Finkenwerder. Wenn Senator Frank Horch an Bord der „Horge“ geht wird er zu einem anderen Menschen. Das Segeln ist seine Welt, aus der er seine Kraft schöpft.

Mit acht Jahren geht der Junge auf seine erste Fahrt. Ein Kapitän aus der Nachbarschaft in Geversdorf hat ihn gefragt, ob er dabei sein will, wenn er mit seinem Frachter in Hamburg Koks lädt. Der Junge will. Er will so unbedingt, dass er die Fahrt bei seiner Mutter durchsetzt.

„Das Küstenmotorschiff hieß Erna-Marie, zum ersten Mal habe ich die Werft Blohm+Voss passiert und zum ersten Mal am Ufer einen Schutzmann gesehen, der den Verkehr regelt. Diese Eindrücke kann ich noch heute sofort abrufen“, erzählt der Junge, der längst ein Mann geworden ist. Nach dem Auslaufen vom Kirchenpauerkai fragt ihn der Kapitän, was er denn mal werden möchte.

„Chef von Blohm+Voss“, sagt der Jungen ganz beiläufig . Er kann in diesem Moment noch nicht ahnen, dass dies alles so ähnlich kommen wird. Klar wir ihm aber, dass ihn das Meer, die Elbe und die Schifffahrt nicht mehr loslassen werden. Er ist auf seinen Lebensweg eingeschwenkt.

Der Junge von damals ist heute Hamburgs Wirtschaftssenator. Wer seine Motivation versteht, versteht viel von Frank Horch, der sich dem Segeln verschrieben hat. Wenn der Schiffbau-Ingenieur an Bord seine Yacht geht, lässt er alles hinter sich.

„Ich denke anders, ich schlafe anders, ich trage andere Kleidung und ich habe einen anderen Tagesablauf, sobald ich an Bord bin. Daraus zieht ich meine Kraft“, sagt der 67-Jährige, den Bürgermeister Olaf Scholz 2011 als Seiteneinsteiger in die Politik holte.

Sogar der Kaffee, den Horch an diesem Nachmittag wie immer mit einer Prise Salz macht, schmeckt für ihn besser als an Land. Natürlich lässt er den Besuch vom Abendblatt erst an Bord, nachdem er seinen Anzug gegen Freizeitkleidung getauscht hat.

Seine gut 14 Meter lange Hallberg-Rassy 43 liegt an im ablaufenden Wasser schwankenden Stegen. Das Schiff aus Schweden zählenden Kenner zur Oberklasse unter den Yachten. „Ich bin heute stolz darauf, mir ein solches Schiff erarbeitet zu haben“, sagt Horch. Ein Weg, der länger als 50 Jahre dauert.

Als ersten Schritt schenkt der Kapitän der „Erna-Marie“ dem enthusiastischen Bengel eines seiner Rettungsboote. Das baut der Junge gemeinsam mit seinem Vater mit Schwertkasten, Ruderpinne und Mast zum Segelboot um. Es folgen zwei Jollen.

Dann kauft der Ingenieur-Student einem nach Fehmarn geflüchteten Tchechoslowaken sein 8,30 Meter langes Boot ab. Er muss es drei Jahre lang bis 1973 instandsetzen. Doch dann ist es soweit. Die erste „Horge“ nimmt Fahrt auf.

Benannt hat er sie, bewusst mit zwei Silben, nach seinem Namen und dem Wohnort Geversdorf. Mit einem schnellen Griff ins Archiv fördert Hoch sein erstes von inzwischen unzähligen Logbüchern hervor. „22. September 1973, Geversdorf“ steht dort und die Namen der Segler. Unter ihnen war auch sein Vater.

Die heutige „Horge“ ist die vierte einer Reihe von Hallberg-Rassy-Yachten, von denen Horch die beiden letzten von der bekannten schwedischen Werft auf der Insel Orust nördlich von Göteborg neu gekauft hat. Der Mast der aktuellen „Horge“ endet 23 Meter über der Wasseroberfläche, der Kunststoff-Rumpf ragt 2,20 Meter tief ins Wasser.

Das Haupt- und das größte Genua-Segel haben zusammen fast 100 Quadratmeter Fläche. Sie lassen sich elektrisch- hydraulisch vom Steuerstand aus setzen. So kann Horch seine zweitgrößte Liebe, die er am 13. September 2008 übernahm, allein steuern. Im Sommer liegt das Schiff in Niendorf an der Ostsee, im Winter wie jetzt bei der Bootswerft Heuer auf Finkenwerder.

Doch trotz des nahen Liegeplatzes bleibt für den Senator stets zu wenig Zeit, um in sein zweites Leben zu schlüpfen. Wenn aber mal eine Sitzung ausfällt und sich so ein Loch im Terminkalender ergibt, segelt er schon mal abends los und ankert an seinen Lieblingsplätzen.

Einer liegt nördlich von Schweinssand mit Blick auf den Süllberg und elbaufwärts bis in den Hafen, der andere südlich von Hanskalbsand. Die Wahl richtet sich nach der Windrichtung. Dann sitzt Horch an Bord, liest, bereitet sich auf Termine vor und genießt den Sonnenuntergang. „Ja“, sagt Horch, „immer, wenn es irgendwie geht, bin ich an Bord. Das ist mein Lebenselixier.“

An diesem späten Nachmittag jedoch kann er nicht los. Die Ausläufer des Sturmtiefs von Anfang der Woche rütteln immer noch am Schiff. Am Steg schützen alle verfügbaren Fender den Rumpf. So etwas kann Horch einschätzen.

Die langen Seglerjahre und zusätzlich fünf Jahre Fahrenszeit als Student auf Küstenfrachtern und bei der Marine haben bei ihm immer mehr Demut vor der Natur ausgelöst. Aber schon ein kurzer Besuch auf der „Horge“ lohnt sich für den Senator.

An Bord haben sich er und seine Frau Margret eingerichtet. Im Salon sind Küche, großer Esstisch und Sofas installiert. In einer Ecke ist Platz für den Bildschirm der elektronischen Seekarten, das TV-Gerät versteckt einer der mit Mahagoni vertäfelten Einbauschränke.

Im Vorschiff und in der Achterkabine sind jeweils zwei Betten angeordnet. Beide Schlafzimmer besitzen Badezimmer. Eine Waschmaschine ist eingebaut. Das Teakholz an Deck ist blank poliert, das Achterschiff geräumig, unten lässt es sich aufrecht stehen. „Wir haben viel Platz“, sagt Horch. Fast würde ihm das Schiff allein für das Leben zu Zweit reichen – ganz ohne das Haus in Buxtehude und die Wohnung in der Hamburger Hafencity.

Ausgesucht jedoch hat er die „Horge“ vor allem für eine Fahrt durchs Baltikum bis nach St. Petersburg. Von ihr träumt er seit mehr als zehn Jahren. Die Reise würde er mit zumindest einem weiteren erfahrenen Segler antreten. Mehrere Monate würden sie unterwegs sein.

Bislang jedoch gibt es keinen Termin. Ein Senator kann sich nicht länger als drei Wochen frei machen. Die sind für Juli schon terminiert. Dann startet er mit seiner Frau und deren bester Freundin zum Ostsee-Turn. Seit 24 Jahren segeln sie so schon gemeinsam

Bis Juli wird Horch auch wissen, ob und wie es als Senator weitergehen wird. In der Woche nach Ostern tagen die Parteitage der Grünen und der SPD am 15. April wird Bürgermeister Scholz seine Senatoren benennen. „Ich kann mir vorstellen, weiter zu machen“, sagt Horch.

Sicher ist bisher nichts. Bleibt Horch als Senator an Bord, könnte er als derjenige in die Stadtgeschichte eingehen, der die Elbvertiefung durchsetzte. Neue Meriten jedoch interessieren ihn wenig. Seine Karriere bei der Harburger Phoenix, bei Krupp und Thyssen und zuletzt bei Blohm+Voss lässt sich ohnehin sehen.

An Bord der „Horge“ sagt er: „Das Leben muss einen Sinn haben und ich traue mir zu, Hamburg zu verändern. Ich tue das für meine Stadt.“ Die Gedanken des Seglers sollen auch der Hansestadt nützen.

Dorthin muss er an diesem Abend noch zurück. Aber wenn schon einmal an einem Wochentag ein paar Stunden Zeit für die „Horge“ sind und er im Salon seines Schiffes sitzen kann, will sich Horch noch ein wenig Zeit nehmen.

Der Senator setzt noch einmal Kaffee auf. Für seinen Fahrer und seine Sprecherin Susanne Meinecke. Der Kaffee schmeckt an Bord schließlich besser als an Land. Losfahren können die drei dann immer noch.