmal aus dem Übungsraum gar nicht hinaus

Übungsräume sind für Bands deshalb fast noch wichtiger als Auftrittsgelegenheiten, aber mindestens so rar. Neben der technischen Eignung eines Raumes braucht man Vermieter, die bereit sind, mit Musikern Geschäfte zu machen.

Diverse landläufige Vorstellungen über den Charakter und das Benehmen von Rockmusikern sind da hinderlich. Direkt mit Musikern schließt kaum ein Vermieter Verträge ab. Meist sind Vereine zwischengeschaltet.

So auch bei „A Life in a Minute“. Sie waren einst Mitglieder und Untermieter des Vereins „Musizierende Toiletten“, der Hamburgs aufgegebene Klohäuschen mietete und zu Proberäumen umbaute. Als sich dieser Verein auflöste, übernahm das „Rockbüro Hamburg“ die Untervermietung der Häuschen.

Die Bernhold-Brüder probten seit 20 Jahren in dem alten Klo gegenüber des Busdepots an der Winsener Straße. „Und nicht nur wir“, sagt Thomas Bernhold. „Außer uns waren hier noch vier andere Bands drin.“

Auf dem Gelände rund um das Häuschen sollen 300 Sozialwohnungen entstehen. Die Vorarbeiten laufen bereits. „Uns wurden nacheinander Wasser, Gas und Strom abgestellt“, sagt Martin Bernhold. „Das war im Februar. Das Rockbüro wusste von nichts. Das Bezirksamt verwies uns an den Bauherrn. Als ich dort vorstellig wurde, sagte man mir: ,Gut, dass Sie anrufen, wir haben heute Morgen die Tür aufgebrochen und festgestellt, dass da Musikinstrumente drin sind. Seitdem versuchen wir, einen Ansprechpartner zu finden, denn die Tür schließt jetzt nicht mehr richtig!’“

Der Bauträger bestätigt das. „Wir hatten vorher beim Bezirksamt angefragt, ob und wie das Häuschen genutzt wird, aber niemand wusste etwas. Es hat uns überrascht, dort Geräte vorzufinden“, sagt Kurt-Ove Schröder, Geschäftsführer der Planungsgesellschaft Holzbau GmbH.

Die Bernhold-Brüder trommelten ihre Band und die vier anderen zusammen und sicherten ihre Ausrüstung. Danach begann ihre Suche nach einem neuen Übungsraum. Das ist, wie bereits angedeutet, nicht einfach; unter anderem weil man nicht einfach Instrumente in einen Raun stellen und losproben kann.

Um Krach wegen Lärms zu vermeiden, muss ein Proberaum gut schallisoliert sein. Damit schafft man sich das zweite Problem: Man muss den Raum trotzdem belüften können. Feucht darf es auch nicht sein, denn die Elektronik ist empfindlich.

Letzlich braucht man noch Abstellfläche oder einen Nebenraum als Lager, denn meist nutzen mehrere Bands einen Proberaum gemeinsam.

In Harburg sind solche Räume rar. Zwei Bunker, die einst Proberäume beherbergten, sind mittlerweile anderweitig vermietet, von einstmals vier „musizierenden Toiletten“ in Harburg sind jetzt nur noch zwei übrig und auch alle Übungsräume, die einst im Binnenhafen lagen, sind mittlerweile Immobilienprojekten gewichen.

Die sieben Übungsräume, die Unternehmer Sönke Dobat in der alten Polizeiwache Nöldekestraße schuf, waren im Handumdrehen vermietet.

Die Übungsraumnot geht bis ins Umland, weiß Heiko Langanke vom Verein Suedkultur e.V.: „Wir vermitteln zwar keine Übungsräume, aber bei uns fragen die Musiker trotzdem nach“, sagt er. „Seit im Winter ein Gebäude in Hammerbrook abbrannte, in dem viele Übungsräume waren, haben wir sogar Anfragen aus Stade“, sagt er.

Die Bernhold-Brüder und ihre Band „A Life in a Minute“ haben mittlerweile einen Raum gefunden – in Hamburg-Hamm. „Wir wären gerne in Harburg geblieben“, sagt Thomas Bernhold, „weil wir ja auch Harburger sind. Andererseits können wir von Glück sagen, etwas zu haben. Einige von den anderen Bands suchen heute noch.“